Seit 2019 wird hinter verschlossenen Türen die Modernisierung des Energiecharta-Vertrags (ECV) verhandelt, die demnächst abgeschlossen werden soll. Der in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte, multilaterale Vertrag schützt Investitionen in fossile Energieträger wie Öl, Gas und Kohle. Für Investor:innen stellt er ein mächtiges Werkzeug dar. Sie können Staaten auf Schadenersatz für entgangene künftige Gewinne klagen, wenn notwendige Maßnahmen zum Schutz von Klima und Umwelt gesetzt werden. Ein umwelt- und energiepolitisches, vor allem aber ein demokratiepolitisches Problem – gerade jetzt, wo jeder Euro staatlicher Gelder gebraucht wird, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.
Der Energiecharta-Vertrag: fossiles Erbe aus dem vorigen Jahrhundert
Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 richteten sich die Blicke westlicher Öl- und Gaskonzerne gen Osten: Mit einem Mal eröffnete sich die Möglichkeit, direkten Zugang zu den immensen Öl- und Gasvorkommen in den ehemaligen Ländern der Sowjetunion zu bekommen. Ein gemeinsamer Rechtsrahmen im Energiebereich sollte dazu dienen, Investitionen des Westens in den ressourcenreichen Ländern des Ostens unter dem Deckmantel der Versorgungssicherheit abzusichern und den Handel zu erleichtern. 1998 trat mit dem ECV das erste multilaterale Investitionsschutzabkommen in Kraft. 53 Länder von Westeuropa über Zentralasien bis hin nach Japan gehören heute dem Vertrag an. Die EU und alle EU-Mitgliedstaaten außer Italien sind ebenfalls Vertragsparteien (Italien ist 2016 ausgetreten). Prominentestes Nicht-Mitglied ist Russland, das den Vertrag ursprünglich zwar unterzeichnet und angewandt hat, diese Schritte aber in den vergangenen Jahren rückgängig gemacht hat.
Rund 25 Jahre später haben sich die (klima-)politischen Rahmenbedingungen grundlegend geändert. Der ECV stützt sich in den Bereichen Handel und Transit im Wesentlichen auf die Bestimmungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT. In den 90er-Jahren waren die meisten Staaten des ehemaligen Ostblocks noch keine Vertragsparteien des GATT. Das hat sich zwischenzeitlich geändert, weil viele Staaten der Welthandelsorganisation (WTO) und damit auch dem GATT beigetreten sind. Viele ehemalige Staaten der Sowjetunion sind außerdem der EU beigetreten. Für sie gelten damit ohnehin die Regeln des Binnenmarktes.
Im Laufe der vergangenen Jahre haben sich aber vor allem auch die klimabezogenen Zielsetzungen wesentlich geändert. 2015 wurde das Pariser Klimaabkommen verabschiedet, alle ECV-Vertragsparteien, mit Ausnahme des Jemen, haben das Abkommen ratifiziert. 2019 hat die EU-Kommission den Europäischen Grünen Deal präsentiert, mit dem die Nettoemissionen der EU bis 2050 auf null reduziert werden sollen. Der Weltklimarat warnt in seinem jüngsten Bericht ganz offen: Werden die Treibhausgas-Emissionen nicht sofort und drastisch reduziert, ist das im Pariser Übereinkommen und in den Sustainable Development Goals (SDG 13) gesetzte Ziel, die menschengemachte Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, unerreichbar. Auch die Entwicklungen der vergangenen Monate im Zuge des russischen Aggressionskriegs haben einer breiten Bevölkerung die verhängnisvolle Abhängigkeit Europas, und so auch Österreichs, von fossilen Energieträgern vor Augen geführt. Die Energiepreise sind hoch wie noch nie, ebenso die Verunsicherung an den Energiemärkten. Energiepolitische Maßnahmen fokussieren mehr denn je auf einen Ausstieg aus fossilen Energieträgern. Gerade diesen ambitionierten Plänen liegt aber ein großer Stein im Weg: Er heißt Energiecharta-Vertrag.
Klimakiller Energiecharta-Vertrag
Der ECV schützt sämtliche Investitionen in Primärenergieträger und Energieerzeugnisse, die in einem eigenen Anhang aufgelistet sind. Fossile Energieträger wie Öl, Gas und Kohle scheinen dort ebenso auf wie Kernenergie und Strom. Der ECV ist damit „klimablind“. Die Bestimmungen zum Schutz von Investitionen sind derart überschießend, dass Investor:innen sogar Klage einreichen können, wenn sie sich um entgangene zukünftige Gewinne gebracht fühlen, weil ein Staat beispielsweise ambitionierte Klimapolitik betreibt.
Prominentes Beispiel dafür sind die Niederlande, die verkündet haben, bis 2030 aus der Kohleverstromung aussteigen zu wollen. Nachdem das entsprechende Gesetz verabschiedet worden war, verklagten 2021 die Konzerne Uniper und RWE die Niederlande in Milliardenhöhe. Denn sie besitzen mehrere Kohlekraftwerke dort. Der ECV torpediert damit die dringend notwendige Energiewende auf zweifache Weise: Er zementiert den Status Quo ein, weil Staaten in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden – eine demokratiepolitisch unverantwortliche Tatsache. Und er leitet dringend benötigte staatliche Gelder für Investitionen in die Klimawende an Konzerne um, die die Klimakrise maßgeblich mitzuverantworten haben.
Der ECV ist auch das Abkommen mit den meisten Streitfällen weltweit. 145 Verfahren nach dem ECV, bei denen Investor:innen Staaten verklagt haben, sind derzeit bekannt. Die Zahl könnte aber weit höher sein, denn Verfahren müssen nicht öffentlich gemacht werden. Ganz zu schweigen von der Höhe der dort ausgehandelten Zahlungen an Investor:innen.