Die Klimakrise wird von einem kleinen Teil der Bevölkerung verursacht, trifft aber die breite Masse und vor allem Ärmere ungleich stärker. Das sollte den sozial-ökologischen Umbau eigentlich zu einem unmittelbar mehrheitsfähigen Projekt machen. Aber das Verhältnis von sozial-ökologischem Umbau und Demokratie ist vielschichtig. Denn historisch sind die Teilhabe der Arbeiter:innenbewegung und die Demokratisierung eng mit dem fossilen Energieregime verwoben. Wie können sozial-ökologischer Umbau und Demokratisierung dennoch miteinander in Einklang gebracht werden?
Ungleichheit und Klimakrise
Das Verhältnis von Demokratie und sozial-ökologischem Umbau erscheint auf den ersten Blick unproblematisch. Beides – Demokratie und sozial-ökologischer Umbau – gelten in vielen progressiven Debatte als geradezu komplementär, fast schon wie zwei Seiten einer Medaille. Diese Sichtweise ist zunächst auch naheliegend, denn die Klimakrise wird überproportional stark von einem relativ kleinen Teil der Bevölkerung verursacht, trifft jedoch die breite Masse der Bevölkerung, insbesondere die Schwächsten ungleich stärker. Das gilt sowohl im globalen Maßstab als auch im nationalstaatlichen Rahmen. Zugleich verursachen 10 Prozent der reichsten Menschen 52 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, das reichste 1 Prozent allein 15 Prozent. Die ärmere Hälfte der Menschheit verantwortet hingegen nur 7 Prozent der CO2-Emissionen.
Ungleichheit korreliert auch mit der Betroffenheit von der ökologischen Krise: Ökonomisch schwache Haushalte und Arbeitnehmer:innen sind stärker von Extremwetterereignissen wie Hitze, Dürren, Überschwemmungen betroffen: Beispielsweise, weil sich Nahrungsmittel verteuern oder weil Arbeitskräfte aus Haushalten mit niedrigem Einkommen Tätigkeiten ausführen, die körperlich anstrengend sind (Pflege) und/oder im Freien erbracht werden müssen (Arbeit am Bau). Und gerade ökonomisch schwächere Haushalte würden auch insofern von einer Mobilitätswende profitieren, als sie in den günstigeren Wohnlagen öfter Lärm und Luftverschmutzung ausgesetzt sind.
Warum ist der sozial-ökologische Umbau dennoch schwierig?
Daher wäre es naheliegend, dass der sozial-ökologische Umbau ein unmittelbar mehrheitsfähiges Projekt ist, weil sich so die ökologische Krise und soziale Ungleichheit gleichzeitig bekämpfen lassen. Das ist aber nur teilweise der Fall: Zwar wird die ökologische Krise von sozialen Bewegungen zunehmend auf die politische Agenda gebracht. Doch gleichzeitig werden Schritte in Richtung eines sozial-ökologischen Umbaus nur allzu oft mit dem Verweis auf ihre vermeintliche Unpopularität verzögert. Vor allem die Gefahr von „Gelbwesten-Protesten“ scheint wie ein Damoklesschwert über jedem ernsthaften Versuch zu schweben, wirksame Schritte in Richtung eines sozial-ökologischen Umbaus zu gehen. Man mag das als Borniertheit oder Mutlosigkeit der politischen Elite abtun, aber damit macht man es sich zu einfach – denn auf den zweiten Blick ist das Verhältnis von sozial-ökologischer Transformation und Demokratie weitaus vielschichtiger, als es zunächst erscheint.
Die fossile Demokratie …
Einen wichtigen Hinweis dahingehend hat Timothy Mitchell mit dem Begriff der carbon democracy geliefert: Mitchell zeigt, dass der Übergang zu einem fossilen Energieregime entscheidend für die Steigerung der Organisationsmacht und damit letztlich auch die zunehmende Teilhabe der Arbeiter:innen am gesellschaftlichen Wohlstand war. Im 19. Jahrhundert konnten Arbeiter:innen mit Streiks sowohl die Kohlegewinnung im Tagebau als auch den Transport entlang der Eisenbahnlinien, letztlich also das gesamte Energiesystem, lahmlegen. Dies trug wesentlich dazu bei, dass die Arbeiter:innenbewegung in der Lage war, soziale und politische Rechte zu erkämpfen.
Insofern ist die Teilhabe der Arbeiter:innenklasse in Europa und Nordamerika am gesellschaftlichen Wohlstand historisch eng mit dem fossilen Energieregime und der tiefen Verankerung fossiler Industrien und Infrastrukturen verknüpft. Der Übergang zu einem ölbasierten Energieregime und seinen dezentralen Infrastrukturen ab dem 20. Jahrhundert schwächte zwar einerseits die Produktionsmacht der Arbeiter:innenbewegung. Doch die enorme Verbilligung von Energie ermöglichte andererseits eine enorme Steigerung des Lebensstandards von breiten Bevölkerungsteilen.
… und die Vorstellung vom guten Leben
Das Verständnis davon, was Wohlstand und ein gutes Leben ist, wird seither von einer Vorstellung geprägt, die mit den ölbasierten Konsumnormen der Nachkriegszeit eng verbunden ist. Dazu gehört etwa das Auto, das im Europa der Nachkriegszeit zu einem Massenprodukt wurde. In Folge konnten sich neue Siedlungsmuster – Stichwort Eigenheim – und kleinfamiliäre Lebensverhältnisse verstärkt entwickeln, die wiederum eine besondere geschlechtliche Arbeitsteilung („Ernährer-Hausfrau-Ehe“) hervorbrachten usw. Zugleich setzt diese Lebensweise eine Produktionsweise voraus, die auf einem überproportionalen Zugriff auf Ressourcen, Senken und Arbeitskraft im globalen Maßstab beruht. Ulrich Brand und Markus Wissen sprechen daher von einer imperialen Produktions- und Lebensweise.
Die ökologische Krise soll nun vor allem durch ökologische Modernisierung und grünes Wachstum bewältigt werden: letztlich also Strategien, mit denen das Versprechen verbunden ist, dass die vorherrschende Lebensweise umwelt- und klimaverträglich im Wesentlichen fortgesetzt werden kann – genauso wie die damit verbundenen Profitstrategien. Und es kommt auch nicht von ungefähr, dass die Versuche, die imperiale Lebensweise grundlegend infrage zu stellen, auf Widerstand treffen, der auch von rechts erfolgreich politisiert wird. Wir kennen die Erzählungen: „Ökolinke“ aus der urbanen Mittelschicht, die nicht die Lebensrealität der breiten Bevölkerung kennen, sich anmaßen, die letzten Errungenschaften der Arbeiter:innen, die nach Jahren neoliberaler Kürzungs- und Prekarisierungspolitik noch übrig bleiben – die wenigen noch verbleibenden Freuden des Lebens sozusagen –, verbieten zu wollen.
Den strukturellen Problemgehalt ernst nehmen
Um Demokratie und sozial-ökologischen Umbau in Einklang zu bringen, müssen wir den strukturellen Problemgehalt in diesem Verhältnis ernst nehmen. Das bedeutet:
1. Es bedarf einer umfassenden sozialen Abfederung von politischen Maßnahmen für einen sozial-ökologischen Umbau. Das ist offensichtlich und wird – zumindest teilweise – in der aktuellen Politik mitbedacht. Denken wir an den Klimabonus im Rahmen der ökosozialen Steuerreform – auch wenn die Umverteilungswirkung der Steuerreform insgesamt in die falsche Richtung geht.
2. Darüber hinaus aber geht es vor allem darum, ein alternatives Verständnis des guten Lebens für alle zu entwickeln: Das bedeutet etwa, Zeitwohlstand statt materiellem Wohlstand ins Zentrum zu stellen und durch Perspektiven langfristiger sozialer Sicherheit die Bedingungen dafür zu schaffen, die vorherrschende Orientierung an materieller Wohlstandsmehrung zu überwinden – z. B. durch die Eindämmung von prekären und befristeten Arbeitsverhältnissen. Es geht also nicht nur um Innovation, die auf sozio-technische Erneuerung von Produktionssystemen abzielt, sondern vor allem auch darum, Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen, die neue, nachhaltige und solidarische Formen des Konsums, der Energienutzung, von Mobilität, Ernährung, Gesundheit, Bildung, Sorge ermöglichen.
3. Letztlich gilt es, die begrenzte Form der Demokratie selbst zu überwinden, gewissermaßen um eine Demokratisierung der Demokratie. Das bedeutet konkret, Demokratie auch wirtschaftsdemokratisch weiterzudenken, d. h. eine zentrale Beschränkung der liberalen Demokratie aufzuheben. Denn viele unternehmerische Entscheidungen haben massive Auswirkungen auf das Klima und andere ökologische Systeme, ihre Folgen werden von der Allgemeinheit getragen – sie gelten aber gemeinhin als privat.
Ein wichtiges Einstiegsprojekt in dieser Richtung wäre, die Idee eines öffentlichen, sozial-ökologischen Transformationsfonds weiterzudenken, wie er auch in Deutschland diskutiert und in einer stark entschärften Version im neuen Koalitionsvertrag verankert wurde. Dieser hätte nicht nur die Funktion, Investitionen zu finanzieren und Planungssicherheit zu erhöhen. Ein Transformationsfonds wäre auch eine Möglichkeit, durch öffentliche Beteiligung die strategische Koordinierung wichtiger Bereiche für den sozial-ökologischen Umbau auszuweiten – in Verbindung mit der Stärkung demokratischer Elemente, sowohl auf betrieblicher Ebene als auch darüber hinaus.
Die Demokratisierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse
Auch wenn das Verhältnis von sozial-ökologischer Transformation und Demokratie weniger eindeutig und ambivalenter ist, als es zunächst erscheint, sind sozial-ökologischer Umbau und Demokratie eng verwoben. Der sozial-ökologische Umbau erfordert geradezu eine weitere Demokratisierung gesellschaftlicher Verhältnisse. Das gilt insbesondere dann, wenn wir Demokratie auch generationenübergreifend verstehen. Das würde auch bedeuten, die Anliegen zukünftiger Generationen in unseren demokratischen Entscheidungsprozessen mitzuberücksichtigen. Schließlich gilt es angesichts der Dimension der ökologischen Krise als Zivilisationskrise, die gesellschaftlichen Bedingungen demokratischer Gestaltung durch einen sozial-ökologischen Umbau überhaupt langfristig zu gewährleisten.
Der Beitrag beruht auf einem Vortrag, den Alina Brad auf der von der Arbeiterkammer Wien, dem Institut für Rechtsphilosophie der Uni Wien und der Zeitschrift Juridikum veranstalteten Tagung „Rechtsstaat und Demokratie unter Druck – Perspektiven in der sozialen und ökologischen Krise“ gehalten hat.