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Verursacherprinzip mit Schlupflöchern
Die nationalen Fördersysteme für erneuerbare Energien stehen im Wesentlichen auf zwei Säulen: Einerseits die Abnahmeverpflichtung für erneuerbare Energien und andererseits die Aufbringung der Fördermittel durch Zuschläge auf die Netzentgelte, die von den StromkundInnen – wie Haushalte oder Industrie – für die Nutzung des öffentlichen Stromnetzes zu zahlen sind.
Das System erscheint auf den ersten Blick überzeugend und entspricht dem Verursacherprinzip gemäß Art. 191 AEUV, wonach Großverbraucher höhere Beiträge leisten müssen als sparsame VerbraucherInnen. Dieser Grundsatz wird allerdings in den meisten Mitgliedstaaten durch versteckte Subventionen in Form von Rückerstattungs- oder Befreiungsmöglichkeiten von Energiesteuern, Finanzierungsbeiträgen für die Förderung von erneuerbaren Energien oder Netzkosten zugunsten von Großverbrauchern von Energie durchbrochen. Private Haushalte tragen einen immer größeren Anteil der systemischen Kosten, die sich durch die Umstellung auf eine kohlenstofffreie Wirtschaft ergeben.
Im Moment steigen die Kosten für eine sichere Stromversorgung in Europa stark an. Einerseits betreffen diese den Ausbau neuer Netze, andererseits müssen immer öfter Maßnahmen getroffen werden, um die Netzstabilität zu gewährleisten (Redispatch). Zur Entlastung der Großverbraucher von Strom gehen viele Mitgliedstaaten daher dazu über, einen Rabatt auf die Netzentgelte zu gewähren.
Das führt zu massiven Wettbewerbsverzerrungen zwischen Mitgliedstaaten bis hin zu Arbeitsplatzverlagerungen sowie zu negativen ökologischen Fehlanreizen. Denn: Je mehr Strom ein solches Industrieunternehmen jährlich verbraucht, desto höher ist dessen Befreiung von den Netzentgelten.
Auch die Pauschalausnahmen für große Stromverbraucher, die von der Herstellung von Teppichen über Strumpfwaren zu Seifen, Klebstoffen, Schrauben, Matratzen, Spielwaren und Bürsten reichen, passen nicht in das Konzept der EU-Klimastrategie und einer CO2-neutralen Wirtschaft. Begründet wird dies in den derzeit geltenden Umwelt- und Energiebeihilfeleitlinien damit, dass exportorientierte, energieintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb mit anderen Unternehmen stehen, die Strom viel günstiger beziehen. Diese Argumentation ist grundsätzlich nachvollziehbar. Jedoch: Alle industriepolitisch inspirierten Ausnahmen bedürfen einer Überarbeitung, um dem Grundsatz des Verursacherprinzips gerecht zu werden. Sie sind nur im Rahmen einer Einzelfallprüfung und nur dann zuzulassen, wenn sie die Erreichung ökologischer oder sozialpolitischer Zielsetzungen unterstützen oder wenn es nachweislich massive Wettbewerbsnachteile energieintensiver Industriezweige gegenüber Drittstaaten gibt.
Anschubinvestitionen statt Beihilfentropf
Betriebsbeihilfen mögen für die Umstellung auf erneuerbare Energieträger in der Anfangsphase sinnvoll und gerechtfertigt gewesen sein. Nach fast 30 Jahren bedarf es jedoch einer Überprüfung bzw. Neuausrichtung. Die Regel müssen Investitionszuschüsse und wettbewerbliche Ausschreibungen sein. Laufende fixe Zuschüsse müssen vermieden werden. Denn Betriebsbeihilfen beseitigen de facto das Marktrisiko, weshalb wenige Anreize bestehen, netzdienlich zu agieren, also für die Aufrechterhaltung der kontinuierlichen Stromversorgung tätig zu werden.
Für Zukunftstechnologien sollten Subventionen daher zielgerichtet in Form von Anschubfinanzierungen erfolgen, insbesondere für:
- erneuerbaren Wasserstoff,
- erneuerbare Fernwärme und -kälte,
- Energieeffizienz in sozialen Wohnbauten,
- Forschung und Entwicklung betreffend „Carbon Capture and Storage“ (Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff) sowie CO2-Abscheidung und -Verwendung (Carbon Capture and Utilisation, CCU).
„Sozialbonus“ statt „grüner Bonus“
Die EU-BürgerInnen sehen sich nicht nur mit den Folgen der Corona-Pandemie, Arbeitslosigkeit und Energiearmut konfrontiert, sondern sie müssen auch mit den Folgen der Klimakrise und der damit erforderlichen Transformation ganzer Wirtschaftszweige und des Energiesystems fertig werden. Um zu einer CO2-neutralen Wirtschaft zu kommen, schlägt die Europäische Kommission die Einführung eines „grünen Bonus“ vor. Dies ist aus Sicht der AK nicht zielführend.
Denn die Vermeidung negativer Umweltauswirkungen sollte vorrangig mit Ordnungsrecht, also mit gesetzlicher Regulierung, und nicht durch Wettbewerbspolitik gelöst werden. Diverse Auflagen sowie Ge- und Verbote wie z. B. im Bereich des Umweltschutzes, des Schutzes der biologischen Vielfalt, der Steigerung der Energieeffizienz oder im Bereich der Kreislaufwirtschaft müssen für alle gelten und sollten nicht im Einzelfall mit Beihilfen an Unternehmen belohnt werden.
Um einen fairen Übergang sicherzustellen, bedarf es hingegen eines „sozialen Bonus“ im Beihilfenrecht. Die Schaffung bzw. der Erhalt von nachhaltigen und hochwertigen Arbeitsplätzen muss mit einer höheren Beihilfenintensität belohnt werden können. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit sollte im Sinne eines gerechten Übergangs („Just Transition“) besonderes Augenmerk auf die Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose und Jugendliche gelegt werden, aber auch auf jene Beschäftigten, die durch den Ausstieg aus fossiler Energie negativ betroffen sind.
Daneben sollte die Steigerung der Energieeffizienz einen zentralen Stellenwert einnehmen. Jeder Beihilferahmen bzw. jedes Beihilfeprojekt sollte daher dem Prinzip „Vorrang für Energieeffizienz“ folgen.
Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie und globale Herausforderungen
Um die EU-Klimaziele zu erreichen, müssen – laut „Net Zero“-Studie der Unternehmensberatung McKinsey – jährlich rund 1.000 Milliarden Euro investiert werden. Aus dieser Perspektive sind auch die Forderungen der europäischen Industrie, allen voran der Großverbraucher von Strom, zu betrachten. Während die EU-Kommission zum Schutz der europäischen Industrie vor Billigimporten aus „Schmutzländern“ Importzölle unter dem euphemistischen Titel „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CO2-Grenzausgleichsmechanismus) andenkt, fürchtet die EU-Industrie Gegenmaßnahmen von den betroffenen Drittstaaten.
Die europäische Industrie schlägt als Gegenkonzept die Einführung von Carbon Contracts for Difference vor. Wesentliches Element ist dabei, dass die Großverbraucher von Strom gegen Schwankungen des CO2-Preises abgesichert werden. Die Schwierigkeit dabei liegt in der richtig kalibrierten Festlegung des Vertragspreises für CO2, um Überförderung zu vermeiden. Insbesondere bei negativen Strompreisen sollte ein Differenzausgleich ausgeschlossen werden. Wichtig für dieses System wäre jedenfalls ein funktionierender Emissionshandel mit klaren Preissignalen.
Europäisches Zusammenrücken und Ausblick
In der Europäischen Union stehen zahlreiche unterschiedlich ausgestattete Förderprogramme – abhängig von der Finanzkraft der Mitgliedstaaten – nebeneinander. Langfristiges Ziel sollte jedoch eine Zusammenarbeit bei Finanzierung und Umsetzung von Projekten für erneuerbare Energien sein. Die EU-Kommission hat dafür bereits einen neuen Mechanismus zur grenzüberschreitenden Förderung eingerichtet (Governance-System für die Energie-Union).
Ab Anfang 2021 soll er die Mitgliedstaaten unterstützen, bei der Finanzierung und Umsetzung von Erneuerbare-Energie-Projekten zusammenzuarbeiten. EU-Staaten können dann freiwillige Finanzbeiträge in den von der EU-Kommission verwalteten Mechanismus einzahlen. Dieses Geld soll in die kosteneffizientesten Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien in der gesamten EU fließen. Der Mechanismus könnte einen wertvollen Beitrag leisten, die Erzeugung erneuerbarer Energien kosteneffizienter zu gestalten. Um die EU-BürgerInnen bei der Umgestaltung der Energieerzeugung mitzunehmen, muss uns eine Änderung „by design“ statt „by disaster“ gelingen: Vorrang für Energieeffizienz, Durchsetzung des Verursacherprinzips, ein „sozialer Bonus“ sowie eine faire Kostenverteilung zwischen Haushalten und energieintensiver Industrie.
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