2030: Das Jahr, in dem nur mehr erneuerbarer Strom fließen soll

19. August 2019

Für die Erreichung der klimapolitischen Ziele („Paris-Ziele“) ist neben der Steigerung der Energieeffizienz der Ausbau erneuerbarer Energie im Strombereich zentral. Die vergangene Regierung hat dabei als konkreten Zielwert „100 Prozent erneuerbarer Strom bis 2030“ definiert, es gleichzeitig aber verabsäumt, hier Maßnahmen zu setzen. Doch kann dieses Ziel überhaupt erreicht werden? Und wenn ja, was sind die zentralen Herausforderungen?

Ankündigung statt Umsetzung

In den Wahlkampfprogrammen zur Nationalratswahl 2017 haben die meisten wahlwerbenden Parteien einen massiven Ausbau erneuerbarer elektrischer Energie angekündigt. Die schwarz-blaue Regierung versprach, bis 2030 den Stromverbrauch (bilanziell) zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie zu decken. Dazu wurde von Ex-Bundesministerin Köstinger mehrmals eine umfassende Neugestaltung der Ökostromförderung angekündigt. Eine derartige Neuausrichtung forderte die AK schon im Rahmen der sogenannten „kleinen Ökostromnovelle“ 2016. Auch die EU-Kommission ermahnte Österreich, rasch die Förderungen der erneuerbaren Energie an die neuen EU-rechtlichen Regelungen anzupassen. Aber die Klientelpolitik von Ex-Bundesministerin Köstinger hat dazu geführt, dass in ihrem Ministerium monatelang an einer gesetzlichen Regelung für eine Sonderförderung in Höhe von 150 Millionen Euro oder mehr für 47 alte und oft auch defizitäre Biomasseanlagen gearbeitet wurde anstatt am Erneuerbaren Ausbau Gesetz. Jetzt haben wir ein verfassungswidriges und beihilferechtlich bedenkliches Biomasseförderungs-Grundsatzgesetz, aber immer noch keinen Entwurf für ein Erneuerbaren Ausbau Gesetz.

Ausgangssituation

Österreich hat mit rund 74 Prozent (2017) den höchsten Anteil an erneuerbarem Strom, gemessen am Gesamtstromverbrauch, innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. Der überwiegende Teil der Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen entfällt dabei auf die große Wasserkraft, die abhängig von der Wasserführung durchschnittlich zwischen 57 Prozent und 65 Prozent beträgt. Rund 17 Prozent des Stromverbrauchs sind geförderter Ökostrom aus anderen erneuerbaren Quellen, wie Windkraft, Photovoltaik, Biomasse oder Klein- bzw. mittlere Wasserkraft. Der Rest der österreichischen Stromproduktion stammt aus Wärmekraftwerken. Das sind in der Regel Gaskraftwerke, die auch Fernwärme erzeugen (Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen). Dazu zählen aber auch zwei Kohlekraftwerke, die noch bis Herbst dieses Jahres (Dürnrohr) bzw. bis Mitte 2020 (Mellach) in Betrieb sind.

Insgesamt reicht die in Österreich produzierte Menge an Strom jedoch nicht aus, um die inländische Stromnachfrage zu decken. Durchschnittlich wurden in den vergangenen fünf Jahren rund 11 Prozent des Strombedarfs importiert, vorwiegend aus Deutschland und Tschechien.

Elektrizität wird in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen, da dieser Energieträger klimafreundlich erzeugt werden kann und vielfältig verwendbar ist. Die Nachfrage nach Strom wird weiter zunehmen, beispielsweise für Elektroautos oder für stromgeführte Wärmepumpen.

Enormer Ausbaubedarf

100 Prozent erneuerbarer Strom bedeutet daher in erster Linie, dass die Importe sowie der steigende Stromverbrauch bis 2030 durch zusätzliche erneuerbare Energieerzeugung in Österreich gedeckt werden müssen. Der Ausbaubedarf bis 2030 beträgt dabei gegenüber 2017 – je nach Prognose – 21 bis 27 Terawattstunden. Das entspricht der Jahresproduktion von über 20 großen Donaukraftwerken oder mehr als einer Verdoppelung der aktuell geförderten Ökostrommenge. Im heurigen Jahr werden voraussichtlich insgesamt rund 10 bis 11 TWh an Ökostrom ins öffentliche Stromnetz eingespeist. Die Anlagenbetreiber bekommen dafür etwas mehr als 1 Milliarde Euro vergütet. Finanziert werden diese Vergütungen einerseits aus den Verkaufserlösen für Ökostrom, andererseits durch Fördergelder.

Wer zahlt die Ökostromförderung?

Finanziert wird die Förderung erneuerbarer Energie nicht über das Budget, sondern von allen StromverbraucherInnen über die Jahres-Stromrechnung. Private Haushalte und kleine Gewerbebetriebe tragen dabei die Hauptlast: Sie zahlen derzeit 2,6 Cent je kWh an Ökostromförderung, die Großverbraucher wie große Industriebetriebe hingegen nur 0,5 Cent je kWh (siehe dazu den Ökostrombericht 2018). Da der Marktpreis für den Verkauf von Ökostrom stark schwankt und die Menge an gefördertem Ökostrom zunimmt, sind auch die Förderkosten von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Die Kosten, die ein privater Haushalt mit durchschnittlichem Verbrauch für die Ökostromförderung in den letzten Jahren zahlte, bewegten sich dabei von 70 bis 120 Euro jährlich. Um die ambitionierten Ziele bis 2030 zu erreichen, wird es allerdings auch in Zukunft Fördergelder brauchen.

Entwicklung der Ökostromproduktion © A&W Blog
© A&W Blog

Grundlegende Reform notwendig

Das aktuelle Ökostromförderregime mit fixen Einspeisetarifen für jede produzierte Kilowattstunde Strom ist den neuen Herausforderungen nicht gewachsen. War es in der Anfangsphase nützlich, um möglichst viele erneuerbare Anlagen möglichst rasch in den Markt einzubringen, ist es heute nicht mehr zeitgemäß, sondern ineffizient und teuer. Mangelnde Transparenz führt zu hohen Fördertarifen, die sich nicht an den tatsächlichen Erzeugungskosten orientieren. Gleichzeitig macht das Festhalten an nicht zukunftsfähigen Technologien, wie Strom aus Biogas, das System weiter teuer. Damit nicht genug, setzt das aktuelle Regime auch falsche Anreize zur Integration ins Energiesystem.

Wie sehen die Anforderungen an das neue Fördersystem aus?

Mit dem angekündigten Erneuerbaren Ausbau Gesetz soll der Ausbau erneuerbarer Energie beschleunigt und die Systemintegration in das bestehende System verbessert werden. Außerdem muss das Fördersystem an die neuen beihilferechtlichen EU-Regelungen angepasst werden.

Im Mittelpunkt stehen dabei zwei zentrale Umstellungen:

  • Ausschreibung statt Einspeisetarif per Verordnung

Die Festlegung der Förderhöhe erfolgt bislang – auf Basis eines jährlichen Gutachtens der Regulierungsbehörde E-Control – durch Verordnung des/der zuständigen MinisterIn. Die Gutachter verfügen aber nicht über ausreichend Information, etwa was die tatsächlichen Kosten der Anlagen betrifft, um präzise Aussagen treffen zu können. Daraus resultieren oft Tarife mehr nach dem „Daumen mal Pi“-Prinzip als auf Basis von festgestellten Kosten. In Zukunft soll die Höhe der Vergütung z. B. für die Erzeugung von Strom aus Windkraft durch Ausschreibungen ermittelt werden. Gebote mit den niedrigsten Vergütungen erhalten den Zuschlag. Das soll gewährleisten, dass die Förderungen nicht höher ausfallen als eigentlich erforderlich.

  • Marktprämie statt Fixtarif

Die Förderung von Ökostrom erfolgt derzeit überwiegend durch Einspeisetarife. Diese Tarife garantieren dem Ökostrombetreiber 13 bis 15 Jahre lang eine gesicherte Abnahme des ins Netz eingespeisten Ökostroms zu einem fixen Preis je Kilowattstunde (kWh) Strom. Damit werden den EigentümerInnen alle Investitions- und Betriebskosten abgegolten ebenso wie ein angemessener Gewinn. Das Problem dabei: Das aktuelle System setzt falsche Anreize.

Mit dem Einspeisetarifsystem lässt sich am meisten Geld verdienen, wenn möglichst viel Strom erzeugt und ins öffentliche Stromnetz eingespeist wird. Insbesondere Windkraft- und Photovoltaikanlagen speisen sehr volatil, also unregelmäßig ein – je nach Wetterlage. Das bedeutet Stress für das Stromnetz, wenn eine hohe Stromnachfrage keinen nennenswerten Einspeisungen gegenübersteht oder umgekehrt. Außerdem haben Anlagenbetreiber bei fixen Abnahmepreisen keinerlei Anreize, ihre Stromproduktion zu glätten oder stärker dem Verbrauch anzupassen. Die Folge ist, dass stets konventionelle Kraftwerke als Reserve bereitstehen müssen, um das Stromnetz stabil zu halten oder den fehlenden Bedarf zu decken – damit entstehen Zusatzkosten, die teilweise vermieden werden könnten.

Dieses alte System soll nun durch sogenannte Marktprämien ersetzt werden. D. h. die Anlagenbetreiber werden zukünftig selbst für die Vermarktung ihrer Energie verantwortlich sein, sie erhalten aber zusätzlich einen Förderaufschlag in Form von Marktprämien. Damit haben die Anlagenbetreiber einen finanziellen Anreiz, sich an den Marktgegebenheiten zu orientieren. Das bedeutet, sie verdienen mehr Geld, wenn sie Strom dann produzieren, wenn er auch wirklich gebraucht wird. Die Anlagenbetreiber werden daher ihre Prognosequalität verbessern und Speicher einsetzen, um ihre Stromeinspeisung ins Netz besser steuern und optimieren zu können. Sie werden aber auch bei der Standort- und Technologiewahl (z. B. durch Bau von Schwachwindanlagen) stärker auf die Anforderungen des Systems achten, um ihre Verdienstmöglichkeiten zu verbessern.

Mehr Fördermittel für kleine Anlagen

Kleine Anlagen, insbesondere Photovoltaikanlagen, werden bereits heute mit Investitionszuschüssen gefördert. D. h. bei Errichtung der Anlagen wird ein Teil der Investitionskosten durch Förderungen abgedeckt. Der vom Klima- und Energiefonds verwaltete Fördertopf ist mit 9 bis 15 Millionen Euro jährlich begrenzt, und die Mittel sind daher stets nach wenigen Minuten leergeräumt. Parallel dazu gibt es noch steuerfinanzierte Förderungen einzelner Bundesländer sowie aus dem Fonds für ländliche Entwicklung (ELER). Wobei Letzterer auch für größere Anlagen gilt, derzeit aber nur forst- und landwirtschaftliche Betriebe anspruchsberechtigt sind. Hier braucht es wesentlich mehr Fördermittel aus dem Budget, um mehr Anlagen fördern zu können. Gleichzeitig muss die Klientelpolitik beendet werden. Die Mittel aus dem Fonds zur Förderung des ländlichen Raums müssen allen im ländlichen Raum zur Verfügung stehen.

Netz und Speicher unabdingbar

Die Förderung erneuerbarer Energieerzeugungsanlagen darf aber nicht isoliert betrachtet werden. Um das Ziel „100 Prozent erneuerbarer Strom bis 2030“ erreichen zu können, sind parallel dazu massive Investitionen in das Stromnetz notwendig. Denn die neuen Anlagen müssen nicht nur angeschlossen werden, sondern die Energie muss auch in die Verbrauchszentren transportiert werden. Die Kosten für den Netzausbau belaufen sich auf rund 1,5 Milliarden Euro jährlich. Auch hier sind es die privaten Haushalte und die Gewerbekunden, welche den überwiegenden Teil der Kosten zu tragen haben. Weiterhin eine Herausforderung bleibt das Speichern von elektrischer Energie über einen längeren Zeitraum. Mit noch mehr Wind- und Sonnenenergie im System werden die Stromüberschüsse im Sommer weiter zunehmen, während es im Winter an Energie fehlt. Batteriespeicher, aber auch Pumpspeicherkraftwerke haben nicht die Kapazität für saisonale Speicherung und werden zugleich als kurz- und mittelfristige Speicher gebraucht. Doch wie bringen wir die Energie vom Sommer in den Winter? Vorstellbar wäre die Herstellung von künstlichem grünem Gas (Methan aus Biogas und Wasserstoff). Dieses könnte im Sommer produziert werden und im Winter helfen, die Wärmeversorgung sicherzustellen. Derzeit ist die Herstellung von künstlichem Gas weder wirtschaftlich noch technisch ausgereift. Hier muss noch sehr viel Geld in die Forschung investiert werden.

Erneuerbare Stromproduktion und Stromverbrauch im Sommer 2030 © A&W Blog
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Erneuerbare Stromproduktion und Stromverbrauch im Winter 2030 © A&W Blog
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Zusammenfassung

Das Ziel „100 Prozent erneuerbarer Strom bis 2030“ ist sehr ambitioniert. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, ist eine grundlegende Neugestaltung des Fördersystems unumgänglich. Dabei gilt es, mithilfe von Ausschreibungen und Marktprämien das System effizienter zu gestalten und die Systemintegration der Erneuerbaren voranzutreiben. Gleichzeitig müssen die Kosten für die Umgestaltung unseres Energiesystems gerecht auf alle StromverbraucherInnen verteilt werden. Das bedeutet eine Umstellung des Fördersystems und eine stärker steuerfinanzierte Förderung. Dafür sind die bereits bestehenden Fördertöpfe ausreichend zu dotieren und die Förderungen „für den ländlichen Raum“ tatsächlich für alle Menschen am Land zu öffnen. Es bedeutet aber auch: Ausnahmen von Finanzierungskosten dürfen nur dann gewährt werden, wenn sie dem Klima helfen, z. B. im Bereich des elektrifizierten öffentlichen Verkehrs.

Denn die Energiewende ist keine technologische Frage, sondern eine soziale Herausforderung. Nur wenn dafür ein breites Verständnis besteht, gibt es eine Chance, die ambitionierten und notwendigen Energie- und Klimaziele zu erreichen.

 

Dieser Beitrag erscheint auch in Arbeit & Wirtschaft 7/2019