In der neuen WIFO-Studie „Die Rolle des öffentlichen Vergabewesens für eine klimaneutrale Produktions- und Lebensweise“ wird erstmals die ökologische Bedeutung der öffentlichen Beschaffung umfassend nachvollzogen und detailliert dargestellt. Sie ist im Durchschnitt für knapp 8 Prozent (5,6 Mio. Tonnen CO2) der heimischen Treibhausgasemissionen im Inland pro Jahr verantwortlich, weltweit entlang von Wertschöpfungsketten noch für wesentlich mehr (19 Mio. Tonnen CO2). Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge liegt also erhebliches Potenzial, um Treibhausgasemissionen auf ein klimaneutrales Niveau zu senken – und somit im unmittelbaren Einflussbereich des Staates. Dies ist schon jetzt bei entsprechendem politischem Willen möglich. Die Absenz eines solchen kann durch mehr verbindliche Vorgaben ersetzt werden, damit die staatliche Nachfrage sozial und ökologisch erfolgt.
Worum geht es?
Mit einem durchschnittlichen jährlichen Beschaffungsvolumen von 67 Mrd. Euro in den Jahren 2015 bis 2020 ist der Staat Österreich, das heißt Bund, Länder, Gemeinden, einschließlich ausgegliederter öffentlicher Unternehmen und Sozialversicherungsträger, ein wichtiger wirtschaftlicher Marktteilnehmer. Die Studie „Die Rolle des öffentlichen Vergabewesens für eine klimaneutrale Produktions- und Lebensweise“ weist unter anderem nach, in welchen Branchen – gemessen an ihrem Anteil am gesamten Beschaffungsvolumen sowie an ihrem überproportional hohen Anteil an den Emissionen – die größten Hebel für Dekarbonisierung liegen: Das sind das Bauwesen und die Sachgütererzeugung, in weiterer Folge auch Lagerei und Verkehr sowie die Herstellung pharmazeutischer Erzeugnisse.
Aber auch die CO2-Emissionen entlang der Wertschöpfungskette sind entscheidend, da die öffentliche Beschaffungspraxis auch in anderen Ländern CO2-emissionsintensiv wirkt: 34 Prozent werden in den übrigen Ländern der Europäischen Union emittiert, 37 Prozent der Emissionen entfallen auf den Rest der Welt, also Länder außerhalb der EU. Da die Klimakrise ein globales Problem ist, ist es wichtig, auch Emissionen, die in anderen Ländern entstehen, zu reduzieren, auch wenn diese schwieriger zu erfassen sind.
Daher gilt es, verbindliche EU-weite sozial-ökologische Standards und Vorgaben über die wichtigsten Beschaffungsbereiche hinweg zu setzen. Das heißt: Prioritäten festlegen und auf einzelne Produkte und Leistungen fokussieren – nicht nur, da die Zeit drängt, sondern auch, weil die realen Einsparungspotenziale höchst unterschiedlich einzuschätzen sind. Parallel zur Einsparung müssen auch notwendige Zukunftsinvestitionen etwa in die Energie- und Verkehrswende getätigt werden, die zwar kurzfristig emissionsintensiv, langfristig aber in Richtung Klimaneutralität wirken können, wie etwa der Ausbau der Bahninfrastruktur.
Öffentliche Beschaffung als Wirtschaftsfaktor
Schon jetzt sehen die EU-Vergaberichtlinien vor, öffentliche Aufträge nicht allein an den Bieter mit dem niedrigsten Preis zu vergeben. Angesichts der Klimakrise und immer wieder sozial unverantwortlicher Vergabepraxis, wie beispielsweise die Nichteinhaltung von Kollektivverträgen bei Subvergaben oder Scheinselbstständigkeit etwa bei Bauprojekten, braucht es allerdings weitere Regeln. So könnte eine Durchgriffshaftung bei Generalunternehmern oder die Verkürzung der Subunternehmerketten zur Einhaltung ökologischer und sozialer Kriterien, bei der Vergabe von Aufträgen, aber auch von Subventionen den Qualitätswettbewerb befördern.
Die öffentliche Beschaffung ist dafür ein Hebel, ist sie doch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: In Österreich ergeben sich durch die Vergabe öffentlicher Aufträge direkte Wertschöpfungseffekte von 25 Mrd. Euro. Werden heimische Zulieferer und die in Österreich entstehende Wertschöpfung durch getätigte (Ersatz)Investitionen hinzugerechnet, beläuft sich der Wertschöpfungseffekt auf fast 44 Mrd. Euro. Direkt an die öffentliche Auftragsvergabe sind in Österreich 350.900 Erwerbstätige geknüpft. Inklusive heimischer Zulieferer und (Ersatz-)Investitionen beläuft sich der Beschäftigungseffekt auf 567.000 Erwerbstätige. Aufgrund des Strukturwandels und bestehender Investitionsnotwendigkeiten könnten gute „Green Jobs“ in staatsnahen nachhaltigen Wirtschaftsbereichen entstehen. Daran wird deutlich, wie groß das Potenzial ist, ebenso soziale Nachhaltigkeit durch eine bessere Politik und Praxis öffentlicher Beschaffung voranzutreiben.
Vergaberecht nutzen und sozial-ökologisch weiterentwickeln
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die öffentliche Beschaffung finden sich einerseits im nationalen, andererseits im EU-Recht. Auf österreichischer Ebene wird die öffentliche Beschaffung durch das Bundesvergabegesetz (BVergG 2018) geregelt. Dieses sieht sogar eine verpflichtende Berücksichtigung der ökologischen Dimension in der öffentlichen Beschaffung vor, indem gemäß § 20 bzw. § 193 Absatz 5 BVergG 2018 im Vergabeverfahren (verpflichtend) auf die Umweltgerechtheit der Leistung Bedacht zu nehmen ist. Das Gesetz sieht insbesondere folgende Kriterien für eine ökologische Vergabe vor: Energieeffizienz, Materialeffizienz, Abfall- und Emissionsvermeidung, Bodenschutz und Tierschutz. Außerdem wurde im Jahr 2010 der Aktionsplan zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung (naBe) ins Leben gerufen, der neben der ökologischen auch die soziale Dimension beinhaltet. Der naBe und seine Kriterien sind zwar nicht rechtsverbindlich, jedoch konkretisieren sie das Gesetz und werden vom Bund und den Sektorenauftraggebern, wie beispielsweise den ÖBB, als Selbstverpflichtung verstanden und auch so umgesetzt. Bei der konkreten Umsetzung der ökologischen Aspekte besteht allerdings ein großer rechtlicher Spielraum, weswegen sich die Verwaltungspraxis österreich- und EU-weit äußerst heterogen im Hinblick auf Ausschreibungsgestaltung und Wahrnehmung der Auftraggeberverantwortung gestaltet.
Derzeit bestehen auf EU-Ebene großteils umfangreiche, branchenspezifische und technische Kriterienkataloge für „Green Public Procurement“, deren Anwendung auf freiwilliger Basis stattfindet. Mit dem Entwurf für einen „Net-Zero Industry Act“ werden hingegen neue, verbindliche und unmittelbar anwendbare vergaberechtliche Bestimmungen vorgeschlagen, die im Wesentlichen bedeuten, dass öffentliche Auftraggeber bei der Beschaffung von Netto-Null-Technologien künftig Nachhaltigkeits- und Resilienzkriterien beim Zuschlag (gewichtet mit 15 bis 30 Prozent) zu berücksichtigen haben. Davon kann nur abgesehen werden, wenn zu erwarten ist, dass unverhältnismäßig hohe Kosten oder technische Schwierigkeiten eintreten. Der Green Deal Industrial Plan der EU begnügt sich mit einem vereinfachten Rahmen für Förderungen, Investitionen und Genehmigungsverfahren für CO2-neutrale Technologien und Produkte; das Kriterium „regionale Wertschöpfung“ ist darin nicht als Bedingung für die Subventionsvergabe vorgesehen. Es verwundert daher nicht, dass weitergehende Vorgaben zur Regionalisierung der Produktion, etwa mittels „Buy at home“- oder „Local content“-Klauseln wieder diskutiert bzw. in einigen Mitgliedsstaaten eingeführt werden, wobei solche Klauseln nicht schon per se für Nachhaltigkeit stehen. Um eine sozial-ökologische Auftragsvergabe sicherzustellen, sollte eine Reform des BVergG nationale und internationale Wertschöpfungsketten einbeziehen und folgende Punkte umfassen:
- Verpflichtende Aufnahme folgender ökologischer Kriterien als Eignungskriterien: Energieeffizienz, Materialeffizienz, Abfall- und Emissionsvermeidung. Diese Kriterien müssen in der öffentlichen Ausschreibung entsprechend den Vorgaben der Pariser Klimaziele Berücksichtigung finden und gezielt die verwendeten Inputs bzw. das Material festlegen.
Die Operationalisierung der Kriterien könnte dabei u. a. durch Vorgaben für die zur Verwendung vorgesehenen Inputs und Materialien sowie Bevorzugung regionaler Anbieter:innen und Vorleister:innen auf allen Stufen der Wertschöpfungsketten erreicht werden. So kann die Ebene der Vorprodukte, die die Studie als kritisch identifiziert, gezielt beeinflusst werden.
- Sofern ein Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht gemäß den neuen Anforderungen der EU-Richtlinie zur „Nachhaltigkeitsberichterstattung“ (CSRD) erstellen muss, wäre es zielführend, diesen Bericht den Angebotsunterlagen beizuschließen bzw. den Ort der Veröffentlichung anzugeben.
- Aufnahme von Boden- und Tierschutz als ökologische Kriterien als Zuschlagskriterium.
- Aufnahme von folgenden sozialen Kriterien als Zuschlagskriterien: Beschäftigung von am Arbeitsmarkt benachteiligten Personengruppen (z. B. Arbeitnehmer:innen 50+, Langzeitarbeitslose, Jugendliche), qualitätsgesicherte Lehrlingsausbildung, nachhaltige Beschäftigungsdauer im Betrieb, Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen hin zu einer umweltschonenden Ausübung der derzeitigen Tätigkeit und Umschulungsmaßnahmen auf ökologisch nachhaltige Berufe.
- Verpflichtende Generalunternehmerhaftung bei Subunternehmen hinsichtlich arbeits- und sozialrechtlicher Standards. Abschaffung der sogenannten Zustimmungsfiktion zugunsten des Auftraggebers, stattdessen ausdrückliche Zustimmung des Auftraggebers bei Subunternehmerwechsel.
Zudem ist eine jährliche Evaluierung der Vergabepraxis zumindest der größten öffentlichen Auftraggeber im Einklang mit konkreten CO2-Reduktionspfaden zur Erreichung der Klimaziele notwendig. Solange kein Klimaschutzgesetz beschlossen ist, sollten die entsprechenden Zielvorgaben im Rahmen eines Aktionsplans für die öffentliche Auftragsvergabe definiert werden. Mit jedem Jahr, in dem die Zielvorgaben nicht erreicht werden, wären die Kriterien nachzuschärfen, um die Klimaziele zu erreichen. Unterstützend könnte außerdem eine neu einzurichtende Beratungsstelle für Auftraggeber und Auftragnehmer wirken, um Hilfestellung bei Interpretation und Umsetzung der sozialen und ökologischen Kriterien sowie Evaluierung von Ausschreibungen und Angeboten zu leisten.
Um die Klimaziele zu erreichen, gilt es, alle Hebel in Bewegung zu setzen. Die öffentlichen Aufträge wären aufgrund ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung ein zentraler wirtschaftspolitischer Hebel für die gerechte Gestaltung der Transformation zu einer CO2-neutralen Wirtschaft. Politik und Praxis der öffentlichen Beschaffung müssen dafür auf hohem sozial-ökologischem Niveau EU-weit harmonisiert werden.