Sozial-ökologische Vergabe – Science oder Fiction?

25. November 2022

Eine nicht nur nach dem niedrigsten Preis, sondern auch nach Kriterien der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit ausgerichtete Vergabe von öffentlichen Aufträgen oder Subventionen wäre ein zentraler wirtschaftspolitischer Hebel für die gerechte Gestaltung der Transformation zu einer CO2-neutralen Wirtschaft. So etwa die Durchführung von Bauprojekten ohne ausbeuterische Behandlung migrantischer Arbeitskräfte oder die Konditionierung der Auszahlung von Beihilfen mit sozialen Kriterien beim Ausbau erneuerbarer Energieträger. Ein Realitätscheck.

Öffentlich oder privat: „Mall of Shame“, „Henry am Zug“

Ein besonders auffälliges Beispiel für sozial unverantwortliche Vergabe im Rahmen eines Bauprojektes ist die sogenannte „Mall of Shame“ (Mall of Berlin) in Berlin, ein Shopping- und Wohnungskomplex, der 2014 eröffnet wurde. Für die Errichtung dieses Großprojektes wurden Hunderte Arbeiter aus Rumänien durch Subauftragnehmer für einen Stundenlohn von sechs Euro beschäftigt. Letztlich musste dieser, den tarifvertraglichen Lohn für die Baubranche weit unterschreitende Lohn gerichtlich eingeklagt werden. Er wurde dennoch nicht vollständig bezahlt, denn die Subunternehmen meldeten Konkurs an – eine gängige Praxis. Das Arbeitsgericht entschied zudem, dass nur die Subunternehmen dafür verantwortlich wären, wie Bauarbeiter behandelt und bezahlt werden, nicht aber der Generalunternehmer (die HGHI Leipziger Platz GmbH & Co. KG.). Dies alles geschah vor den Toren des Berliner Abgeordnetenhauses, die feierliche Eröffnung wurde vom damaligen Berliner Bürgermeister begleitet. Kontrollen auf der Baustelle durch die öffentliche Hand, insbesondere die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, fanden offenbar unzureichend oder gar nicht statt. Nichtbezahlung von Lohn, Einsatz von scheinselbstständigen Bauarbeitern und Baulogistik mit Subunternehmerketten blieb also ein Kavaliersdelikt.

Der österreichische Fall „Henry am Zug“, der es bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) geschafft hat, zeichnet ein ähnliches Bild: Auf den Zugstrecken der österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) von Budapest nach München wurde das Personal von einem ungarischen Subunternehmer (Henry am Zug) gestellt. Das österreichische Recht sieht vor, dass eine solche Entsendung von Beschäftigten über Ländergrenzen hinweg vorab angezeigt werden muss. Doch weder erfolgte die Vorabanzeige, noch entlohnte das Unternehmen seine Beschäftigten für die Fahrt durch Österreich entsprechend dem österreichischen Kollektivvertrag. Vielmehr bekamen sie den deutlich niedrigeren ungarischen Lohn. Auf diese Weise wurde der zentrale Grundsatz der EU-Entsenderichtlinie, nämlich „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, unterlaufen. Der EuGH ging jedoch – im Zweifel für die Marktfreiheiten – davon aus, dass die Beschäftigten ihren Dienst in Ungarn antreten (z. B. Waren einsortieren würden) und beenden (z. B. abrechnen). Eine hinreichende Verbindung zu Österreich wurde nicht bejaht. Die ÖBB – ein öffentlicher Auftraggeber – haben die Zusammenarbeit mit Henry am Zug daraufhin wegen der schlechten Optik beendet. Laut Urteil des EuGH war jedoch alles rechtens.

Aus dieser beispielhaften Aufzählung ergib sich die klare Forderung: Keine Vergabe öffentlicher Aufträge oder Subventionen ohne sozial- und arbeitsrechtliche Konditionalität. Europaweit muss der Grundsatz der Einhaltung von Mindestlöhnen bzw. des vor Ort geltenden Kollektivvertrages sowie die Schaffung guter Arbeit gelten.

Was Gewerkschaften und AK darunter verstehen und wie eine derartige Konditionalität durch den Gesetzgeber vorgesehen werden kann, das soll im Folgenden am Beispiel des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes dargestellt werden.

 „Ökosoziale“ Vergabe von Subventionen

Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) wurde 2021 novelliert. Es soll durch Subventionen in Form von Investitionszuschüssen und Marktprämien verstärkt Anreize für die Erzeugung von erneuerbarem Strom aus Wasserkraft, Windkraft, Photovoltaik, fester Biomasse und Biogas sowie für die Errichtung und Erweiterung von Photovoltaikanlagen, Stromspeichern und Windkraftanlagen setzen. Auf die Förderungen herrscht großer Andrang: Beim vierten Angebotsaufruf (Call) im Oktober 2022 meldeten sich bereits in den ersten fünf Minuten mehr als 23.600 Förderinteressenten.

Zusätzlich zu allgemeinen Fördervoraussetzungen beim Marktprämienverfahren nach § 10 EAG wurden besondere Ziele in § 6 EAG (Nachhaltigkeitskriterien) und § 6a EAG (ökosoziale Kriterien) normiert, die durch eine Verordnung näher bestimmt werden können. Die vom Gesetzgeber vorgegebenen Kriterien sollen erhöhte Schutzstandards für Beschäftigte vorsehen sowie die regionale Wertschöpfung verbessern. Es liegt nunmehr in der Verantwortung der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft eine solche Verordnung zu erlassen.

ÖGB und AK haben bereits konkrete Vorschläge entwickelt, welche sozialen Kriterien zur Prüfung der Eignung von Subventionsempfänger:innen in das Zuschlagsverfahren eingebaut werden sollten:

  • Einhaltung von lohn- und sozialrechtlichen Vorschriften, keine arbeits- oder sozialstrafrechtliche Verurteilung. Keine Verurteilung nach Ausländerbeschäftigungsgesetz bzw. Meldung nach Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetz.
  • Anwendung branchenüblicher Kollektivverträge bzw. Einhaltung der entsprechenden arbeits- und sozialrechtlichen Standards sowie Entlohnung.
  • Vorhandensein eines Betriebsrates (wenn in einem Betrieb dauernd mindestens fünf Arbeitnehmer:innen beschäftigt sind) bzw. Nachweis der Förderung der Einrichtung eines solchen.
  • Beschäftigung von am Arbeitsmarkt benachteiligten Personengruppen (Arbeitnehmer:innen 50+, Langzeitarbeitslose, Jugendliche etc.).
  • Erhöhung und Förderung der Beschäftigungsdauer im Betrieb (zur Zurückdrängung prekärer Arbeitsverhältnisse, wie insbesondere Leiharbeit).
  • Verantwortungsvolle Personalstrategie (Fortbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten, Dienstkontinuität etc.).
  • Qualitätsgesicherte Lehrausbildung, Erfüllung von Lehrausbildungsquoten.
  • Maßnahmen zur Geschlechtergleichstellung und Nichtdiskriminierung (Förderung der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, Gewährleistung der Gleichbehandlung am Arbeitsplatz etc.).
  • Förderung der österreichischen (europäischen) Wertschöpfung in der Einkaufsstrategie – etwa von Komponenten.

Die Überlegung dazu ist klar: Wenn staatliche Subventionen, die von den österreichischen Steuerzahler:innen aufgebracht werden, vergeben werden, muss es arbeits- und sozialrechtliche Konditionalitäten geben. Gleichzeitig soll aber der Kreis der Subventionsempfänger:innen nicht auf einige wenige Großunternehmen eingeschränkt, sondern es sollen auch KMU berücksichtigt werden können.

Deshalb sieht das Konzept vor, dass die Subventionsempfänger:innen nicht alle Kriterien erfüllen müssen. Vielmehr verstehen sich die aufgezählten Kriterien als ein Pool, aus dem drei Kriterien zu erfüllen sind. Auf diese Weise wird der faire Wettbewerb gewahrt und einer Marktkonzentration entgegengewirkt.

Um der Systematik des Vergaberechts gerecht zu werden, sollten die ökosozialen Kriterien im Übrigen schon im Rahmen der Eignungsprüfung der Subventionswerber:innen berücksichtigt werden. Der Nachweis, dass die vorgeschlagenen Kriterien erfüllt werden, erfolgt dabei – wie üblich – durch Eigenerklärung im Sinne des § 80 Bundesvergabegesetz sowie durch Vorlage entsprechender Unterlagen (Registerauszug, Darstellung der Kriterienerfüllung durch Jahresberichte, Betriebsvereinbarungen etc.).

Wie schon in den eingangs besprochenen Beispielen dargestellt, steht und fällt eine zukünftige Verordnung mit der Frage der Kontrolle. Der Ökostrom Beirat Wien oder Klima- und Energiefonds beweisen, dass dies möglich ist. Ohne zumindest stichprobenartige Überprüfung und konsequente Sanktionierung der Verstöße gegen die Förderbedingungen bleiben die Konditionalitäten ansonsten nur Papiertiger.

Qualitätswettbewerb bei öffentlicher Vergabe und Subventionen

Der Staat hat als Auftraggeber und Förderer eine Vorbildrolle. Die Realität der Umsetzung von Vergabeprojekten vor allem bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist immer noch von Lohn- und Sozialdumping geprägt. Unfairer Wettbewerb durch Unterbieten bei Lohn, Sozialversicherungsabgaben und allgemeinen Arbeitsstandards untergräbt den Zusammenhalt in der Europäischen Union.

Das europäische Vergaberecht, wie auch das europäische Beihilfenrecht, muss dem gegensteuern. Die Auszahlung von Steuergeldern muss in Zukunft standardmäßig an sozial-ökoIogische Konditionen gebunden werden. Bereits heute ist in den EU-Vergaberichtlinien die Möglichkeit vorgesehen, die Vergabe nicht allein an den günstigsten Preis zu binden. Doch das reicht nicht aus, da es weiterhin der Entscheidung der Mitgliedstaaten überlassen bleibt, ob der billigste Preis oder das wirtschaftlich günstigste Angebot, das auf soziale, arbeitsrechtliche und Umweltaspekte Rücksicht nimmt, den Zuschlag erhält. Es bedarf daher einer Nachjustierung, indem Subunternehmerketten beschränkt und die Berücksichtigung sozial- und arbeitsrechtlicher Kriterien neben dem Preis beim Zuschlag verpflichtend vorgesehen werden.

Doch auch das reicht nicht aus: Neben der Vorbildrolle, die die öffentliche Auftragsvergabe einnehmen muss – es geht europaweit um 1,9 Billionen Euro oder rund 19 Prozent des europäischen BIP (Themenblatt zum Europäischen Semester – Öffentliches Auftragswesen) –, muss auch die Privatwirtschaft stärker kontrolliert werden. Zustände wie in der Mall of Berlin sind inakzeptabel. Es bedarf einer Aufstockung der Kontrollbehörden – Arbeitsinspektorat in Österreich bzw. Finanzkontrolle Schwarzarbeit in Deutschland. Die Entwicklung eines Echtzeitregisters sowie eines Europäischen Sozialversicherungspasses stehen schon seit Langem auf der Forderungsagenda der Gewerkschaften zur Bekämpfung der Schwarzarbeit.

Der Befund zeigt: Die sozial-ökologische Vergabe ist erst im Entstehen begriffen. Derzeit mehr als Fiction (oder Vision) als Science – oder gar Praxis. Die neue Regelung des § 6a EAG ist ein Weg, wie die Vergabe von Subventionen an soziale Kriterien geknüpft werden kann. Diese neue Norm bietet sich als Vorlage für weitere bereichsspezifische Regelungen bei der Vergabe von Beihilfen an.

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