Mit geschätzten 18 Prozent des BIP in Österreich stellt das Einkaufsvolumen des öffentlichen Sektors ein großes Potenzial für Verbesserungen von Produktionsbedingungen dar. Um es zu nützen, bedarf es neben dem politischen Wille einer klugen Ausgestaltung und institutionellen Unterstützung öffentlicher Beschaffung, die den Zugang zu lukrativen öffentlichen Aufträgen an die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards bindet – in Österreich, der EU sowie in globalen Wertschöpfungsketten.
Einkaufsmacht und Rechtsstaat nutzen
Zugegeben: Die Idee ist nicht neu – bereits im 19. Jahrhundert wurden öffentliche Aufträge an bestimmte Konditionalitäten geknüpft. So erließ der US-Präsident Martin Van Buren im Jahr 1840 eine Durchführungsverordnung, die den 10-Stunden-Arbeitstag für Beschäftigte im Kontext öffentlicher Aufträge zur Norm machen sollte. 1891 verabschiedete das britische Unterhaus eine Resolution zu fairen Löhnen, die öffentliche Stellen dazu verpflichtet, in allen Verträgen mit privaten Unternehmen Klauseln zur Zahlung fairer Löhne zu verankern. In jüngerer Zeit hatten in Deutschland insbesondere die Gewerkschaften seit den 2000er Jahren eine ähnliche Strategie verfolgt. Dabei haben sie im Verbund mit NGOs an der Etablierung zahlreicher Landesvergabegesetze gearbeitet, die neben Mindestlöhnen auch weitere soziale und ökologische Vorgaben machten, die im Rahmen der öffentlichen Beschaffung zu berücksichtigen sind.
Von vergabefremden Kriterien zur strategischen öffentlichen Beschaffung
Im letzten Jahrzehnt hat sich das Grundverständnis von öffentlicher Beschaffung in Europa gewandelt. Lange Zeit galt die Berücksichtigung von sozialen oder ökologischen Dimensionen als „vergabefremde“ Kriterien, die den etablierten Grundsätzen des öffentlichen Auftragswesens (z. B.: Gleichbehandlung, Transparenz und Effizienz) potenziell in die Quere kommen könnten. Ausgehend von der europäischen Ebene wurde durch entsprechende EU-Richtlinien die vorhandenen Spielräume erweitert und abgesichert. Daneben wurde in der Mitteilung der Europäischen Kommission (2017) auch ein neuer Ton angeschlagen. Öffentliche Beschaffung wurde darin als ein Feld strategischer Wirtschaftspolitik gerahmt, in dem die Integration vormals „vergabefremder“ Kriterien zu einem zentralen Element aufgewertet wurde. Damit wurde strategische Beschaffung offiziell wieder zu dem, was sie im Hintergrund in einzelnen Bereichen wie der F&E-Politik und KMU-Förderung immer war: ein Instrument im Werkzeugkasten eines „unternehmerischen Staats“ vor dem Hintergrund einer gemischtwirtschaftlichen Ordnung. Begleitet wurde diese neue europäische öffentliche Beschaffungsstrategie, durch Leitfäden und Pilotprojekte, die diese Neuausrichtung in der Vergabepraxis unterstützen sollten.
Wo steht Österreich?
Je nachdem, welche Zielsetzung primär verfolgt wird, kann man von innovativer, ökologischer oder sozial verantwortlicher öffentlicher Beschaffung sprechen. In der Vergangenheit wurden in Österreich hier insbesondere im Bereich ökologischer Beschaffung Schwerpunkte gesetzt, und zwar sowohl auf Bundesebene (insb. Aktionsplan Nachhaltige Beschaffung) als auch durch verschiedene andere Gebietskörperschaften. Initiativen zur sozial verantwortlichen öffentlichen Beschaffung sind weniger systematisch implementiert. Ein auch von der Europäischen Kommission hervorgehobenes Beispiel ist die Verknüpfung von Gleichstellungspolitik und öffentlicher Vergabe, die die Stadt Wien seit 2010 innerhalb des Magistrats ausrollt. Die meisten Maßnahmen im Feld von sozial verantwortlicher öffentlicher Beschaffung zielen dabei auf das unmittelbare lokale oder regionale Umfeld bzw. den Arbeitsmarkt ab (z. B. durch die explizite Berücksichtigung von benachteiligten Gruppen wie Langzeitarbeitslosen). Daneben gibt es einige wenige Initiativen, die auch die internationale Dimension öffentlicher Beschaffung in den Blick nehmen und mit sozial verantwortlichem Einkauf die Bedingungen in globalen Wertschöpfungsketten verbessern möchten. Diese finden sich primär auf kommunaler Ebene und wurden vor allem durch zivilgesellschaftliche Initiativen und engagierte BürgerInnen in Fairtrade- und Klimabündnis-Gemeinden vorangetrieben.
Mehr internationale Verantwortung und strategische Beschaffung wagen
Damit diese begrüßenswerten Initiativen nicht kleine Inseln im Meer „organisierter Verantwortungslosigkeit“ (Ulrich Beck) bleiben, bedarf es von der Bundesebene abwärts klarer Ansagen und Zielsetzungen, wie dies teilweise im Bereich ökologischer öffentlicher Beschaffung geschieht. Neben dem politischen Willen muss auch die öffentliche Verwaltung in der Lage sein, diese Vorgaben schrittweise zu vollziehen. Dazu braucht es neben Käufermacht (die durch zentrale Beschaffungsstellen weiter gebündelt werden kann) vor allem auch administrative Kompetenzen und institutionelle Unterstützung, um den Beschaffungsprozess zu implementieren sowie die Einhaltung der Kriterien in globalen Wertschöpfungsketten zu kontrollieren. Die konkrete Ausgestaltung des Vergabeprozesses wird sich je nach eingekaufter Leistung unterscheiden: So gibt es beispielsweise für den Bezug von Fairtrade-Lebensmitteln etablierte Mechanismen, die rasch und unkompliziert in den bestehenden Strukturen ausgerollt werden können. Ähnlich verhält es sich für bestimmte Produkte der Arbeitsbekleidung wie T-Shirts. Herausfordernder wird es etwa im Bereich der IT-Beschaffung, wo es bisher aufgrund der komplexeren Wertschöpfungsketten kaum Angebote gibt, die den Ansprüchen eines ökologisch und sozial fairen Produkts einigermaßen entsprechen.
Ein strategisches Beschaffungsverständnis vorausgesetzt, ist dies aber kein grundsätzliches Problem, sondern eher eine Frage der (politischen) Prioritätensetzung und institutionellen Unterstützung. Schweden zeigt dies vor, indem neben eines ambitionierten öffentlichen Beschaffungsgesetzes auch entsprechende Strategien entwickelt und öffentliche Einheiten geschaffen werden. Insbesondere werden die bestehenden Kooperationsstrukturen auf regionaler Ebene genutzt, die trotz zentralstaatlicher Verfasstheit ein hohes Maß an Eigenständigkeit im Bereich strategischer Beschaffung aufweisen. Darüber hinaus ist die Kooperation mit NGOs und anderen Akteuren für den Bereich der Beratung und Überwachung in Produktionsländern ein wichtiger Bestandteil sozial verantwortlicher Beschaffung in den schwedischen Regionen. Auch in anderen Feldern wird sichtbar, wie die öffentliche Hand durch einen proaktiven Zugang die Entwicklung neuer Produkte gestalten kann, indem sie Unternehmen ihren Bedarf signalisiert und allenfalls auch gemeinsam mit ihnen an der Realisierung (z. B. in Form von Marktdialogen oder speziellen Vergabeverfahren) arbeitet. Die Stadt Wien beispielsweise beteiligt sich führend an einer Arbeitsgruppe zu emissionsfreien Baustellen der europäischen Big-Buyers-Initiative. Deren Kernidee ist, dass sich durch die Koordination unterschiedlicher, großer und kleiner öffentlicher Abnehmer in Europa zum einen ein kritisches Einkaufsvolumen erreichen lässt, das nicht ignoriert werden kann. Zum anderen geht es dabei auch um einen strukturierten Austausch zu Marktinformationen und technischen Innovationen sowie darum, Vergabeprozesse gemeinsam zu entwickeln und zu unterstützen.
Vernetzung und unabhängiges Monitoring
Einen sektorspezifischen Ansatz zur Bündelung und Koordinierung öffentlicher Auftraggeber versucht Electronics Watch seit mehreren Jahren im Bereich der IT-Beschaffung umzusetzen. Dabei arbeitet man mit verschiedenen Einrichtungen des öffentlichen Sektors (aktuell: über 400 Mitglieder in Europa und Australien) zusammen, um die großen Oligopolisten der Elektronikfertigung stärker in Richtung sozialer Standards zu verpflichten. Zentral ist dabei die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und Gewerkschaften in den Produzentenländern, damit ein arbeitsorientiertes und unabhängiges Monitoring gewährleistet wird. Electronics Watch überprüft jedoch nicht nur Verstöße im Bereich der Menschen- und Arbeitsrechte, sondern organisiert auch die notwendigen betrieblichen Verbesserungsprozesse. Die Wiedergutmachung wird in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Hersteller, der/den Markenfirma/en und oft auch dem Industrieverband Responsible Business Alliance (RBA) erarbeitet. Neben zahlreichen Universitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen sind auch einige zentrale Beschaffungsstellen Mitglied. Zuletzt ist Dataport, einer der größten öffentliche IT-Beschaffer Deutschlands, der die IT-Beschaffung von sechs deutschen Bundesländern organisiert, beigetreten. Dataport hatte schon seit einigen Jahren vertraglich auf die Einhaltung von bestimmten Mindeststandards (z. B. ILO-Kernarbeitsnormen) im Rahmen seines Konzeptmodells bestanden. Durch die Zusammenarbeit im Rahmen von Electronics Watch geht man konsequent den nächsten Schritt, um eine bessere Überprüfbarkeit und Durchsetzung der eingeforderten Kriterien sicherzustellen.
Testballon „digitale Endgeräte für Schülerinnen und Schüler“?
In Österreich gibt es auf Bundesebene bisher keine ernsthaften Bemühungen, um mehr internationale Verantwortung und strategische öffentliche Beschaffung zu verknüpfen. Eine naheliegende Gelegenheit wäre die laut Selbstdarstellung der Bundesregierung „größte Reform (…), die es seit Einführung des Schulbuchs gegeben hat“. Dabei geht es um die Ausstattung von rund 150.000 SchülerInnen mit digitalen Endgeräten im Rahmen des 8-Punkte-Plans zur digitalen Schule. Insgesamt stehen für die Digitalisierungsoffensive rund 250 Mio. Euro zur Verfügung. Offenbar steckt man aber noch im Zeitalter „vergabefremder Kriterien“ fest, denn die Ausschreibung für die digitalen Endgeräte wurde auf Basis des Billigstbieterprinzips durchgeführt. Dabei gäbe es mit der BBG durchaus eine bewährte zentrale öffentliche Beschaffungsstelle, die aufbauend auf internationale Erfahrungen und in Zusammenarbeit mit anderen Vorbildfunktion übernehmen könnte. Damit lässt man das Potenzial ungenutzt, Produktionsbedingungen in globalen Wertschöpfungsketten zu verbessern.
Dieser Beitrag beruht auf dem DFG-FWF Projekt Labour Governance in Global Production Networks Assessing labour standards in a new generation of public procurement legislation and trade agreements linked to market access into the European Union.