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Verstöße können auf zwei Arten sanktioniert werden: Einerseits sollen unabhängige Verwaltungsbehörden die Einhaltung der Sorgfaltspflichten kontrollieren und sie können auch Verwaltungsstrafen verhängen. Andererseits sollen Unternehmen in engem Rahmen für eingetretene Schäden haften.
Nur große Unternehmen erfasst
Der vorliegende Entwurf erfasst weniger als 0,2 Prozent der EU-Unternehmen und rund 0,06 Prozent der österreichischen Unternehmen. KMUs, die mehr als 99 Prozent der europäischen Unternehmen stellen, sind vom Anwendungsbereich nicht erfasst. Das Bild, das dadurch entsteht, ist verheerend: Die Achtung von Menschenrechten und Umwelt soll demnach lediglich Angelegenheit weniger großer Konzerne sein. Die Kriterien MitarbeiterInnenanzahl und Umsatz sind in keiner Weise dafür aussagekräftig, ob menschenrechtliche Risiken in der Lieferkette auftreten können. Dieses Vorgehen widerspricht diametral den internationalen Standards, die angemessene und verhältnismäßige Sorgfaltspflichten für alle Unternehmen vorsehen. Zugleich wird damit die Chance verpasst, faire Wettbewerbsbedingungen für europäische und heimische Unternehmen zu schaffen. Denn gerade viele österreichische Unternehmen werden am Markt benachteiligt, weil sie höhere Standards einhalten und dadurch höhere Kosten zu tragen haben. Mit dem nun präsentierten Entwurf wird diese Schieflage nicht korrigiert, und es hat weiterhin ein Großteil jener Unternehmen Wettbewerbsvorteile, die sich nicht um die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten kümmern. Zugleich kann nur eine Erfassung aller Unternehmen für den Brüssel-Effekt sorgen, sodass eine europäische Regelung einen starken Hebel darstellt und die Zusammenarbeit von Unternehmen entlang ihrer Lieferketten fördert.
Die Ausnahme aller KMUs ist aber auch aus anderen Blickpunkten nicht nachvollziehbar: Eine von der EU-Kommission selbst beauftragte Studie kommt zum Ergebnis, dass sich die Mehrkosten für KMUs durch die Einführung von Sorgfaltspflichtenprozessen auf lediglich 0,074 Prozent des Umsatzes belaufen. Entsprechend kam sogar die Folgenabschätzung der Kommission zum Ergebnis, dass die teilweise Erfassung von KMUs der beste Regulierungsansatz in einer Richtlinie sei. Nach zwei negativen Stellungnahmen des unter massivem Lobbyverdacht stehenden Ausschusses für Regulierungskontrolle wurde jedoch plötzlich eklatant von den Schlussfolgerungen der Folgenabschätzung abgegangen.
Fehlender Fokus auf ArbeitnehmerInnen
Bei dem Versuch, Unternehmen einfache und leicht operable Lösungen an die Hand zu geben, verliert die EU-Kommission leider die Menschen aus dem Blick, die im Fokus dieser Richtlinie stehen sollten. Die EK baut zwar auf den mehrstufigen Sorgfaltspflichtenprozess (siehe Bild) der OECD-Leitsätze auf, weicht aber dann in der Umsetzung der einzelnen Schritte eklatant von den Schwerpunkten der einzelnen Schritte ab. Mit Mustervertragsklauseln, die entlang der Lieferkette „weitergereicht“ werden sollen, und anschließender Überprüfung der Compliance durch Brancheninitiativen oder unabhängige Audits durch Dritte setzt die Kommission stark auf formale, einseitige Unternehmensmaßnahmen. Demgegenüber fehlen explizite Verweise im Richtlinientext auf negative Auswirkungen, die vom Unternehmen selbst ausgehen können. Das betrifft unfaire Beschaffungspraktiken, wie Preisdiktate, unverhältnismäßig kurze Lieferfristen oder umgekehrt kurzfristige Auftragsstornierungen.
Um die Situation von ArbeiterInnen und der lokalen Bevölkerung in globalen Lieferketten tatsächlich und nachhaltig zu verbessern, braucht es eine verpflichtende Einbindung, den Austausch und die Partizipation von und mit allen betroffenen Stakeholder-Gruppen, insbesondere von Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenvertretungen. Sie kennen die Lage vor Ort genau und können Auskunft darüber geben, welche Maßnahmen Verbesserungen bringen und welche nicht. Der jetzige Entwurf sieht eine solche Zusammenarbeit jedoch nur punktuell und nicht verpflichtend vor. Die Möglichkeit für Gewerkschaften, sich im Rahmen des Beschwerdeverfahrens einzubringen, ist zwar zu begrüßen, stellt jedoch eine rein reaktive Möglichkeit der Beteiligung dar. Um dem Ziel der Richtlinie gerecht zu werden, präventiv Menschenrechte und Umwelt zu schützen, ist jedoch eine proaktive, gesamtheitliche Einbindung in den Sorgfaltspflichtenprozess erforderlich. Die im Entwurf enthaltenen partizipativen Elemente wie die Erstellung von präventiven Aktionsplänen mit Stakeholdern, gezielte Unterstützung von KMUs in der eigenen Lieferkette müssen begrifflich gestärkt und hervorgekehrt werden. In diesem Sinne sind auch Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenvertretungen explizit als Stakeholder zu definieren.
Der menschenrechtszentrierte Ansatz fehlt leider auch im Bereich der Wiedergutmachung für Schäden, die Betroffene erlitten haben. Der Entwurf sieht eine stark eingeschränkte Haftung für Unternehmen vor, wenn diese ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen. Damit wird grundsätzlich der Klagsweg eröffnet, um Entschädigung zu erhalten. Transnationale Verfahren sind jedoch komplex, langwierig und teuer. Zahlreiche Hürden wie kurze Verjährungsfristen, Zugang zu Beweismitteln, hohe Verfahrenskosten, eingeschränkte Möglichkeiten für Verbandsklagen und unverhältnismäßige Beweislastverteilung adressiert der Entwurf nicht. Ebenso wenig sind andere Formen der Wiedergutmachung abseits finanzieller Kompensation angedacht: formelle Entschuldigungen, Unterstützung bei physischen oder psychischen Heilungsprozessen, Wiedereinstellung oder die Sanktionierung verantwortlicher Personen.
Im September 2012 starben 258 Menschen beim Brand der pakistanischen Textilfabrik Ali Enterprises. Diese produzierte vorwiegend für KiK. Elementare Sicherheitsbestimmungen wurden nicht eingehalten, obwohl die Fabrik nur drei Wochen zuvor vom Zertifizierungsunternehmen RINA mit dem SA 8000 Gütesiegel zertifiziert wurde, welches auch hohe Sicherheitsstandards garantieren soll. 2019 entschied ein deutsches Gericht nach einem vierjährigen Verfahren, dass die Ansprüche nach pakistanischem Recht verjährt sind. Zu einer inhaltlichen Prüfung kam es nicht.
Es braucht einen risikobasierten Ansatz
Der Entwurf der Kommission beschränkt die Sorgfaltspflichten entlang der Wertschöpfungskette auf das neu eingeführte Konzept von „etablierten Geschäftsbeziehungen“. Der Begriff wird im Entwurf nicht genau definiert. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass es sich dabei um „dauerhafte“ oder „intensive“ Beziehungen handelt. Das Entgegenkommen für Unternehmen, die sich demnach auf nahe und strategische Geschäftsbeziehungen konzentrieren, läuft internationalen Standards entgegen. Diese bauen darauf auf, dass Unternehmen bemüht sein sollen, zuerst die schwerwiegendsten bzw. irreversiblen Missstände in ihren Lieferketten durch das Konzept der Priorisierung zu adressieren. Damit besteht die Gefahr, dass Spielräume geschaffen werden, die Sorgfaltspflichten zu umgehen. Zu bedenken ist auch, dass insbesondere kurzfristige Geschäfte oft Risiken für Menschen und Umwelt mit sich bringen. Sorgfaltspflichten müssen dort ausgeübt werden, wo schwerste Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße passieren, und nicht dort, wo eine erfolgreiche Subsumtion unter „etablierte Geschäftsbeziehungen“ erfolgt ist. Besonders häufig treten negative Auswirkungen am Anfang der Lieferkette auf, etwa bei der Rohstoffgewinnung oder der Produktion der Waren.
Das in diesem Kontext oft vorgebrachte Argument der fehlenden Hebelwirkung von Unternehmen (dazu bereits 1) wurde bereits von John Ruggie klar zurückgewiesen. Unternehmensverantwortung entsteht für schwerwiegende identifizierte Risiken in der Lieferkette. Ausgehend davon muss in einem zweiten Schritt gefragt werden, welche Möglichkeiten dem Unternehmen zur Verfügung stehen, seinen Einfluss geltend zu machen. Ansätze, die das Offenlegen anstelle des Zudeckens von Problemen zum Ziel haben, müssen gefördert werden. Auch hier gibt es bewährte partizipative Handlungsmöglichkeiten, angefangen von Multistakeholder-Initiativen über das Bereitstellen von Expertise und Capacity Building bis hin zur Zusammenarbeit mit NGOs und internationalen Organisationen.
Die Umsetzung eines risikobasierten Ansatzes bedeutet auch, zuvorderst jene Branchen von der Sorgfaltspflicht zu erfassen, von denen ein erhöhtes menschen- und umweltrechtliches Risiko ausgeht. Die EU-Kommission tut dies unzureichend und nur teilweise, durch die Herabsetzung der MitarbeiterInnen- und Umsatzgrenzen in den Bereichen Landwirtschaft, Textiles und Rohstoffe. Der Finanzsektor, für den die OECD als Hochrisikobereich einen sektorspezifischen Leitfaden herausgegeben hat, ist dabei jedoch nicht erfasst. Zudem sind für den Finanzsektor im Richtlinientext weitere Ausnahmen normiert wie Begrenzungen der Sorgfaltspflichten auf die vorvertragliche Phase und große Kunden. Eine lückenlose Integration des Finanzsektors ist vor dem Hintergrund der weitgehenden internationalen Verflechtungen österreichischer Banken und Finanzdienstleister besonders zentral. Als weitere nicht erfasste Hochrisikobranche ist die Prüf- und Zertifizierungsindustrie anzuführen, die bei qualitativ unzureichender Arbeit menschenrechtliche Risiken verbirgt und damit genau das Gegenteil dessen bewirkt, was erreicht werden soll.
Fazit
Der von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf über unternehmerische Sorgfaltspflichten muss an vielen Stellen deutlich nachgebessert werden, um seiner Zielsetzung gerecht zu werden, die systemisch schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen von Menschen entlang ihrer Lieferketten zu verbessern. Neben der deutlichen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie muss der Fokus auf einen partizipativen, menschenrechtsbasierten Ansatz gelegt werden. Nur über die verpflichtende Einbindung von Stakeholdern, wie ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften, aber auch die lokale Bevölkerung und NGOs, in den gesamten Sorgfaltspflichtenprozess können menschen- und umweltrechtliche Risiken in der Lieferkette richtig identifiziert und nachhaltige Verbesserungen erreicht werden.
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