Es ist Dynamik in die Diskussion um die gesetzliche Regelung menschen- und umweltrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen gekommen. Nichtsdestotrotz bleiben die jüngsten nationalen Vorstöße, wie das deutsche Lieferkettengesetz hinter den Erwartungen zurück. Der für Herbst angekündigte Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz bietet die nächste Chance für eine effektive – weil verbindliche – Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten.
Spätestens seit dem Zusammenbruch vieler Lieferketten infolge der COVID-19-Krise, z. B. im Bereich dringend benötigter Medizinprodukte, ist die Verflechtung der Weltwirtschaft im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit angekommen. Die globale Produktion hat in den letzten Jahrzehnten einen drastischen Wandel durchlaufen. Die Fertigung von Autos über Textilwaren bis hin zu Nahrungsmitteln wurde zunehmend auf verschiedene Standorte aufgeteilt und in globalen Produktionsnetzwerken organisiert.
Befördert wurde dieser Wandel durch weitreichende Liberalisierungen des globalen Handels- und Investitionsregimes sowie durch Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. Für transnationale Unternehmen wurde es daher attraktiv, arbeitsintensive und oft umweltschädliche Tätigkeiten in Länder des globalen Südens mit niedrigen Sozial- und Umweltstandards zu verlagern.
Die Integration in globale Wertschöpfungsketten wird in Ländern des globalen Südens oft als Chance gesehen, Arbeitsplätze und Einkommen zu schaffen. Erfahrungen zeigen jedoch, dass diese Integration nicht automatisch zu ökonomischem oder sozialem Upgrading führt. Berichte über menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in der Elektronikproduktion, eingestürzte Textilfabriken, sklavenähnliche Zustände in Landwirtschaftsplantagen oder verheerende Umweltzerstörungen durch Dammbrüche von Minenschlamm-Rückhaltebecken zeugen davon, dass die nötigen Regulierungen den Veränderungen der globalen Produktion weit hinterherhinken.
Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten als Kern der Diskussion
Ein Kern der Diskussion ist das Prinzip der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen. Dieses Prinzip wurde erstmals 2011 in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte – nach dem damaligen UN-Sonderbeauftragten auch „Ruggie Principles“ genannt – verankert. Unternehmen sind demnach verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre Aktivitäten keine Menschenrechtsverletzungen verursachen oder dazu beitragen, womit auch die gesamte Lieferkette miteinbezogen wird. Im Gegensatz zur Intention von Professor Ruggie, der sich für bindende Regeln aussprach, blieben diese Prinzipien bislang jedoch freiwillig und damit ein Ausdruck globaler Machtasymmetrie zugunsten transnationaler Unternehmen. Die Prinzipien boten jedoch eine wichtige Basis für die Entwicklung von weiteren Leitlinien, wie etwa die Ergänzung der OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen um menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, oder für die Formulierung der OECD-Leitsätze für Konfliktmineralien.
Freiwillige Handlungsempfehlungen sind nicht genug
Zehn Jahre – und viel Evidenz – später führt kein Weg mehr an der Erkenntnis vorbei, dass freiwillige Handlungsempfehlungen nicht ausreichen, um die Menschenrechts- und Umweltsituation in globalen Lieferketten substanziell zu verbessern. Einige Länder haben bereits Gesetze für eine menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen für ihre Lieferketten verabschiedet, zumeist für bestimmte Sektoren, für sehr große Unternehmen oder für bestimmte Aspekte – wie etwa die EU-Konfliktmineralienverordnung, das französische „Loi de Vigilance“ oder das niederländische Gesetz gegen Kinderarbeit. Ein umfassendes Gesetz, das menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für alle Unternehmen und Sektoren festlegt, fehlt allerdings bisher.
Eine Erhebung in Deutschland ergab 2020, dass nur rund 15 Prozent der international tätigen deutschen Unternehmen mit mehr als 500 ArbeitnehmerInnen von sich aus die Menschenrechtsvorgaben der erwähnten OECD-Leitlinien erfüllen. Die deutsche Bundesregierung sah sich daher aufgrund des Koalitionsvertrags verpflichtet, einen Entwurf für ein verbindliches Lieferkettengesetz vorzulegen.
Der ursprünglich ambitionierte Entwurf wurde nach vielen Verhandlungsrunden und intensiver Lobbyarbeit sowohl vonseiten der Industrie als auch der Zivilgesellschaft schließlich im Juni 2021 in einer abgespeckten Version als Gesetz verabschiedet. Es enthält verbindliche menschenrechtliche und umweltbezogene Vorgaben für Unternehmen mit mehr als 3.000 MitarbeiterInnen (ab 2023) bzw. mehr als 1.000 MitarbeiterInnen (ab 2024). Diese umfassen die Einrichtung eines Risikomanagements, das systematisch auf den eigenen Geschäftsbereich und unmittelbare Zulieferer, jedoch nur anlassbezogen auf mittelbare Zulieferer angewandt werden muss. Verstöße gegen Sorgfaltspflichten können mit Bußgeldern belegt werden. Bei schweren Verstößen können Unternehmen sogar von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.
Schwächen des deutschen Gesetzes
Das Gesetz sieht allerdings keine neue zivilrechtliche Haftungsregel vor, wonach Unternehmen über die bestehenden unzureichenden Regeln hinaus nun effektiv für die Schäden haften würden, die durch Missachtung der Sorgfaltspflichten verursacht werden. Unmittelbar Betroffene haben somit keinen Zugang zu Rechtsmitteln, um Entschädigungen einzuklagen. Die Beschränkung der systematischen Sorgfaltspflichten auf die unmittelbaren Zulieferer ignoriert, dass ein Großteil der Menschenrechtsverletzungen am Beginn der Lieferketten stattfindet – etwa beim Abbau von Rohstoffen oder der Fertigung von Produkten in Niedrigeinkommensländern. Damit fällt das Gesetz hinter die Vorgaben der Ruggie-Prinzipien zurück.
Österreichische Initiativen
Auch in Österreich gewinnt die Bewegung für ein Lieferkettengesetz an Dynamik. Eine Petition von diversen Organisationen der Zivilgesellschaft fordert Regeln auf verschiedenen Ebenen, sowohl in Österreich als auch international. Auch andere Kampagnen und Initiativen setzen sich für gerechtere Lieferketten ein, z. B. eine Kampagne für die Abschaffung von Kinderarbeit. Im März 2021 legten Abgeordnete der SPÖ im Nationalrat einen Antrag für ein Lieferkettengesetz vor.
Globale Regeln nach wie vor nicht in Sicht – EU-Regelung umso wichtiger
Für eine umfassende Wirksamkeit sind – neben nationalen Gesetzen – verbindliche globale Vorgaben nötig. Diesbezügliche Verhandlungen für ein „Binding Treaty“ auf UN-Ebene werden seit Jahren von Staaten des globalen Nordens – darunter Österreich – nicht aktiv verfolgt.
Vor diesem Hintergrund kommt der europäischen Ebene besondere Bedeutung zu. Ein vielversprechender Vorstoß kam im April 2020 von EU-Justizkommissar Didier Reynders, der einen europäischen Entwurf für ein umfassendes EU-Lieferkettengesetz ankündigte. Dieses soll Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren gesamten Wertschöpfungsketten verpflichten sowie öffentlich-rechtliche Sanktionen und Klagemöglichkeiten für Betroffene vorsehen. Im März 2021 forderte das Europäische Parlament, dass die EU-Regelung alle Stufen der Lieferkette umfassen und zivilrechtliche Haftung der Unternehmen miteinschließen soll. Ein Gesetzesentwurf der EU-Kommission wurde ursprünglich für Juni 2021 angekündigt, mittlerweile aber auf Herbst vertagt.
Voraussetzungen für wirksame Lieferkettenverantwortung
Die intensivierten Debatten für verbindliche Vorgaben für menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten sind als implizites Eingeständnis zu werten, dass eine globalisierte Weltwirtschaft auch globale Regeln für Unternehmen benötigt. Um Wirksamkeit zu entfalten, muss die Transparenz von Lieferketten erhöht werden. Erst wenn diese nachvollziehbar werden und Leitfirmen für verursachte Schäden in der gesamten Lieferkette haften, werden sich Produktionsbedingungen verbessern. Nötig ist zudem die Einbeziehung und Stärkung von ArbeitnehmerInnenvertretungen sowie von Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich in den Produktionsländern für eine Verbesserung der lokalen Produktionsbedingungen einsetzen.
Auch wenn die jüngeren Entwicklungen im Bereich der Lieferkettenverantwortung vielversprechend sind, sollte nicht übersehen werden, dass die Grundproblematiken des fehlenden sozialen Upgradings, der Machtasymmetrie in globalen Wertschöpfungsketten, des geringen Wertschöpfungsanteils vieler Produzentenländer und damit zu niedriger Löhne sowie die starke Abhängigkeit vom Export von unverarbeiteten Rohstoffen weitreichendere Maßnahmen verlangen. Dies betrifft unter anderem die Ausgestaltung von internationalen Freihandels- und Investitionsschutzverträgen, die Einführung von sozialen und ökologischen Mindeststandards und Maßnahmen zur Stabilisierung von Rohstoffpreisen. Umfassende Lieferkettengesetze auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene wären dabei wichtige nächste Schritte auf dem Weg zu verbesserten Arbeits- und Umweltbedingungen in globalen Wertschöpfungsketten.