Zukunfts­perspektiven einer fort­schrittlichen Budget­politik

19. Juni 2024

Ein Kurswechsel zu einer fortschrittlichen Budgetpolitik ist dringend: Es gilt, Zukunftsinvestitionen zu stärken und sinnvoll durch Verschuldung zu finanzieren, bessere Gesundheit, Pflege und Bildung auszubauen und durch vermögensbezogene Steuern zu finanzieren, guter Arbeit Priorität zu verleihen und damit auch Staatseinnahmen zu generieren sowie die Effizienz der Verwaltung zu erhöhen, etwa im Kampf gegen den Steuerbetrug.

Schlechtes Zeugnis für den Finanzminister

Der Fiskalrat prognostiziert in seinem Fiskalregelbericht vom Juni 2024 ein bis 2028 über der Maastricht-Grenze von 3 Prozent des BIP liegendes Budgetdefizit und eine sukzessiv steigende Staatsschuldenquote. Das ist kurz- und mittelfristig pessimistischer als das Finanzministerium. Der Fiskalrat erkennt in seiner Beurteilung keine budgetären Handlungsspielräume und erhebliche Budgetrisiken. Das Zeugnis für Finanzminister Magnus Brunners Budgetpolitik könnte kaum schlechter ausfallen.


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Der Finanzminister hat das Budget nicht im Griff, überlässt das Problem der nächsten Regierung und wird für einen Karrieresprung in die Europäische Kommission gehandelt. Dieser Absprung nach Brüssel wäre besonders pikant: Der Minister trat auf EU-Ebene für besonders strenge Fiskalregeln ein. Doch in seiner Budgetpolitik und Budgetplanung ignoriert er sie. Darin mag mangelnde politische Glaubwürdigkeit zum Ausdruck kommen. Gravierender ist, dass beide Positionen ökonomisch unvernünftig und falsch sind, das sture Eintreten für zu strenge Regeln wie das Ignorieren der EU-Vereinbarungen. Verantwortungsbewusste und vernünftige Budgetpolitik sieht anders aus.

EU-Regeln mit zu wenig Spielraum für Klimainvestitionen

Die alten EU-Fiskalregeln wurden weithin und zu Recht kritisiert: kompliziert, prozyklisch, behindern öffentliche Investitionen. Die neuen EU-Fiskalregeln zielen auf die Stabilisierung der Staatsschulden ab, sind jedoch keineswegs einfacher. Für Österreich implizieren sie das Ziel eines strukturellen Budgetdefizits von unter 1,5 Prozent des BIP (um 1,5 Prozent des BIP oder 7 Mrd. Euro weniger als vom Fiskalrat prognostiziert).

Die neuen Fiskalregeln geben der Europäischen Kommission zu viel Spielraum in der Beurteilung der Schuldentragfähigkeit der Mitgliedsländer, bedeuten für hochverschuldete Länder wie Italien, Frankreich und Spanien erst recht wieder zu hohen Spardruck, der Wirtschaft und Beschäftigung in ganz Europa schädigt. Vor allem aber schaffen auch sie kaum Spielraum für effektive Klimapolitik.

Die nächste Bundesregierung muss hier ansetzen: Erfolgreiche Klimapolitik braucht auf Ebene der Nationalstaaten und der EU umfassende Investitionen in den Umbau der Mobilität, der Gebäude, der Industrie und Landwirtschaft. Langfristig gesellschaftlich und ökonomisch hohe Erträge abwerfende öffentliche Investitionen (etwa für den Klimaschutz) sollen sinnvollerweise über Schulden finanziert werden (damit auch alle Generationen, die davon profitieren, an den Kosten beteiligt werden). Das erfordert auch auf EU-Ebene eine neue – an die Recovery and Resilience Facility angelehnte – Finanzierungsmöglichkeit. Das wäre vernünftige und weitsichtige Budgetpolitik.

Gutes und schlechtes Budgetdefizit

Dennoch wäre es falsch, Budgetdefizite nicht zu begrenzen. Hohe Staatsschulden machen von der EZB-Politik und den Kapitalmärkten abhängig, bedeuten hohe Zinszahlungen und verringern den Spielraum für produktive Ausgaben. Die staatlichen Zinszahlungen betragen 2024 dank der langjährigen Niedrigzinspolitik nur 1,6 Prozent des BIP bzw. 7 Milliarden Euro, doch sie beginnen wieder zu steigen. Vor der Finanzkrise 2008/09 betrugen sie mehr als 3 Prozent des BIP.

Ein Budgetdefizit kann höchst sinnvoll sein. Erstens, wenn es in einer Rezession automatisch entsteht, weil Produktion, Nachfrage, Einkommen, Beschäftigung und damit auch Staatseinnahmen zurückgehen sowie die Arbeitslosigkeit und damit die Staatsausgaben steigen. Dieses Defizit stabilisiert die Konjunktur. Zweitens, wenn es langfristig wirkende Investitionen wie etwa den Ausbau der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur finanziert. Würden diese Investitionen steuerfinanziert, so belasten sie die aktuelle Generation über Gebühr, künftige Generationen hingegen nicht, obwohl diese von der Investition profitieren.

Hingegen sollen laufende Staatsausgaben (etwa für Personal, Transfers oder soziale Dienste) mittelfristig nicht über Verschuldung, sondern über Abgaben finanziert werden. Wer einen guten und funktionsfähigen Sozialstaat, gut ausgebaute soziale Dienste und eine ordentliche öffentliche Verwaltung will, muss bereit sein, die entsprechenden Steuern und Beiträge zu zahlen.

Hohe Steuern, aber die richtigen

Der Sozialstaat ist eine der wichtigsten Errungenschaften der arbeitenden Menschen im 20. Jahrhundert. Österreich hat bessere Sozialleistungen als der EU-Durchschnitt und deshalb sinnvollerweise auch eine höhere Abgabenquote. Hohe Abgaben bedeuten keinen Wohlstandsverlust, wie die Neoliberalen mit antisozialer Absicht behaupten. Sie bedeuten die Finanzierung gemeinschaftlicher Leistungen, die den Wohlstand erhöhen. War es bei der Gründung des modernen Sozialstaates nach dem Zweiten Weltkrieg unvermeidlich, die Ausgaben für Familien, Junge, Kranke und Alte ausschließlich über Abgaben auf die Arbeitseinkommen zu finanzieren, gilt das heute aber nicht mehr.

Die Vermögensbestände sind sechs- bis achtmal so hoch wie die Arbeitseinkommen und die Kapitaleinkommen haben massiv zugenommen. Deshalb wird eine fortschrittliche Bundesregierung Millionärs-, Erbschafts-, Grund-, Körperschaftssteuer eine größere Rolle beimessen. Das zusätzliche Aufkommenspotenzial dieser Steuern liegt im höheren einstelligen Milliardenbereich. Dazu kommt das Erfordernis, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung effizienter zu bekämpfen. Die Steuerlücke muss in Österreich und auf internationaler Ebene geschlossen werden, vor allem auch im Interesse der ehrlichen Steuerzahler:innen. Zudem werden Umweltsteuern an Bedeutung zunehmen, auch um die ökologischen Anreize zu verbessern.

Mit diesem Steueraufkommen können der notwendige Ausbau sozialer Leistungen und geringere Abgaben auf Arbeit finanziert werden. Die Unternehmensverbände fordern in Österreich eine Kürzung von Lohnnebenkosten, etwa die Abschaffung des Beitrags zum Familienlastenausgleichsfonds, der derzeit ein Aufkommen von 7 Mrd. Euro hat. Sie meinen, das solle „aus dem Budget finanziert werden“ vulgo durch Kürzung staatlicher Leistungen. Das wäre schädlich und ungerecht. Würden sie z. B. vorschlagen, eine Senkung des Beitrags zum Familienlastenausgleichsfonds um einen Prozentpunkt durch eine Anhebung des Körperschaftssteuersatzes um vier Prozentpunkte zu finanzieren, so wäre das budgetneutral, würde die Arbeitskosten um zwei Milliarden Euro verringern, den weitaus überwiegenden Teil der Betriebe entlasten und wäre ein sinnvolles Verhandlungsangebot.

Mehr Geld für Gesundheit, Pflege, Bildung

Eine Reform der Struktur der staatlichen Einnahmen soll sich in einer neuen Struktur der staatlichen Ausgaben spiegeln. Diese wird mittel- und langfristig vom demografischen Wandel bestimmt. In der langfristigen Budgetprognose steigen deshalb in den nächsten zehn Jahren die Ausgaben für Pensionen und langfristig vor allem die Ausgaben für Gesundheit und Pflege. Diese Ausgabensteigerungen stellen einen höheren Wohlstand dar. Weil sie eine gute Versorgung der Alten, Kranken und Pflegebedürftigen spiegeln. Sie müssen aber finanziert werden. Steigenden Ausgaben für Pensionen begegnet man am besten mit drei Maßnahmen: Erstens, der Erhöhung des effektiven Pensionsantrittsalters. In den letzten zehn Jahren ist das durchschnittliche Pensionsantrittsalter bei Männern und Frauen jeweils um 2 ½ Jahre auf 62,1 bzw. 60,1 Jahre gestiegen. Ein Anstieg in der gleichen Höhe muss auch in den nächsten zehn Jahren gelingen. Dafür gilt es die Voraussetzungen wie etwa bessere Arbeitsbedingungen und Gesundheitsvorsorge zu schaffen. Zweitens, den Verzicht auf außertourliche Pensionserhöhungen, sofern sie nicht gegenfinanziert sind. Drittens, aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, die mehr Menschen in gute Arbeit bringt. Das beschert ihnen ein besseres Leben und dem Sozialstaat einen warmen Einnahmenregen. Diese Maßnahmen müssen ergänzt werden um eine kritische Überprüfung der Pensionszusagen etwa in ausgegliederten öffentlichen Einrichtungen.

Auch für Bildung soll angesichts des raschen wirtschaftlichen Strukturwandels und der bedrohlichen sozialen Schieflagen mehr Geld ausgegeben werden, vor allem um unterschiedliche Bildungschancen von Kindern auszugleichen. In allen drei Bereichen müssen aber auch die Verwaltungsstrukturen und -abläufe, vor allem das Zusammenspiel zwischen Bund, Länder und Gemeinden und die Schnittstellen zwischen Gesundheits- und Pflegesystem effizienter, einfacher und transparenter werden. Das spart Geld, das in bessere Leistungen fließen kann. Die Zusatzausgaben in diesen drei Bereichen bestehen primär aus Personalkosten und finanzieren sich zu knapp 70 Prozent selbst, weil sie auch in höhere Beitrags- und Steuereinnahmen gehen. Der Rest soll durch Effizienzsteigerungen und höhere Steuern finanziert werden.

Gute Arbeit

Die wichtigste Maßnahme, um die langfristige Finanzierbarkeit des Budgets und vor allem des Sozialstaates zu sichern, ist eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik. Diese muss vor allem darin bestehen, die bislang nicht, zu wenig oder schlecht Beschäftigten in gute Arbeit zu bringen. Arbeitskräfteknappheit ist in dem Sinn eine sehr gute Sache, als sie das erleichtert. Das Arbeitskräftepotenzial ist riesig: Neben den 300.000 Arbeitslosen sind das 345.000 in „stiller Reserve“, 280.000 Unterbeschäftigte, vor allem unfreiwillig Teilzeitbeschäftigte, 298.000 Niedriglohnbeschäftigte und Tausende Scheinselbstständige.

Gelingt es, diese Menschen in gute, sinnvolle und produktive Arbeit zu qualifizieren und zu vermitteln, dann profitieren sie durch höheren Wohlstand, die Gesamtwirtschaft durch erfolgreichen Strukturwandel und das Budget durch höhere Einnahmen und geringere Ausgaben.

Gezielte Förderungen, effiziente Verwaltung

In der Administration besteht Effizienzpotenzial. Das Desaster der COFAG-Förderungen ist dafür exemplarisch: Bei den Corona-Hilfen wurden Milliarden intransparent, nicht zielgerichtet und an den erprobten Verwaltungsstrukturen vorbei verschleudert. Förderungen, Verwaltungsausgaben und ausgegliederte Gesellschaften müssen auf ihre Zweckmäßigkeit überprüft und Einsparungen dort vorgenommen werden, wo den wirtschaftlich Mächtigen ohne Notwendigkeit Geld nachgeworfen wird, wo unbegründete Doppelförderungen vergeben werden, wo wirtschaftliche Aktivitäten gefördert werden, die auch ohne diese Förderung stattgefunden hätten, wo aufgeblähte Ministerbüros, PR-Stäbe und Werbebudgets Steuergeld verprassen, wo Gehälter und Pensionszusagen unangemessen sind.

Gleichzeitig sollen jene ausgegliederten Gesellschaften gestärkt werden, die die unverzichtbare Basis für eine faktenbasierte Politik liefern (wie die Statistik Austria oder das Umweltbundesamt). Strategisch wichtige Bereiche, z. B. die Betrugsbekämpfung, sollen mehr Ressourcen und Personal bekommen.

Fortschrittliche Budgetpolitik

Angesichts des schwierigen Erbes, das die Bundesregierung und Finanzminister Magnus Brunner hinterlassen, sind die Ausgangsbedingungen für die neue Regierung nicht einfach. Doch ein klarer Fokus auf die elementaren Bereiche fortschrittlicher Politik hilft: öffentliche (Klima-)Investitionen stärken, gute Arbeit schaffen, soziale Sicherheit stärken, Ungleichheit verringern, manifeste Armut beenden, Steuersystem gerechter machen, Steuerhinterziehung bekämpfen, die Verwaltung stärken.

Dann wird auch die Beurteilung durch den Fiskalrat besser ausfallen: nachhaltige Budgetpolitik, vernünftige Struktur auf Einnahmen- und Ausgabenseite, Schuldentragfähigkeit, ausreichende budgetäre Handlungsspielräume, geringe Budgetrisiken.

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