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Kollektivvertragsverhandlungen: fast gescheitert
Das war knapp. Es fehlte nicht viel zu einem Scheitern der Kollektivvertragsverhandlungen in der Metallindustrie mit weitgehenden Folgen. Das im internationalen Vergleich fast einzigartige, konsensorientierte Lohnfindungsmodell Österreichs mit seiner konstitutiven Lohnführerschaft des exponierten Sektors wäre zur Disposition gestanden – und damit auch das letzte tatsächlich funktionierende Element der heimischen Sozialpartnerschaft.
Ist die Disruption des heimischen Institutionensystems nur aufgeschoben? Zumindest bei den Kollektivverträgen ist etwas Zeit gewonnen. Die Laufzeit des Metall-KV über zwei Jahre beschränkt den Handlungsspielraum der Metall-Arbeitgeber. Diese profitierten zwar über viele Jahrzehnte vom auf gesamtwirtschaftliche Indikatoren ausgerichteten Lohnverhandlungssystem, verfolgen aber dennoch das Ziel der Dezentralisierung und können nur durch die Stärke der Metall-Gewerkschaften an den Verhandlungstisch und zu einem gesamtwirtschaftlich vernünftigen Abschluss gezwungen werden.
Wollen die Sozialpartner – und mit ihnen die Politik in Österreich generell – Zukunftskompetenz beweisen, dann müssen sie die Fähigkeit zu innovativen Lösungen für die drängendsten Themen der Zeit zeigen: für die Klimakrise und für die Ungleichheitskrise.
Wirtschaftliche Erholung ist im Gang
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern sich langsam: Während 2023 von einer im internationalen Vergleich außergewöhnlich hohen Inflation und der damit zusammenhängenden Rezession geprägt war, beflügeln die starken Reallohngewinne (das WIFO rechnet für 2024 mit einem Anstieg der Löhne pro Kopf um 3,7 Prozent und der verfügbaren Einkommen um 2,6 Prozent) und das erstaunlich robuste Beschäftigungswachstum nun die Konsumnachfrage. Zudem dürfte die Industrierezession überwunden sein, im 4. Quartal begann die Produktion wahrscheinlich wieder leicht zu wachsen.
Zwar sind die konjunkturellen Risiken nach wie vor hoch (Kriege, Immobilien- und Finanzkrise, Staatsausgabenkürzungen wegen der Schuldenbremse in Deutschland, Strukturkrise der [deutschen] Kfz-Industrie u. a.), doch mit der einsetzenden Konjunkturerholung könnte das reale Wirtschaftswachstum 2024 auch höher ausfallen als vom WIFO prognostiziert (+0,9 Prozent). Dies macht es für die kommende Bundesregierung wie die Sozialpartner etwas leichter, das Notwendige zu tun und die wirtschaftspolitischen Weichen neu zu stellen.
Gegen die Klimakrise investieren, steuern und regulieren
Österreich ist drauf und dran, die vereinbarten Klimaziele eklatant zu verfehlen und hinter andere Länder ähnlichen Wohlstandsniveaus zurückzufallen. Das darf nicht sein. Engagierte Klimapolitik kann das Ruder herumreißen und in die Offensive gehen, was Klima, Menschen und Unternehmen nützt. Am wichtigsten sind öffentliche Investitionen, die die Infrastruktur klimagerecht umbauen und der Wirtschaft neue Impulse verleihen:
- Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel überregional, in den Städten, aber vor allem auch am Land, etwa durch Mikro-Öffis als Zubringer zu den Bahnstationen,
- Ausbau der Energienetze und -speicher, Photovoltaik auf jedes geeignete öffentliche Gebäude, Windräder in alle geeigneten Zonen,
- deutliche Ausweitung des mehrgeschossigen geförderten Wohnbaus – und das auch in den Dorfzentren als Ersatz für das finanziell und ökologisch nicht mehr leistbare Einfamilienhaus am Acker,
- noch mehr Anstrengungen bei Klima-F&E und neuen Technologien,
- ein großes Programm zur Umschulung und Qualifizierung, das im grünen Strukturwandel niemanden zurücklässt.
Das Modell der kontinuierlich steigenden CO2-Steuer mit Rückerstattung als Klimabonus ist sinnvoll, kann ausgedehnt (etwa durch eine höhere Flugabgabe) und verbessert werden: So könnte eine Einkommensteuerpflicht der Rückerstattung überlegt werden und die regionale Differenzierung ersetzen. Klimaschädliche Steuerbegünstigungen und Subventionen sollen abgebaut (Dieselprivileg), das Pendlerpauschale ökologisiert werden. Steuerliche Investitionsbegünstigungen für Unternehmen, die neue Energiesysteme oder andere ökologisch ausgerichtete Verfahrensinnovationen umsetzen, können propagiert werden und sind besonders wirksam, wenn der Gewinnsteuersatz hoch ist.
Schließlich gilt es den budgetpolitischen Grundsatz in Erinnerung zu rufen: Regulierungen sowie Ge- und Verbote wirken besser und sind billiger als umfangreiche Subventionen mit hohen Mitnahmeeffekten. Dazu gehören eine ökologisch ausgerichtete Raumordnungs- und eine strikte Bodenwidmungspolitik ebenso, wie etwa das Verbot von Flugreisen auf Strecken mit zumutbarer Bahnverbindung oder die weitgehende Beschränkung der Reisen mit Privat-Jets.
Für öffentliche Investitionen als wichtigstes Instrument der Klimapolitik spricht alles, außer die derzeitigen EU-Fiskalregeln. Diese unterscheiden nicht ausreichend zwischen konsumtiven Staatsausgaben für Personal und Transfers, die – mit Ausnahme von Rezessionsphasen – über laufende Steuern und Beiträge, und langfristig wirkende Investitionen, die vernünftigerweise über Staatsschulden finanziert werden sollen. Eine pragmatische und vernünftige Fiskalregel hieße also: Mittelfristig soll das Budgetdefizit die öffentlichen Nettoinvestitionen nicht übersteigen. In Österreich wären das derzeit 0,75 Prozent des BIP pro Jahr. Für das Erreichen der Klimaziele müssten die Nettoinvestitionen verdoppelt werden.
Die nächste Bundesregierung muss jenen fehlenden Weitblick überwinden, der die heimische Budgetpolitik derzeit prägt. Diese tritt auf EU-Ebene für die Einhaltung strikter Fiskalregeln ein, die keinen Spielraum für Klimainvestitionen lassen, und plant gleichzeitig auf nationaler Ebene für die nächsten Jahre die Verletzung ebendieser Fiskalregeln durch ein zu hohes Defizit, allerdings ohne die Klimainvestitionen nennenswert auszuweiten. Eine „Hilflosigkeitserklärung der Politik“ (Ferdinand Lacina) auf allen Fronten. Die neue Bundesregierung steht vor der Herkulesaufgabe, das Budgetdefizit durch Sparsamkeit und erfolgreiche Beschäftigungspolitik zu verringern und gleichzeitig die Investitionen kräftig zu erhöhen.
Arbeitskräfteknappheit für bessere Arbeitsplätze nutzen
Den Schlüssel für die Finanzierbarkeit des Staatshaushalts bildet hohe Beschäftigung auf produktiven Arbeitsplätzen mit hohen Einkommen. Das hilft den Arbeitnehmer:innen wie den vielen guten Unternehmen und generiert die notwendigen Beitragseinnahmen für den Sozialstaat. Diese sind dringend, denn vor allem die Finanzierung der Pensionen ist in den nächsten fünf bis zehn Jahren herausfordernd. Der Bundeszuschuss steigt zwar so wie erwartet, aber doch markant von 2,9 Prozent (2023) auf 3,7 Prozent des BIP (2028), das entspricht einem Anstieg um etwa 4 ½ Mrd. Euro. In Kombination mit der Abschaffung der kalten Progression (Einnahmenverlust im Budget steigt laut Fiskalrat von 5 Mrd. Euro [2024] bis auf 11,3 Mrd. Euro [2027]) stellt dies eine erhebliche Belastung des Staatshaushalts dar.
Doch die im Aufschwung noch weiter zunehmende Knappheit an Arbeitskräften verbessert die Rahmenbedingungen entscheidend. Die konservative, vergangenheitsorientierte Arbeitsmarktpolitik will die Herausforderung mit mehr Zuwanderung, Steuerbegünstigungen für ältere, gesunde Besserverdiener:innen und Druck auf Arbeitslose, Teilzeitbeschäftigte und Migrant:innen lösen. Eine fortschrittliche, zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik sieht Arbeitskräfteknappheit hingegen als nicht zu missende Chance, jene Menschen in gute, produktive und mit hohen Einkommen und passenden Arbeitszeiten verbundene Beschäftigung zu bringen, die es bislang auf dem Arbeitsmarkt nicht so leicht hatten.
Denn das Arbeitskräftepotenzial im Inland ist riesig: 500.000 bis 600.000 Beschäftigte mit Niedriglöhnen, 300.000 Ältere, 280.000 Teilzeitbeschäftigte mit Wunsch nach längeren Arbeitszeiten, 300.000 in der stillen Reserve, 300.000 Arbeitslose, Zigtausende Scheinselbstständige, ganz viele von ihnen mit ausländischer Staatsbürgerschaft – sie alle wollen mehr und bessere Beschäftigung. Fortschrittliche Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik muss sie dabei unterstützen, indem sie Arbeitslose und – in Zukunft auch – Beschäftigte qualifiziert und vermittelt, indem sie die Gesundheitsvorsorge und die Kinderbetreuung ausbaut, indem sie die Lohnuntergrenzen merklich anhebt, Lohn- und Sozialdumping verlässlich verhindert, die zugewanderten Kolleg:innen bei der Integration unterstützt. Und indem sie die Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte reduziert, damit diese mehr Freizeit haben, Betreuungszeit übernehmen und über mehr Zeit für gesellschaftliches und demokratisches Engagement verfügen.
Arbeitskräfteknappheit ist die Chance, durch den Wechsel auf gute Jobs in guten Unternehmen Produktivität und Einkommen zu erhöhen. Dies würde einen Strukturwandel anstoßen, der den Wohlstand entscheidend ausweitet.
Armut verhindern, Überreichtum begrenzen, Demokratie retten
Bessere Arbeit für bislang prekär und nicht ausreichend Beschäftigte ist ein besonders wichtiges Instrument, um manifeste Armut zu verringern. In der Teuerungskrise dürfte die Armut merklich zugenommen haben, besonders unter Ein-Eltern-Haushalten, Arbeitslosen und Mehrkind-Familien. Im 2. Quartal 2023 konnten sich 28 Prozent der Alleinerziehenden und mehr als 40 Prozent der Arbeitslosen keine Kleinigkeit gönnen, 49 Prozent bzw. 63 Prozent keine unerwartete Ausgabe leisten. Hunderttausende Kinder leben in Haushalten, für die Grundbedürfnisse finanziell nicht leistbar sind: Das betraf 117.000 Kinder in Bezug auf die Leistbarkeit eines warmen Hauptgerichts, 190.000 beim Warmhalten der Wohnung, 360.000 beim Ersetzen abgenutzter Möbel, ½ Mio. Kinder bei einer unerwarteten Ausgabe von 1.370 Euro oder einer Woche Urlaub.
Manifeste Armut unter Kindern ist völlig inakzeptabel. Generell darf es in einer Gesellschaft, in der es Milliardär:innen gibt, keine Armut geben. Aus fundamentalen Gerechtigkeitsüberlegungen, aber auch weil Null-Armuts-Politik in reichen Gesellschaften jedenfalls finanzierbar ist. Dennis Tamesberger errechnet Kosten von 2 ½ Mrd. Euro pro Jahr, um manifeste Armut zum Verschwinden zu bringen, indem Ausgleichszulage (und damit Sozialhilfe), Arbeitslosengeld und Unterhaltsvorschuss erhöht werden und jedem Kind ein warmes und gesundes Mittagessen serviert wird.
2 ½ Milliarden Euro pro Jahr für die Abschaffung manifester Armut entsprechen 1 ½ Prozent des Vermögens der 49 Milliardärsfamilien in Österreich. 800 Mio. Euro für die Ganztagsbetreuung aller Volksschulkinder entspricht den Kosten der Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 25 auf 23 Prozent. 4 bis 5 Mrd. Euro für mehr und mit besseren Arbeitsbedingungen ausgestattetes Personal in der Pflege entspricht 1 Prozent des Vermögens des reichsten Prozent der Haushalte.
Die enorme Konzentration des Vermögens und der damit in Zusammenhang stehende übergroße wirtschaftliche, politische, mediale und gesellschaftliche Einfluss der Superreichen gefährden die Demokratie. Die Demokratie ist gleichermaßen durch die fehlenden Beteiligungsmöglichkeiten der Schlechtverdienenden gefährdet. Die löbliche Ausnahme in Bezug auf Beteiligung aller Beschäftigten bilden die AK-Wahlen 2024, bei denen alle unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft wahlberechtigt sind.
Neuausrichtung 2024 notwendig
2024 soll das Jahr werden, in dem damit begonnen wird, manifeste Armut zu beenden und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zurückzudrängen, die öffentlichen Investitionen kräftig aufzustocken, um die Klimaziele zu erreichen, den Überreichtum weniger zu begrenzen. So wird die Demokratie gestärkt und der Wohlstand der vielen erhöht.
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