Bis Jahresende soll die neuerliche Reform der EU-Fiskalregeln abgeschlossen werden. Wiewohl die Vorschläge der EU-Kommission eine bessere Budgetpolitik der Mitgliedstaaten ermöglichen, bleiben sie doch unzureichend. Aufgrund politischen Widerstands u. a. aus Österreich ist sogar noch mit weiteren Verschlechterungen zu rechnen. Um die nationalen Haushaltspolitiken stärker auf die nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen auszurichten, muss im Sinne künftiger Generationen insbesondere das Potenzial öffentlicher Investitionen in den Klimaschutz ausgeschöpft werden.
Auf der Suche nach einem tragfähigen Kompromiss
Solange es die EU-Fiskalregeln gibt, so lange wird auch schon an deren Reform gearbeitet. Darauf deutet bereits der Name der ersten Einigung hin: Stabilitäts- und Wachstumspakt. Der erste Teil steht für eine restriktive, der zweite für eine aktiv konjunktursteuernde Finanzpolitik.
Der aktive Teil kam jedoch stets zu kurz – ein Mangel, der insbesondere in Krisenzeiten sichtbar wurde. Statt die Fiskalregeln allerdings grundsätzlich zu ändern, wurden sie sowohl in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 folgend als auch mit Ausbruch der Covid-19-Pandemie lediglich ausgesetzt. Im Unterschied zur ersten Krise, als die Regeln bei erstbester Gelegenheit sogar noch verschärft wurden und für eine zweite Rezession mit hohen sozialen Kosten vor allem in Südeuropa sorgten, schien man zuletzt aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben.
Eine weitreichende Reform mit einer Ausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik auf die nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen, eine Demokratisierung der Entscheidungen durch eine Aufwertung des EU-Parlaments und eine Erweiterung des Budgetspielraums durch eine goldene Investitionsregel bzw. einen neuen EU-Investitionsfonds war allerdings schnell vom Tisch. Zu stark waren und sind offensichtlich immer noch jene Kräfte, die in einem möglichst ausgehungerten Staat die beste Grundlage für privates Wirtschaften sehen.
Zentral sind nun die Reformvorschläge der Europäischen Kommission, die Ende April vorgelegt wurden. Diese dürften einen Kompromiss aus den bisherigen Verhandlungen und den unterschiedlichen – sich teilweise deutlich entgegenstehenden – ökonomischen Weltanschauungen der Vertreter:innen der Mitgliedstaaten darstellen.
Europäische Kommission mit doppeltem Spagat
Im Mittelpunkt der Kommissionsvorschläge stehen nun die mittelfristigen Budgetpläne der Mitgliedstaaten. Liegt die Staatsschuldenquote – wie derzeit in fast allen größeren Mitgliedstaaten des Euroraums – über 60 Prozent des BIP, müssen die Budgetpläne:
- eine u. a. um steuerliche Maßnahmen korrigierte Grenze für das Ausgabenwachstum einhalten,
- zu einer sinkenden Staatsschuldenquote führen sowie
- detailliert ausformulierte Reformen und Investitionen beinhalten.
Die Kommission versucht damit einen Spagat zwischen gemeinsamen Regeln und der Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten sowie zwischen Schuldenabbau und der Förderung notwendiger Investitionen. Ob das in der Praxis gelingen kann, ist fraglich: Zum einen birgt der Vorschlag selbst nach wie vor das Risiko für unzureichende budgetäre Spielräume, zum anderen droht eine weitere Verschärfung des Reformvorschlags im Zuge der weiteren politischen Verhandlungen im Rat.
Dreh- und Angelpunkt sind die konkreten Mindestvorgaben, die nach diesen Plänen erfüllt werden müssen. Hier hält die Kommission hinsichtlich des Ausgabenpfades an der bereits bisher gültigen Konsolidierungsverpflichtung von zumindest 0,5 Prozent des BIP fest, allerdings nur mehr für Länder mit einem Defizit jenseits der 3 Prozent des BIP. Hinsichtlich der Staatsschuldenquote wäre die Abbauverpflichtung künftig bereits dann erfüllt, wenn die Schuldentragfähigkeitsanalyse der EU-Kommission „einen plausibel rückläufigen Pfad“ ergibt (anstelle der sogenannten Ein-Zwanzigstel-Regel). Beide Lockerungen sind zwar zu begrüßen, doch bleiben Tücken bestehen. Das erste Kriterium bringt für Frankreich, Italien, Spanien und Belgien – und damit gemessen am BIP mehr als die Hälfte des Euroraums – aktuell keine Erleichterung. Das zweite Kriterium beruht neuerlich auf einer komplexen Schätzmethode, die alles andere als eine Vereinfachung darstellt und deren konkrete Auswirkung schwer abzuschätzen ist. Das dritte Kriterium stärkt zwar die Eigenverantwortung, dürfte aber zu wenig sein, um die Investitionen der Mitgliedstaaten tatsächlich zu fördern. Es macht einen großen Unterschied, ob diese tatsächlich finanziell unterstützt werden oder ob sie lediglich möglicherweise den verlangten Kürzungspfad kurzfristig etwas abschwächen.
Was würde die Umsetzung des Vorschlags konkret für Österreich bedeuten?
Für Österreich würde die Umsetzung des aktuellen Vorschlags etwas mehr Spielraum bringen. Den aktuellen Budgetprognosen des Fiskalrats folgend, sinkt zwar das Defizit und dank der hohen Inflation auch die Staatsverschuldung in den kommenden Jahren deutlich, doch in den Jahren 2025 und 2026 – gemessen an den aktuell noch gültigen Regeln – nicht rasch genug. Gleichzeitig wären Sanktionen auch dann unwahrscheinlich, da 2027 der Zielwert von 0,5 Prozent des BIP für die Neuverschuldung auch so erreicht werden sollte. Auch beim Schuldenstand nähert sich Österreich in großen Schritten dem Maastricht-Zielwert an.
Diese Berechnungen basieren jedoch auf der Annahme, dass es keine neuen Entlastungsmaßnahmen zur Bekämpfung der aktuellen Energie- und Teuerungskrise braucht. Und sie setzen zudem voraus, dass es keine neuen Investitionen geben wird – weder in den Ausbau des Sozialstaates noch für den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft. Der fehlende Handlungsbedarf für Österreich ist also auch als fehlende Handlungsmöglichkeit im Sinne einer auf die nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen ausgerichteten Budgetpolitik zu sehen.
Drohende Verschärfung im Rat der Finanzminister:innen
Der Vorschlag der Kommission wird nun vom EU-Parlament sowie dem Rat der Finanzminister:innen verhandelt. Wenngleich die Finanzminister von Deutschland und Frankreich die Vorschläge der EU-Kommission bereits als Grundlage für die Verhandlungen frühzeitig akzeptiert haben, so endete das gemeinsame Vorgehen sehr schnell. Gerade der Vertreter Deutschlands – und in seinem Windschatten auch jener aus Österreich – wollen die Lockerungen so gering wie möglich halten. Sie beharren auf der absoluten Priorität von Budgetzielen, losgelöst von aktuellen ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen, die in der Regel mehr öffentliche Ausgaben erfordern.
Entscheidende Fragen bleiben damit ausgespart: Wie können die Euro-Mitgliedstaaten in einer Wirtschaftskrise gegensteuern? Wie können sie gemeinsam ihre Budgetpolitik auf ein möglichst hohes und konvergentes Maß an Wohlstand und Wohlergehen ausrichten? Wie können die Bürger:innen über die politische Ausrichtung entscheiden, wenn das Europäische Parlament als ihre gewählte Vertretung außen vor bleibt?
Der Europäische Gewerkschaftsbund sieht sogar das Risiko eines Rückfalls in die Austeritätspolitik – Kürzungen im Sozial-, Gesundheits- oder Bildungsbereich wären ein gefährlicher sozialer Rückschritt. Hochproblematisch wäre eine Verknüpfung von solchen Reformmaßnahmen, die zulasten der Arbeitnehmer:innen gehen, mit fiskalpolitischen Erleichterungen, wie sie etwa in Griechenland oder Portugal im Rahmen der sogenannten Troika-Verhandlungen gang und gäbe waren.
Für eine wohlstandsorientierte Budgetpolitik
Beim Vorschlag der EU-Kommission besteht Verbesserungsbedarf – ein lediglich etwas weniger enges Fiskalregel-Korsett ist zu wenig. Öffentliches Vermögen hat gerade in Krisenzeiten bewiesen, wie wichtig es ist. Besonders gefragt ist es jetzt in der Klimakrise: Um sein Potenzial auszuschöpfen, ist ein Anstieg der öffentlichen Investitionen um mindestens 1 Prozent des BIP gefragt. Dass die Investitionserfordernisse bei strikten Fiskalregeln ohne goldene Investitionsregel eher vernachlässigt werden, hat die Vergangenheit gezeigt – aber auch, dass ein zusätzlicher gemeinsamer EU-Investitionsfonds etwas Abhilfe schaffen kann: