Die heiße Phase im Hinblick auf die Reform der EU-Fiskalregeln läuft. Ein Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung jener Regeln, die der Budgetpolitik in Österreich und allen anderen EU-Mitgliedstaaten Defizit- und Schuldengrenzen setzen, liegt auf dem Tisch. Neben einigen sinnvollen Elementen besteht Verbesserungsbedarf insbesondere bei drei zentralen Punkten: unzureichende Spielräume für öffentliche Klimainvestitionen, fehlende parlamentarische Einbindung und zu wenig fiskalpolitische Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten.
Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission
Nach langem Warten hat die Europäische Kommission Ende April 2023 ihren Gesetzesvorschlag zur Reform der EU-Fiskalregeln vorgelegt. Die Vorschläge verlagern den Schwerpunkt der Betrachtung von der jährlichen Entwicklung der öffentlichen Finanzen hin zu einer längerfristigen Sichtweise. Künftig sollen mehrjährige Budgetpläne (von mindestens vier Jahren) zwischen der Kommission und der jeweiligen nationalen Regierung auf Basis einer Analyse der Schuldentragfähigkeit festgelegt werden. Dabei wird die Staatsschuldenquote über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren in die Zukunft projiziert, um einen Referenzpfad für die Haushaltsanpassung abzuleiten, der mit einer sinkenden oder sich stabilisierenden Staatsschuldenquote vereinbar ist. Damit soll einerseits erreicht werden, dass die Budgetdefizite unter drei Prozent der Wirtschaftsleistung bleiben bzw. langfristig die Schuldenquote bei max. 60 Prozent der Wirtschaftsleistung stabilisiert wird; andererseits sollen aber auch kurzfristige Budgetkürzungen, die ökonomisch, sozial und ökologisch kontraproduktiv wären, der Vergangenheit angehören.
Ein steiniger Weg
Der Weg zu einer Verhandlungseinigung der EU-Mitgliedstaaten ist weiterhin steinig, und der Zeitplan für einen Abschluss vor den EU-Wahlen im Jahr 2024 bleibt eng. Beim Treffen der EU-Finanzminister:innen am 16. Juni 2023 wird es um strittige Punkte gehen. Denn in einigen Bereichen liegen die Auffassungen der Regierungen weiterhin auseinander. Die deutsche Regierung fordert etwa noch strengere Regeln zur Schuldenreduktion, obwohl die Europäische Kommission Deutschland in dem Gesetzesvorschlag bereits entgegenkommt, indem sie strengere Vorgaben macht als ursprünglich in den Reformleitlinien vorgesehen. Ein Fokus auf härtere Schuldenregeln könnte sich kontraproduktiv auswirken, wenn die Regeln in Zukunft eine krisenverschärfende Ausrichtung der Fiskalpolitik verlangen und so die Schuldentragfähigkeit beschädigen.
Der geplante Übergang zu einer individuellen Schulden- und Budgetanalyse kann mehr Spielraum für die Gestaltung des fiskalpolitischen Kurses bieten. So könnten sich die Erfolgschancen der jeweiligen Regierung erhöhen, Schuldentragfähigkeit zu gewährleisten und gleichzeitig den nationalen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen Rechnung zu tragen. In zentralen Punkten ist der Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission jedoch verbesserungswürdig.
Unzureichende Spielräume für öffentliche Klimainvestitionen
Die Transformation der Energie- und Verkehrssysteme in der EU zur Erreichung der Klimaziele erfordert zusätzliche öffentliche Investitionen in Höhe von mindestens 146,5 Milliarden Euro pro Jahr; das entspricht einem Prozent der Wirtschaftsleistung der EU. Es ist jedoch zu erwarten, dass erhebliche Teile der erforderlichen Klimainvestitionen keine positiven Schuldeneffekte haben werden. Der Gesetzesvorschlag der Kommission und die Anwendung des technischen Analyserahmens mit seinem Schwerpunkt auf der Gewährleistung sinkender öffentlicher Schuldenquoten wird daher voraussichtlich zu unzureichenden öffentlichen Investitionen auf nationaler Ebene führen.
Die Mitgliedstaaten können sich zwar zu einer Reihe von Investitionen und Reformen verpflichten, um den fiskalischen Anpassungspfad zu verlängern, wenn die Kommission zustimmt, dass die Investitionen mit der Schuldentragfähigkeit vereinbar sind. Details zum Bewertungsrahmen von „guten“ und „schlechten“ Investitionen bleiben jedoch unklar. Die quantitative Analyse der mittelfristigen Auswirkungen der Investitionen auf die öffentlichen Finanzen und das Wachstum, die den längeren Anpassungszeitraum untermauern, ist schwierig und birgt politisches Konfliktpotenzial.
Es ist bereits jetzt offenkundig, dass – wenn die nationalen Regierungen ihre Klima- und Energieziele ernst nehmen wollen – die Einhaltung der neu geregelten EU-Fiskalregeln nur mit weiteren Maßnahmen möglich sein wird. Dies könnte die Einrichtung eines zusätzlichen EU-Investitionsfonds zur Finanzierung von Investitionen in Klima und Energie sein, der derzeit jedoch nicht Teil des Fiskalregelpakets der Kommission ist.
Fehlende parlamentarische Einbindung
Die Kommission würde mit der avisierten Reform zusätzlich an Macht gewinnen. Wenn die technischen Einschätzungen der Kommission etwa zu einer unvorteilhaften Bewertung der Schuldentragfähigkeit Österreichs führen sollten, würden sich die demokratischen Spielräume für die Budgetpolitik hierzulande stark einengen. Wenn die Schuldentragfähigkeitsanalyse eine „erhebliche Schuldenherausforderung“ ergibt, könnte die Regierung dann standardmäßig einer strengeren Überwachung unterworfen und mit Sanktionen konfrontiert werden. Dies würde zu einer Erhöhung der Zinsenkosten für Staatsschulden führen und den Spielraum für fiskalpolitische Entscheidungen auf nationaler Ebene verringern.
Doch den Einschätzungen zur Schuldentragfähigkeit einzelner Mitgliedstaaten durch die Kommission liegen stets Annahmen zur zukünftigen Entwicklung von Wirtschaftswachstum, Zinsen, Inflation und Fiskalpolitik zugrunde. Diese Annahmen, auf denen auch die bilateralen Verhandlungen über mehrjährige Budgetpläne mit den Mitgliedstaaten basieren würden, sollten der demokratischen Prüfung unterworfen sein. Es ist im Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission aber weder eine Mitentscheidung des Europäischen noch der jeweiligen nationalen Parlamente vorgesehen. Zudem bleibt unklar, welchen Spielraum neue Regierungskonstellationen haben, um die mehrjährigen Budgetpläne nachzuverhandeln.
Zu wenig EU-weite Abstimmung der Fiskalpolitik
Leider hat die Kommission zu wenig aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, als eine fehlende fiskalpolitische Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten etwa die Eurokrise stark vertiefte. Stellen wir uns eine Situation wie die aktuelle vor, in der die aus den technischen Analysen der Europäischen Kommission abgeleiteten Ausgabenpfade Kürzungen in einer Reihe von (großen) Ländern des Euroraums erfordern, um die Fiskalregeln einzuhalten. Negative grenzüberschreitende Effekte gleichzeitiger öffentlicher Budgetkürzungen in mehreren Mitgliedsländern könnten die negativen Wachstums- und Beschäftigungseffekte der Sparpolitik verschärfen. Mit dem Rückgang des Wirtschaftswachstums könnten die öffentlichen Schuldenquoten sogar stärker unter Aufwärtsdruck geraten als ursprünglich von der Kommission erwartet.
Der Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission trägt Abstimmungsproblemen der Fiskalpolitik zwischen den Mitgliedstaaten nicht ausreichend Rechnung. Die derzeit vorgesehene Reform der Fiskalregeln greift zu kurz, wenn es darum geht, die Fähigkeit zur Steuerung des fiskalpolitischen Kurses der Eurozone als Ganzes zu verbessern. Diese Steuerungsfähigkeit ist jedoch entscheidend, wenn der gemeinsame Wirtschafts- und Währungsraum für alle Mitgliedstaaten funktionieren soll. Die Berücksichtigung der Auswirkungen der aus den technischen Schuldenanalysen der einzelnen Mitgliedstaaten abgeleiteten Budgetpfade auf den fiskalpolitischen Kurs des Euroraums insgesamt sollte daher für die Kommission verpflichtend sein. Die einzelnen Mitgliedstaaten müssten ihrerseits die Auswirkungen auf den Euroraum bei der Verhandlung länderspezifischer Pläne mit der Europäischen Kommission in Betracht ziehen.
Unzureichende Fiskalregelreform würde Fehler der Vergangenheit wiederholen
Die bestehenden EU-Fiskalregeln sind nicht zukunftsfit und müssen reformiert werden. Der aktuelle Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission beinhaltet einige sinnvolle Elemente, die eine bessere Budgetpolitik ermöglichen. Die politischen Verhandlungen sind jetzt in der heißen Phase. Österreich sollte eine konstruktive Rolle spielen, indem es sich einerseits nicht auf Positionen versteift, die in Zukunft auf Kosten der Stabilität des gemeinsamen Währungsraumes gehen könnten. Zudem muss es sich für eine Erweiterung des Spielraums für Zukunftsinvestitionen, etwa für den Klimaschutz, aktiv einsetzen.
Es sind Verbesserungen der Kommissionsvorschläge in einigen Bereichen erforderlich. Ein Fokus sollte auf folgende drei Punkte gelegt werden:
- Vergrößerung der aktuell unzureichenden Spielräume für öffentliche Klimainvestitionen, ohne die die Erreichung der ambitionierten Klimaziele für die kommenden Jahrzehnte in weite Ferne rückt.
- Verpflichtende demokratische Legitimation beim Zustandekommen der mehrjährigen Budgetpläne durch eine stärkere Einbindung der Parlamente.
- Mehr Abstimmung der Fiskalpolitik zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, weil sich ansonsten neue wirtschaftliche Ungleichgewichte aufbauen würden, die die Saat für kommende Krisen legen.