Verteilungsfragen stehen nach wie vor an der Tagesordnung. Der Jahreswechsel bietet eine gute Gelegenheit für einen knappen Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahres und einen Ausblick auf bedeutsame Debatten, die uns 2016 verfolgen werden. Die wichtigste Frage für die Verteilungsforschung und die Wirtschaftspolitik im Allgemeinen wird sein, wie ein hoher Wohlstand ökologisch nachhaltiger produziert und sozial verträglicher verteilt werden kann.
Rückblick
Der sicherlich wichtigste Meilenstein 2015 in der österreichischen Verteilungsforschung war die Gründung des neuen Forschungsinstituts „Economics of Inequality“ (INEQ) an der Wirtschaftsuni Wien. Das bedeutet nicht nur eine kräftige Verstärkung für die wissenschaftliche Forschung zu sozialer, ökologischer und ökonomischer Ungleichheit, sondern auch eine – in vielen Bereichen vernachlässigte – Teilnahme der Universität an gesellschaftlich relevanten Debatten. Die Institutsgründung ist ein Ausdruck der gewachsenen Verteilungsschieflage der letzten Jahrzehnte, aber auch der drohenden Verschärfung von Verteilungsauseinandersetzungen in der Zukunft.
Auf internationaler Ebene war die Verteilungsdebatte im abgelaufenen Jahr von neuen Büchern für eine Öffentlichkeit jenseits der Universitäten geprägt. Die Koryphäe der Verteilungslehre Tony Atkinson hat mit „Inequality: What can be done?“ eine detaillierte Anleitung zur Verringerung von Ungleichheit verfasst. Während Atkinsons Schüler Thomas Piketty mit seinem „Kapital im 21. Jahrhundert“ sicherlich mehr Wirbel erzeugte, bietet es doch ein weitaus umfassenderes und ausführlicheres Maßnahmenpaket zur Ungleichheitsbekämpfung als Piketty.
Auch Nobelpreisträger Joseph Stiglitz („Reich und Arm: Die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft“) und der ehemalige US-Arbeitsminister Robert Reich („Saving Capitalism: For the Many, Not the Few“) veröffentlichten 2015 Bücher, die sich mit Lösungsansätzen für das Verteilungsproblem beschäftigen. Die Vorschläge reichen von Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Infrastruktur, über die Stärkung der Gewerkschaften bis zu Vollbeschäftigungspolitik. Laut Reich sollen die Maßnahmen noch vor der wohlfahrtsstaatlichen Umverteilung greifen, nämlich schon bei der Verteilung der Markteinkommen: im Englischen heißt es prägnant “Predistribution” statt “Redistribution”.
Ausblick
Verteilungsfragen werden 2016 weiterhin ein bestimmendes Thema bleiben. Zwei wichtige Spannungsfelder dürften dabei im Mittelpunkt stehen: Einerseits Verteilung und Wirtschaftswachstum, andererseits Verteilung und Technologischer Fortschritt.
Wirtschaftswachstum als Kerngröße für Fortschritt und Wohlstand ist seit geraumer Zeit zurecht umstritten. Ökologische Grenzen und Schwächen in der Bewertung sozialer Kriterien sind nur zwei Gründe, warum Wohlstand nicht mehr nur mit dem Bruttoinlandsprodukt gemessen werden sollte. Aber Fakt ist: Die Verteilungsspielräume werden enger, wenn die Produktion von Gütern und Dienstleistungen langsamer wächst als die Bevölkerung und ihre Ansprüche.
Das Wechselspiel zwischen Verteilung und Wachstum haben wir jüngst im unabhängigen Jahreswachstumsbericht 2016 (iAGS – Kapitel 2.3) thematisiert. Eine ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung reduziert durch mangelnde Nachfrage das Wirtschaftswachstum, eine schrumpfende Wirtschaft wirkt sich wiederum über viele Kanäle schlecht auf die Verteilungssituation aus. Das zeigt auch die Analyse langfristiger OECD-Daten: Der Anstieg der Einkommensungleichheit zwischen 1985 und 2005 hat das kumulative Wirtschaftswachstum der Jahre 1990 bis 2010 um nahezu 5 Prozentpunkte geschmälert.
Eine zweite große Debatte dürfte wohl der Zusammenhang zwischen digitalem Wandel, modernen Produktionsprozessen und Verteilungsfragen werden. In welchem Umfang Maschinen die notwendige Menge menschlicher Arbeitsleistung in der Zukunft reduzieren werden, ist selbstverständlich wilde Spekulation. Aber schon jetzt ist die Verteilung von Arbeit bzw. das Problem der Arbeitslosigkeit die dringendste Frage der europäischen Wirtschaftspolitik. Wie wir im iAGS 2016 darlegen, steigt nicht nur die offizielle Arbeitslosigkeit in der Eurozone, sondern auch die Zahl der Unterbeschäftigten und der “Entmutigten”, die sich bereits aus der erfolglosen Arbeitssuche zurückgezogen haben (siehe Abbildung).