Seit Mitte der 1970er geht der Anteil der ArbeitnehmerInnenentgelte am Volkseinkommen zurück, d.h. die Lohnquote sinkt. Die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme (Arbeitslosigkeit, Alter, Gesundheit, Unfall) wird also von einem immer kleiner werdenden Anteil des Volkseinkommens finanziert. Wenn die Lohnquote sinkt, steigt natürlich der Anteil der Kapitalseite. Seitdem wird in Deutschland und Österreich über eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, durch die sogenannte Wertschöpfungsabgabe, debattiert. In Italien wurde 1999 unter Ministerpräsident Prodi eine Form der Wertschöpfungsabgabe, die Imposta regionale sulle attività produttive (IRAP), eingeführt.
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Durch die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe soll der größer werdende Teil am Volkseinkommen, nämlich die Gewinn- bzw. Kapitalquote, einen Beitrag zur Finanzierung der sozialen Absicherungssysteme leisten. Zusätzlich soll es zu einer faireren Aufteilung der Finanzierungskosten zwischen personalintensiven Branchen, wie z.B. dem Bauwesen, und kapitalintensiven Branchen, wie z.B. den Versicherungen, kommen.
Was soll die Wertschöpfungsabgabe alles umfassen?
Wesentliche Teile des Sozialsystems, von Gesundheits-, Unfall-, Pensions- bis hin zu Familienleistungen, werden durch Beiträge der ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen –auf die Lohnsumme finanziert. Die derzeitige Bemessungsgrundlage beruht rein auf dem Faktor Arbeit. Eine Wertschöpfungsabgabe hat die Idee einer Umbasierung von den Personalkosten auf zusätzlich weitere Komponenten, die in einem Unternehmen an Wert „geschöpft“ werden. Die weiteren Komponenten kommen von der Kapitalseite und sind zum Beispiel der Gewinn, die Zinsen bis hin zu Investitionen in Maschinen – den Abschreibungen.
Gewerkschaft breite, ArbeitgeberInnen enge Basis
Wie weitgehend die Umbasierung der Bemessungsgrundlage ausfällt ist Teil einer intensiven Auseinandersetzung. Die Gewerkschaftsbewegung will eine möglichst breite Bemessungsgrundlage, also inklusive Gewinn, Fremdkapitalzinsen und den Abschreibungen. Die ArbeitgeberInnenseite, vor allem die Industriellenvereinigung, will eigentlich gar keine Wertschöpfungsabgabe und keinesfalls eine Besteuerung von Abschreibungen. Laut Industriellenvereinigung (IV) würden damit Investitionen und Produktivitätssteigerungen besteuert. Deshalb wird die Wertschöpfungsabgabe von Wirtschaftskammer und IV als Maschinensteuer bezeichnet. Ganz so einig ist sich aber die ArbeitgeberInnenseite in ihrer Ablehnung der Wertschöpfungsabgabe jedoch auch nicht. 2007 sprach sich der damalige Wirtschaftsbund-Generalsekretär und heutige zweite Nationalratspräsident Karl Heinz Kopf für eine Wertschöpfungsabgabe aus. Innerhalb der ArbeitgeberInnenseite wird die Debatte schon länger geführt. Gerade UnternehmerInnen in personalintensive Wirtschaftssektoren finden es ungerecht, dass in diesen Branchen die Arbeitsplätze geschaffen werden und die größte Last bei der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme getragen werden muss, während andere Sektoren weniger Arbeitsplätze schaffen, weniger Sozialbeiträge leisten müssen und dadurch höhere Gewinnrenditen haben.
Die europaweit einzige bestehende Wertschöpfungsabgabe in Italien, sieht jedenfalls keine Besteuerung von Abschreibungen vor.
Imposta regionale sulle attività produttive – IRAP = Gewinn/Verlust + Personalkosten + Fremdkapitalzinsen
Quelle: Südtiroler Finanzverwaltung
Untersuchung auf Basis von Steuererklärungen
Auf Basis anonymisierte Stichprobe von 1.600 Einkommens- und 1.500 Körperschaftssteuererklärungen aus dem Jahr 2006/2007 können Aussagen über die Auswirkungen einer Wertschöpfungsabgabe auf die Steuerleistung für Unternehmen getroffen werden. Der öffentliche Sektor ist bis auf privatwirtschaftlich agierende Bereiche ausgenommen. Steuerdaten sind insofern hierfür aussagekräftiger als Daten der Volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung, weil diese die reale Steuererklärung der UnternehmerInnen abbilden. Die folgenden Daten sollen eine ungefähre Orientierung geben.
Umbasierung durch Verbreiterung
Um festzustellen wie sich die Umbasierung auswirkt ist die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage eine einfache Maßzahl. Je höher die Verhältniszahl ist, desto gewichtiger sind die Komponenten Gewinn und Fremdkapitalzinsen sowie die Belastung der Verbreitung.
30 % geringerer Steuersatz möglich
Die Berechnungen der Steuerdaten des Finanzministeriums ergeben, dass eine aufkommensneutrale Finanzierung nach italienischem Vorbild über alle Unternehmen gerechnet, einen um rund 30% geringeren Steuersatz ermöglicht. Das bedeutet, dass z.B. der Beitrag vom Familienlastenausgleichsfonds bei konstanten Aufkommen von derzeit 4,5% auf rund 3% gesenkt werden könnte.
Was bedeutet Verbreiterung für ein Unternehmen – ein Beispiel
Die obige Tabelle zeigt, dass sich vor allem für Kleinstbetriebe die Bemessungsgrundlage stark ausweiten würde. Dies aus zwei Gründen: In der bisherigen Diskussion zur Wertschöpfungsabgabe wurde immer die gerechtere Verteilung der Lasten zur Finanzierung des Sozialwesens zwischen personalintensiven und kapitalintensiven Branchen betrachtet. Dieses Ziel würde eine Wertschöpfungsabgabe auch erfüllen. Zieht man die Steuererklärungen für eine Betrachtung nach Branchen heran, ergibt sich folgendes Bild.
Würde die Wertschöpfungsabgabe als vollkommener Ersatz für alle Sozialversicherungsbeiträge, also für Kranken- Pension-, Arbeitslosenversicherung etc…, eingeführt werden, würde dies einen fundamentalen Umbau des in Österreich bestehenden Sozialwesens bedeuten. Die Wertschöpfungsabgabe birgt ein großes Potential zur Lösung der Verteilungsfrage in der Finanzierung sozialer Leistungen zwischen Kapital und Arbeit. Trotzdem sind einige wirtschafts- und sozialpolitische Auswirkungen noch zu prüfen. Um die Auswirkungen abschätzen zu können und kontrollierbar zu halten, wäre die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe in einem abgegrenzten Bereich als erster Schritt, in Form der Finanzierung des Familienlastenausgleichsfonds, sinnvoll. Der Familienlastenausgleichsfonds ist eine ArbeitgeberInnenabgabe und beträgt 4,5% auf die Bruttolohnsumme. Damit die der gleiche Betrag für den FLAF von rund 6 Mrd. € auf Basis einer neuen Bemessungsgrundlage eingenommen werden kann, würde sich ein neuer – aufkommensneutraler – Beitragssatz von rund 3% ergeben. Der FALF hat eine 100% Abgangsdeckung durch den Bund, dies bedeutet, sollten unerwartet Mehr- oder Mindereinahmen erzielt werden, dann wird dies automatisch durch das Bundesbudget ausgeglichen.
Die obige Tabelle zeigt, dass es zu einer Umverteilung zwischen den Branchen kommen würde. Während zum Beispiel die Baubranche um 4 € entlastet würde, müsste die Gruppe der RechtsberaterInnen höhere Beiträge leisten.
Umverteilung zwischen Branchen fände statt
Aufkommensneutrale Finanzierung des Familienlastenausgleichsfonds (FLAF)
Senkung des Beitragssatzes zum Familienlastenausgleichsfonds
Zusammenfassung