In Österreich leben rund 1,3 Millionen ausländische Staatsangehörige (15,3 % der Gesamtbevölkerung). Die zahlenmäßig mit Abstand größte Gruppe sind Deutsche (knapp 182.000 Personen), gefolgt von SerbInnen (rund 118.000 Personen) und TürkInnen (knapp 117.000 Personen). Auf den Plätzen vier bis zehn (in dieser Reihenfolge) liegen Bosnien und Herzegowina, Rumänien, Kroatien, Ungarn, Polen, Afghanistan, Slowakei. Im Zusammenhang mit dem Thema Zuwanderung nach Österreich prägen vor allem in Wahlkampfzeiten (aber nicht nur dann) Schlagwörter wie „Sozialtourismus“ und „Zuwanderung in den Sozialstaat“ die Medienlandschaft. Grund genug einigen Fragen nachzugehen: Unter welchen Voraussetzungen haben MigrantInnen Anspruch auf Sozialleistungen in Österreich? Gibt es gesetzliche Lücken, die Missbrauch zulassen? Welche Rolle spielen europarechtliche Bestimmungen?
Sozialleistungen – worum geht’s?
Insbesondere Arbeitslosenleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe) und Sozialhilfe (bedarfsorientierte Mindestsicherung) stehen meist im Mittelpunkt der Debatte. Arbeitslosenleistungen kann grundsätzlich nur beziehen, wer zuvor Versicherungsbeiträge eingezahlt hat, die bedarfsorientierte Mindestsicherung, das „letzte soziale Auffangnetz“, wird hingegen durch Steuereinnahmen finanziert (trotz des starken Anstiegs betragen die Aufwendungen für die Mindestsicherung gemessen an den gesamten Sozialausgaben weiterhin weniger als 1 %, 2016: 0,9 %; 2012: 0,6 %). Die Höhe der Arbeitslosenleistungen hängt vom vorangegangenen Erwerbseinkommen ab, bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) gibt es gesetzlich festgesetzte Beträge, die von Bundesland zu Bundesland variieren. Darüber hinaus wird auch die Familienbeihilfe immer wieder diskutiert.
EU-BürgerInnen
EU-BürgerInnen (ausgenommen KroatInnen) haben das Recht, den Arbeitsplatz innerhalb der EU frei zu wählen (Arbeitnehmerfreizügigkeit). Sie haben in jedem anderen Mitgliedstaat den gleichen Zugang zu Beschäftigung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Geht der Job verloren, so besteht Anspruch auf Arbeitslosenleistungen in Österreich nur dann, wenn ausreichende Beschäftigungszeiten nachgewiesen werden können. Aufgrund der rechtlichen Gleichstellung von EU-BürgerInnen mit ÖsterreicherInnen spielt es infolge der europarechtlichen Zusammenrechnungsregel (sogenannte „1-Tages-Regel“, weil die Zusammenrechnung bereits nach einem Tag Beschäftigung erfolgt) keine Rolle, ob die Beschäftigung in Österreich oder in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt wurde. Dies hat zu Kritik geführt, weil Arbeitslosenleistungen bezogen werden können, obwohl in Österreich keine Versicherungsbeiträge eingezahlt wurden. Im Gegenzug kommen in anderen Mitgliedstaaten ÖsterreicherInnen aber ebenso in den Genuss dieser Regelung. Das Missbrauchspotenzial ist als außerordentlich gering einzustufen. Ein Beispiel: Zum Stichtag 31.10.2016 bezogen in Österreich 2.914 Personen (darunter 2.095 österreichische StaatsbürgerInnen) Arbeitslosenleistungen aufgrund der Zusammenrechnung mit Versicherungszeiten aus einem anderen Mitgliedstaat, davon haben 202 Personen (darunter 86 österreichische StaatsbürgerInnen) weniger als sieben Tage in Österreich gearbeitet. Ähnliche Ergebnisse zeigen Auswertungen an anderen Stichtagen. Nach einem Vorschlag der EU-Kommission sollen in Zukunft Versicherungszeiten aus anderen Mitgliedstaaten nur dann berücksichtigt werden, wenn zusätzlich mindestens drei Monate Beschäftigung in jenem Mitgliedstaat absolviert wurden, in dem die Arbeitslosenleistung beantragt wird. Ob dieser Vorschlag jedoch umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Österreich könnte eine solche Änderung jedenfalls nicht im Alleingang beschließen.
Auch über die Arbeitnehmerfreizügigkeit hinaus haben EU-BürgerInnen das Recht, sich in anderen Mitgliedstaaten aufzuhalten und sich frei zu bewegen. Wie immer wieder richtiger Weise betont wird, ist dieses Recht aber keineswegs gleichbedeutend mit einem sofortigen Zugang zu Sozialleistungen; dies gilt insbesondere für die bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS). Bei den BMS-BezieherInnen gibt es zwei Gruppen: Personen, die aufgrund eines nicht ausreichenden Einkommens zusätzlich BMS beziehen (sogenannte „Aufstocker“) und Personen, die kein sonstiges Einkommen zur Verfügung haben. Beide Gruppen müssen dem Arbeitsmarktservice zur Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen. Grundsätzlich können EU-BürgerInnen erst nach fünfjährigem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt in Österreich BMS beantragen, keine Wartefrist ist hingegen für „Aufstocker“ vorgesehen. Da EU-BürgerInnen ohne Einschränkung in einem anderen Mitgliedstaat eine Arbeit aufnehmen dürfen, wird auch BMS gewährt, wenn das Arbeitseinkommen (oder eine Arbeitslosenleistung nach Jobverlust) nicht ausreichend ist.
Auch die Familienbeihilfe steht immer wieder in Diskussion. Europarechtlich ist jener Mitgliedstaat, in dem ein Elternteil einer Beschäftigung nachgeht, für die Auszahlung von Familienleistungen (bzw. Differenzzahlungen, wenn die Elternteile in unterschiedlichen Mitgliedstaaten leben) zuständig, und zwar auch für Kinder, die in einem anderen Mitgliedstaat leben. Aufgrund des Grundsatzes der rechtlichen Gleichstellung von EU-BürgerInnen mit ÖsterreicherInnen gebührt die Familienbeihilfe für alle Kinder in derselben Höhe. Diese Regelung wird mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Lebenserhaltungskosten in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten immer wieder infrage gestellt. Der Europäische Gerichtshof hat dazu aber entschieden, dass eine Anpassung des Leistungsniveaus an den Wohnort des Kindes mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar ist. Ein Alleingang Österreichs wäre daher auch hier nicht möglich.
Drittstaatsangehörige
Drittstaatsangehörige sind Personen, die weder EU-BürgerInnen (bzw EWR-BürgerInnen und SchweizerInnen) sind, noch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, also eben aus einem „Drittstaat“ kommen.
Diese Personen kommen aus sehr unterschiedlichen Gründen nach Österreich; die wesentlichsten Gründe sind Flucht vor Verfolgung, Arbeit, Familienzusammenführung und Ausbildung.
Personen, die aus Fluchtgründen nach Österreich gekommen sind, stellen in aller Regel in Österreich einen Asylantrag. Solange über diesen Antrag nicht entschieden ist, erhalten die AsylwerberInnen lediglich die sogenannte Grundversorgung: Wohnen sie in einer betreuten Unterkunft, erhalten sie lediglich 40 Euro „Taschengeld“ pro Monat. Wenn AsylwerberInnen selbstständig wohnen, erhalten (alleinstehende) Personen nur 365 Euro. Dazu kommt, dass AsylwerberInnen nur sehr eingeschränkt (bzw in der Praxis de facto gar nicht) erwerbstätig sein dürfen und daher keine Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Werden diese Personen als „Asylberechtigte“ (= Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention) anerkannt, haben sie sowohl gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention als auch nach EU-Recht Anspruch auf Gleichbehandlung mit österreichischen StaatsbürgerInnen und damit Anspruch auf BMS. In Oberösterreich und Niederösterreich gibt es für Flüchtlinge (nach unserer Meinung europa- und völkerrechtswidrig) deutlich geringere Sätze für den Bezug von BMS.
Somit können Flüchtlinge nach Anerkennung in Österreich Sozialhilfeleistungen beziehen. Es ist aber entscheidend, zu erwähnen, dass das Motiv der Zuwanderung nicht der Bezug von Sozialleistungen war: In diesen Fällen wurde festgestellt, dass diese Personen Anspruch auf Schutz haben.
Wenn die geflüchteten Personen zwar kein Asyl, aber sogenannten „subsidiären Schutz“ erhalten (wenn eine Rückkehr aufgrund Lebensgefahr nicht möglich ist), ist aufgrund von EU-Recht grundsätzlich ebenfalls Gleichbehandlung mit österreichischen StaatsbürgerInnen gefordert, die aber auf „Kernleistungen“ beschränkt werden kann. Die Auslegung dieser Bestimmung ist umstritten: Mehrere Bundesländer gewähren subsidiär Schutzberechtigten als „Kernleistung“ lediglich die Grundversorgung.
Sowohl Asylberechtigte als auch subsidiär Schutzberechtigte dürfen unmittelbar nach Zuerkennung des jeweiligen Status erwerbstätig sein. Wenn sie arbeitsfähig sind, müssen sie sich auch beim Arbeitsmarktservice arbeitsuchend melden, um einen Anspruch auf Mindestsicherung zu haben.
Glücklicherweise ist die Mehrzahl der Menschen, die als Drittstaatsangehörige in Österreich leben, nicht aus Fluchtgründen nach Österreich gekommen, sondern verfügt über einen Aufenthaltstitel aus anderen Gründen. Ein Aufenthaltstitel wird nur erteilt, wenn finanzielle Mittel in Höhe der „Ausgleichszulagenrichtsätze“ vorhanden sind. Der Bezug von Sozialhilfeleistungen ist unzulässig. Eine vierköpfige Familie z. B. muss (bei 600 Euro Mietkosten) 1.924,45 Euro pro Monat nachweisen, um einen Aufenthaltstitel erhalten zu können.
BMS können Drittstaatsangehörige lediglich dann erhalten, wenn sie nach mindestens fünfjähriger Niederlassung über einen unbefristeten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügen; Voraussetzungen sind u. a. gute Deutschkenntnisse und bei Erteilung dieses Aufenthaltstitels ausreichende Unterhaltsmittel. Die Möglichkeit, dass diese Personen BMS beziehen können, ist aus europarechtlichen Gründen auch zwingend nötig.
In der Praxis wird auch Drittstaatsangehörigen, die schon länger als fünf Jahre in Österreich niedergelassen sind, aber über keinen unbefristeten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügen, keine BMS gewährt. Das gilt auch für Personen, die aus Gründen der Menschenrechtskonvention keinesfalls aus Österreich ausgewiesen werden können („Bleiberecht“).
Fazit
Eine „Zuwanderung, um Sozialhilfeleistungen zu erhalten“, ist für Drittstaatsangehörige aus rechtlichen Gründen unmöglich. Im Gegenteil erhalten viele Personen, die schon jahrelang in Österreich leben, keine Mindestsicherung. In Bezug auf EU-BürgerInnen wird die Debatte über Sozialleistungen vor dem Hintergrund des stark ausgeprägten Lohngefälles innerhalb der EU geführt. Den Herausforderungen für den Sozialstaat muss jedoch mit der Weiterentwicklung sozialer Mindeststandards auf EU-Ebene begegnet werden und nicht mit einem weiteren Kürzen von Sozialleistungen.