TTIP and Jobs – Studie verkauft alten Wein in neuen Schläuchen

21. Juli 2016

Die Website der Europäischen Kommission zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership – kurz TTIP) verspricht uns EU-weite Beschäftigungs- und Wachstumsimpulse, Preissenkungen und eine größere Auswahl für Verbraucher. Im Zuge der Lektüre einer im Auftrag des Europaparlaments erstellten Studie gehe ich der Frage nach, was wirklich hinter diesen Versprechungen steckt.

Eine Studie… Und es geht um Jobs!

Aus dem Newsletter des Europaparlaments (EP) flatterte eine neue Studie zu den Auswirkungen von TTIP in meinen Briefkasten. Die Studie schien sich mit der Frage zu befassen, wie sich TTIP auf die Arbeitsmärkte in Europa auswirken würde. Diese wurde vom Ausschuss des EP für Beschäftigung und soziale Fragen in Auftrag gegeben und das Abstract am Anfang stellte ein paar zusammenfassende Eckpunkte fest: Wir würden eine „substanzielle“ Umverteilung von Jobs in und zwischen Branchen sehen, Löhne könnten in der Exportwirtschaft etwas steigen und Arbeitsmarkteffekte wären höchst ungewiss. Auch wenn diese Arbeitsmarkteffekte nicht groß wären, wird es ausreichende Geldmittel für Ausgleichsmaßnahmen brauchen.

Ich war bis dahin gewohnt, von Beschäftigungsimpulsen, quasi einem „Jobmotor TTIP“, zu lesen und hatte eher keine nüchterne Bilanz, gar unter der Nennung potenzieller „Anpassungskosten“, erwartet. Die Thematik Freihandel und TTIP mit fundierten volkswirtschaftlichen Studien aufzuarbeiten ist für die AK nichts Neues. Die meistzitierten Studien (CEPR 2013, ECORYS 2009, ECORYS 2010 – alle abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/ und Bertelsmann/Ifo) zu den wirtschaftlichen Auswirkungen von TTIP werden einerseits schon länger seitens der AK kritisch bewertet (eine komplette Zusammenfassung der Argumente ist im Positionspapier zu TTIP und CETA ab Seite 12 verfügbar), andererseits lieferten selbst diese Studien keine Anhaltspunkte, um in TTIP einen Jobmotor zu sehen.

Im Gegenteil, die Methoden der Studien lassen befürchten, dass zentrale Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte und Anpassungskosten übersehen werden. An dieser Stelle sei deutlich auf die Arbeiten der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) zu TTIP, sowie, ganz aktuell und u.a. im Auftrag der AK, zu CETA – dem Freihandelsabkommen mit Kanada – hingewiesen.

Die Studie des EP ging aber nicht direkt auf die Kritik ein. Es wurden zu verschiedenen Fragekomplexen Studien und historische Beispiele gesammelt und ihre Ergebnisse verglichen. Man kann also in gewisser Weise von einer „Metastudie“ sprechen, eine Sammlung des schon vorhandenen Wissens. Dabei wurde abermals den „Klassikern“ viel Platz eingeräumt.

Die Grenzen der Modellrechnung

Kern unserer Kritik ist, dass man mit den Studien wahrscheinlich schon Handelsströme vorhersagen kann, aber (meist) keine Anpassungskosten veranschlagt werden. Die grundsätzliche Herangehensweise an Handel durch Modellrechnungen existiert seit David Ricardos Arbeiten vor rund 200 Jahren, sie waren aber nicht dafür gedacht, Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt vorherzusehen.

Wenn sich Länder an den freien Handel anpassen, müssen sie sich spezialisieren. Die von Ricardo und seinen zahlreichen Weiterentwicklern angenommene Anpassung ist aber mit Kosten verbunden und hier schlägt die Realität wieder beinhart zu. Im genannten Bericht der ÖFSE zu TTIP wurden diese Studien schon kritisch begutachtet. Zwei der genannten „Klassiker“ nehmen Vollbeschäftigung und perfekte Märkte an. Das heißt, die Modelle setzen voraus, dass Beschäftigte, die in einem Betrieb gekündigt werden, sofort in einem anderen Beschäftigung finden, und dass alle Betriebe ihre Waren auch restlos verkaufen können. Diese zwei Annahmen mögen für eine Prognose der Handelsströme vielleicht noch haltbar sein, Aussagen über die Arbeitsmarktauswirkungen und die branchenweiten Verschiebungen von Jobs aber sind eher mit Vorsicht zu genießen. Die ÖFSE geht in ihrem Bericht zu TTIP auch auf Problematiken der in dieser Hinsicht weiter entwickelten Studie von Bertelsmann/ifo ein, welche die Arbeitsmärkte besser berücksichtigt, aber auf sehr optimistischen Grundannahmen zu basieren scheint, was die Arbeitsmarktlage in einigen europäischen Ländern wahrscheinlich nicht reflektiert.

Ein einleuchtendes Beispiel: Es macht für die Perspektiven im Arbeitsmarkt einen Unterschied, ob man gut ausgebildet ist, ob man Umschulungsbedarf hat und wie alt man ist. Die Modelle bilden potenzielle Langzeitarbeitslosigkeit nicht ab, sondern nehmen an, dass jeder der aufgrund von TTIP seine Arbeit verliert, gleich wieder Arbeit findet.

TTIP und Jobs?

Die Studie des EP bringt uns den alten Wein in neuen Schläuchen. Es werden abermals die gleichen Studien zitiert. Die Studie bestätigt dennoch die Arbeiten von unserer Seite. Die volkswirtschaftlichen Gewinne sind klein, Arbeitsmarktauswirkungen, so finden selbst die meistzitierten Studien, sind vorhanden. Man sieht auch, wie stark die Modelle in der Prognose abweichen: Die gefundenen Studien sehen ein Potenzial zwischen einem Verlust von 500.000 und einem Zuwachs von 1,3 Millionen Jobs. In Europa gibt es ca. 220 Millionen Beschäftigte (unselbstständig und selbstständig): Der „Best-Case“ macht das Kraut nicht fett, der „Worst-Case“ kommt uns verhältnismäßig teuer, wenn wir reale Arbeitsmärkte vor Augen haben. In diesem Sinne sind auch die kleinen volkswirtschaftlichen Gewinne, die der Freihandel bringen könnte, fragwürdig, denn wenn diese nicht den Menschen zugutekommen, die auf Arbeitsmärkten ihren Job verlieren, geht es uns als Gesellschaft nicht unbedingt besser. Auf die jüngeren österreichischen Arbeiten (z.B. der ÖFSE) wird nicht eingegangen. Das ist schade, denn so könnte man sich der Kritik stellen.

Die Studie empfiehlt sehr deutlich Übergangsregelungen, eine bessere Aufstellung von Arbeitslosenversicherungssystemen und Gelder aus EU-Töpfen für kleine Länder. Das zeigt durchaus Verständnis für die Realität: Wenn wir nicht wissen, wie sich die reale Arbeitsmarktlage entwickelt, müssen wir uns absichern. Wenn die Grundaussage aber bleibt: „wir gewinnen wenig und wissen nicht genau, was auf den Arbeitsmärkten passieren wird,“ sollten wir die Versprechungen von TTIP, aus diesem und zahlreichen anderen Gründen, noch einmal überdenken.