Bei der Erneuerung der EU-Zulassung von Glyphosat entzündete sich ein Streit, ob dieses Pflanzenschutzmittel bei Menschen Krebs erzeugt. Die Entscheidung hat weitreichende kommerzielle Konsequenzen. Immer drängender wird in einer solchen Situation die Frage, ob die Unabhängigkeit von WissenschaftlerInnen in EU-Gremien noch gewährleistet ist.
Glyphosat kam in die Schlagzeilen, als 2015 die IARC, die Internationale Krebsforschungsagentur der UNO, ihre Beurteilung veröffentlichte, wonach Glyphosat beim Menschen wahrscheinlich Krebs erzeuge. Das Aufsehen war groß, da Glyphosat in der Gruppe der Unkrautbekämpfungsmittel (Herbizide) sowohl weltweit als auch in der EU der am häufigsten eingesetzte Wirkstoff ist.
Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in der EU wird durch die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 geregelt. Diese legt in ihrem Anhang II fest, dass ein Wirkstoff unter anderem dann nicht zugelassen werden darf, wenn er krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsschädlich ist. Nach diesem sogenannten „gefahren-bezogenen Ansatz“ kann ein/e ZulassungswerberIn für einen krebserzeugenden Wirkstoff sich also nicht „frei beweisen“, indem er/sie zeigt, dass es zu keiner Exposition von Menschen kommen kann.
Falscher Anreiz
Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Vorsorge zu begrüßen. Doch die Regel hat einen Haken: Sie gibt Unternehmen einen starken Anreiz nachzuweisen, dass von einem Wirkstoff, den sie vermarkten wollen, keine Krebsgefahr ausgeht. Dabei kommt wissenschaftlichen GutachterInnen eine wichtige Rolle zu. Weil nun das europäische Pflanzenschutzmittelrecht die Vermarktung krebserzeugender Pestizide verbietet, ließ die Beurteilung der IARC, dass Glyphosat bei Menschen wahrscheinlich Krebs erzeugt, bei Monsanto, dem größten Hersteller von Pflanzenschutzmitteln auf Glyphosat-Basis, die Alarmglocken läuten.
Die Einstufung der IARC ist auf EU-Ebene nicht unmittelbar von rechtlicher Bedeutung. Ausschlaggebend ist vielmehr die Empfehlung der EFSA, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, und schließlich die Abstimmung in einem von den Mitgliedstaaten beschickten Ausschuss. Die EFSA kam im Oktober 2015, also wenige Monate nach der Veröffentlichung der IARC-Beurteilung zum Schluss, dass nicht davon auszugehen sei, dass Glyphosat bei Menschen Krebs erzeuge. Zur gleichen Einschätzung kam auch die Europäische Chemikalienagentur ECHA. Im Ausschuss der Mitgliedstaaten gab schließlich am 27. November 2017 die Ja-Stimme Deutschlands, das sich bis dahin enthalten hatte, den Ausschlag dafür, dass die Zulassung des Wirkstoffs Glyphosat für fünf Jahre verlängert wurde.
Widerspruch der kritischen Öffentlichkeit
Doch NGOs bezweifeln, dass diese Entscheidung richtig ist – und dass sie auf korrekte Weise zustande gekommen ist. Einige von ihnen, darunter Global 2000 aus Österreich, riefen eine Europäische Bürgerinitiative ins Leben, mit der die Kommission aufgefordert wird, ein Verbot von Glyphosat und eine Reform der Zulassungsprozesse für Pestizide anzustreben. Die Initiative war erfolgreich, es konnten über 1,3 Millionen Unterschriften gesammelt werden.
Die Bürgerinitiative ist Ausdruck des Unbehagens mit einem immer weniger transparenten Vorgehen der Behörden bei der Bewertung von Chemikalien. Obwohl ExpertInnen ihre Interessenkonflikte offenlegen müssen, sind die Verbindungen zwischen Industrie und staatlichen Agenturen immer schwerer zu durchschauen. Das Europäische Parlament hat am 8.2.2018 daher beschlossen, einen Sonderausschuss einzusetzen, der sich unter anderem mit der Frage befassen soll, ob die EFSA eine unabhängige, objektive und transparente Bewertung der Gefahren vorgenommen hat, die von Glyphosat ausgehen, und ob es Interessenkonflikte gab, die sich auf das Bewertungsergebnis ausgewirkt haben könnten. Am 27. September haben die zwei Berichterstatter, Norbert Lins (EVP, DE) und Bart Staes (Grüne/EFA, NL), den Entwurf ihres Berichts vorgelegt, der nun im Sonderausschuss diskutiert wird.
Drohende Schadenersatzklagen
Die Frage, ob Glyphosat krebserzeugend sei, ist nicht neu. Schon 1985 bejahte die US-Umweltschutzbehörde (US-EPA, Environmental Protection Agency) dies aufgrund von Tierversuchen. Doch bald darauf revidierte sie diese Äußerung, wobei eine Studie eines von Monsanto bestellten Toxikologen ausschlaggebend war. Ob Monsanto hierbei unlauter vorgegangen ist, ist derzeit Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren in den USA, in denen Schadenersatz für Erkrankungen infolge der Verwendung von Glyphosat gefordert wird. Das Urteil, das in einem dieser Prozesse am 10.8.2018 erging, könnte Monsanto – bzw. die Bayer AG, die Monsanto kürzlich übernommen hat – in Schwierigkeiten bringen: Die Geschworenen sahen es als erwiesen an, dass die Krebserkrankung von Dewayne Johnson, der lange Zeit Glyphosat beruflich angewandt hatte, auf dieses Mittel zurückzuführen ist. Monsanto wurde zu einer Schadenersatzzahlung von 289 Millionen US-Dollar verurteilt (etwa 250 Millionen Euro). Da in den USA hunderte ähnliche Fälle anhängig sind, stellt dieses Urteil für Monsanto einen gefährlichen Präzedenzfall dar.
Der Verdacht steht im Raum, dass im Fall von Glyphosat Studien gekauft wurden und dass auch unabhängige ToxikologInnen von den HerstellerInnen in ihrem Urteil beeinflusst wurden. Kürzlich publizierte Global 2000 eine Zusammenstellung dieser Verdachtsmomente. Zuletzt wurde die Forderung laut, dass Studien der HerstellerInnen nicht mehr für die Zulassungsverfahren verwendet werden dürfen, und dass stattdessen unabhängige öffentliche Stellen die Bewertung vornehmen sollten.
Dringend notwendige Transparenz
In Hinblick auf die Forderung nach mehr Transparenz bei der Zulassung hat die Kommission mittlerweile einen Vorschlag vorgelegt (COM(2018) 179 final). Demnach soll die Öffentlichkeit einen besseren Zugang zu Studien erhalten, die für die Zulassung von Relevanz sind. In kritischen Fällen soll die Kommission von den ZulassungswerberInnen weitere Untersuchungen einfordern können.
Die Offenlegung der Studien ist dabei ein zentraler Punkt. Sowohl interessierten Laien als auch – und vor allem – der wissenschaftlichen Gemeinschaft sollte es möglich sein, die Resultate nachvollziehen und diskutieren zu können. Nur so kann das weitgehend geschwundene Vertrauen in objektive Bewertungen von Chemikalien wiederhergestellt werden. Und es kann sichergestellt werden, dass einer Verschleierung von ungünstigen Resultaten bis hin zur betrügerischen Veränderung von Studienergebnissen ein Riegel vorgeschoben wird.