Die Pensionsdebatte ist seit einiger Zeit um eine Facette reicher. Arbeitgebervertreter und ihnen nahe stehende Think-Tanks fordern einen Umstieg auf das „schwedische Modell“. Gefallen finden die dortigen „Beitragskonten“ mit Finanzierung ohne Bundesbeitrag und mit mathematischen Formeln („Automatismus“), die z.B. bei steigender Lebenserwartung automatisch Pensionskürzungen bewirken. Es liegt auf der Hand, dass eine Reform in diese Richtung zu einer massiven Verschlechterung führen würde. Negativ betroffen wären vor allem die heute Jüngeren!
Die nähere Betrachtung zeigt:
- das „schwedische Modell“ ist viel komplexer und vielschichtiger als der Verweis auf „Beitragskonten“ und „Automatismus“ vermuten lässt
- die von den Arbeitslöhnen zu zahlenden Pensionsbeiträge liegen in Schweden viel höher als in Österreich
- in den letzten Jahren mussten Regierung und Gesetzgeber in Schweden gleich mehrmals mit Steuergutschriften intervenieren, um die sich (vermeintlich) „selbst regulierenden Beitragskonten“ vor einer völligen Diskreditierung in der Bevölkerung zu bewahren.
1. Kurzbeschreibung des „schwedischen Modells“
In Schweden sind Alterspensionen, Invaliditätspensionen und Hinterbliebenenpensionen organisatorisch und finanzierungstechnisch voneinander getrennt. Die Invaliditätspensionen sind der Krankenversicherung zugeordnet, die (wenig bedeutsamen) Hinterbliebenenpensionen werden in einem eigenen System abgerechnet.
Die öffentliche Alterssicherung im engeren Sinn besteht seit einer umfassenden Reform in den 1990er-Jahren aus drei Komponenten: Einkommenspension, Prämienpension und Garantiepension. Letztere ist funktional ein Äquivalent zu unserer Ausgleichszulage und hier nicht Gegenstand.
Die Finanzierung der Einkommenspension erfolgt im Umlageverfahren, die Prämienpension basiert auf Kapitaldeckung. Das gesetzliche Regelpensionsalter ist 65, ab diesem Alter wird erforderlichenfalls die Garantiepension ausbezahlt. Frühestens ab 61 kann eine vorzeitige Alterspension mit impliziten Abschlägen über die Verrentungsformel (siehe unten) in Anspruch genommen werden.
Die Beschäftigungsquoten der Älteren liegen um einiges höher als in Österreich. Gründe dafür sind nicht zuletzt der strengere Kündigungsschutz und die höhere Bereitschaft der dortigen Arbeitgeber passende Arbeitsplätze für Menschen im höheren Erwerbsalter anzubieten.
Einkommenspension
Zentraler Anknüpfungspunkt für die Forderungen nach Übernahme des „schwedischen Modells“ ist die Einkommenspension mit den dort gegebenen „Beitragskonten“ und dem Anspruch auf selbstregulierte, langfristige Finanzbarkeit ohne „Bundesbeitrag“. Eine Zuzahlung aus Steuermitteln ist lediglich für Anrechnungszeiten vorgesehen (Kindererziehung etc).
Der Beitragssatz zur Einkommenspension beträgt 16 %.
Anders als bei den im neuen österreichischen Pensionskonto-Recht gegebenen „Leistungskonten“ werden auf den schwedischen „Beitragskonten“ während der Erwerbsphase nur die einbezahlten Beiträge nicht aber bereits erworbene Leistungsansprüche ausgewiesen. Zum Zeitpunkt des Pensionsantritts werden die aufsummierten Beiträge (inkl der fiktiv verrechneten Zinsen) verrentet, also in eine Pension umgerechnet. Einer der zentralen Umrechnungsparameter ist die durchschnittliche Restlebenserwartung. Steigt diese, dann führt das „automatisch“ zu entsprechend reduzierten Pensionszahlungen.
Um den Anspruch auf selbstregulierte langfristige Finanzierbarkeit des Systems zu verstehen, muss mit den öffentlichen Pensionsfonds ein weiteres zentrales Element des schwedischen Systems ins Bild gebracht werden.
Öffentliche Pensionsfonds
In die Finanzierungsarchitektur der Einkommenspension sind riesige öffentliche Pensionsfonds integriert (sie konnten aus früheren Systemen übernommen werden). 2011 waren in diesen Fonds in Summe 134 Mrd US-$ veranlagt. Die Fondsmittel sollen die Finanzierbarkeit nicht nur bei vorübergehenden Einnahmenrückgängen (z.B. wegen Konjunktureinbruch) sondern auch bei kräftigem Anstieg des Altenanteils an der Gesamtbevölkerung gewährleisten. Kommt es trotzdem zu Finanzierungsengpässen, weil z.B. die Veranlagungserträge in den Fonds unter den Erwartungen liegen, so wird eine in das System eingebaute „Bremse“ aktiviert und es werden die Leistungsansprüche reduziert. Zu welchen Konsequenzen das in der Praxis führt hat die Entwicklung in den letzten Jahren deutlich gemacht (siehe unten).
Aus österreichischer Perspektive ist fürs erste festzuhalten, dass der Anspruch auf Selbstregulierung im schwedischen „Beitragskonten“-System das Vorhandensein riesiger (Ausgleichs)Fonds voraussetzt. Da es diese bei uns nicht gibt, geht die Forderung nach Übernahme des „schwedischen Modells“ allein schon deshalb ins Leere und das ist bei weitem nicht der einzige Haken, den der Verweis auf das „schwedische Modell“ hat. Bevor hierauf näher eingegangen wird, vorweg noch eine ein paar Worte zur Prämienpension.
Prämienpension
Wie bereits erwähnt basiert die Prämienpension auf Kapitaldeckung, d.h. auf der Veranlagung der einbezahlten Beiträge (Beitragssatz 2,5 %). Die Versicherten haben die Möglichkeit, zwischen 850 privaten Fonds zu wählen. Die Höhe der künftigen Pension hängt damit in hohem Maß von den Veranlagungsergebnissen im jeweils gewählten Fonds bzw. generell von der Entwicklung der Kapitalmärkte ab.
Spätestens nach der Finanzkrise 2008/2009 hat das Interesse an dieser Komponente der schwedischen Alterssicherung erheblich nachgelassen. Von der anfänglich oft positiven Einschätzung ist kaum mehr etwas übrig. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass derzeit nur 1,5 % (!) aller Neueintritte die Möglichkeit zur Fondswahl nützen. Die Beiträge aller anderen müssen in einem Auffangfonds veranlagt werden!
Betriebspension
Ein weiteres Element des „schwedischen Modells“ ist die fast flächendeckende Einbeziehung aller ArbeitnehmerInnen in kollektivvertraglich geregelte Betriebspensionssysteme. Im vorliegenden Zusammenhang ist dabei vor allem von Interesse, dass damit verpflichtende Pensionsbeiträge nicht nur für Einkommens- und Prämienpension, sondern auch für die ergänzenden Betriebspensionen zu zahlen sind.
2. Wie hoch sind die Pensionsbeiträge?
Einer der oft geäußerten Kritikpunkte am österreichischen Sozialstaat ist, dass die Finanzierung zu sehr auf dem Faktor Arbeit lastet bzw. dass die lohnbezogenen Sozialbeiträge zu hoch sind.
Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund, dass nunmehr aus Wirtschaftskreisen in der Pensionsdebatte der Vorschlag auftaucht, Österreich solle auf das „schwedische Modell“ umsteigen. Finanzierungstechnisch würde das bedeuten, dass der Steuerfinanzierungsanteil massiv reduziert und die Beiträge von den Arbeitslöhnen massiv erhöht werden müssten! [Dazu käme das Erfordernis, riesige öffentliche Fonds aufzubauen – eine Herausforderung, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann].
In Österreich liegt der Beitragssatz zu den ASVG-Pensionen – seit 1988 unverändert – bei 22,8 %. Das Leistungsspektrum umfasst sowohl Alters-, als auch Invaliditäts- und Hinterbliebenenpensionen. Betriebspensionen gibt es nur auf freiwilliger Basis (für ca 20 % der ArbeitnehmerInnen).
Hier die vergleichbaren Beitragssätze in Schweden (2013):
Einkommenspension ……………… 16,0 %
Prämienpension …………………… 2,5 %
Invaliditätspension ……………… ca 2,5 % (geschätzter Finanzierungsanteil in der Krankenversicherung)
Hinterbliebenenpension …………… 1,17 %
Betriebspension ……………..……… 4,50 % (für Einkommensbestandteile innerhalb der Höchstbeitragsgrundlage zur Einkommens- und Prämienpension)
In Summe liegen die von den Arbeitslöhnen zu zahlenden Pensionsbeiträge in Schweden bei fast 27 % und damit weit höher als in Österreich.
Noch höher ist der in Schweden zu zahlendende Pensionsbeitrag für Entgeltbestandteile über der Höchstbeitragsgrundlage (mit 114 % des Durchschnittslohns liegt diese um einiges niedriger als in Österreich). Vom übersteigenden Entgelt ist für die Finanzierung der Betriebspensionen ein Beitragssatz in Höhe von 30 % zu entrichten! OECD-Berechnungen zeigen, dass dieser extrem hohe Wert dazu führt, dass die Einkommensersatzrate bei Personen mit höherem Einkommen deutlich höher liegt als bei DurchschnittsverdienerInnen.
Wenn es um die Höhe der Beitragssätze von den Arbeitslöhnen geht, darf eine weitere Facette des schwedischen Systems nicht übersehen werden: Anders als in Österreich sind die Arbeitgeber-Beiträge zur Einkommens- und Prämienpension nicht mit der Höchstbeitragsgrundlage limitiert. Die Arbeitgeber haben vom übersteigenden Einkommen einen gleich hohen Beitragssatz (in Form einer Steuer) zu entrichten. Die daraus entstehenden Einnahmen fließen in das Bundesbudget.
3. Wie oft muss eine „Pensionsautomatik“ reformiert werden?
In einer im Vorjahr von der OECD veröffentlichten Studie (Weaver/Willén, The swedish pension system after twenty years) kann man Bemerkenswertes nachlesen: „Seit Beginn der großen Wirtschaftskrise hat die [schwedische] Regierung fünfmal Steuerreduktionen auf Pensionszahlungen verfügt. Die aggregierten Kosten dieser Steuerkürzungen belaufen sich auf ca 2,5 Mrd US-$ pro Jahr …“
Die Befürworter einer Pensionsautomatik à la Schweden hindert der damit gegebene „De-facto-Bundesbeitrag“ allerdings nicht daran, nach wie vor von einem selbsttragenden System ohne Zuzahlung von Steuergeldern zu sprechen.
Wie kam es zu diesen Maßnahmen? Mit der begünstigten Besteuerung reagierten die schwedische Regierung und der Gesetzgeber auf „automatische“ Kürzungen der Bruttopensionen, die die „Pensionsautomatik“ in den Jahren 2010, 2011 und 2014 ausgelöst hatte. Der Nettoeffekt der Kürzungen wurde nicht nur aus sozialen sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen (Verhinderung prozyklischer Effekte) durch die Steuergutschriften erheblich verringert. Politisch betrachtet wurde damit eine völlige Diskreditierung des Systems verhindert.
Insgesamt wurde das System der Einkommens- und Prämienpensionen zwischen 2003 und 2013 laut OECD-Studie 12 mal reformiert! Der ursprüngliche Anspruch der Schaffung eines sich selbst regulierenden und für alle Zeiten tragfähigen Pensionssystems ist damit wohl definitiv passé.
Resümee
Es bleibt zu hoffen, dass nach den in Schweden gesammelten Erfahrungen die auch bei uns immer wieder auftauchenden Forderungen nach einer „definitiven großen Pensionsreform“ – die die weitere Entwicklung von politischen Entscheidungen abkoppeln und vorweg definierten mathematischen Formeln überantworten soll – einem sachgerechteren Zugang weichen.
Mit der 2014 abgeschlossenen Umstellung auf das transparente Pensionskonto-Recht mit seinen „Leistungskonten“ und der Zielformel 80/45/65 (80 % Bruttoersatz nach 45 Versicherungsjahren bei Pensionsantritt mit 65) haben wir in Österreich ein im Wesentlichen sehr gutes und – wie die Vorausschätzungen der langfristigen Ausgabenentwicklung belegen (siehe dazu „Braucht die Pensionsversicherung eine Reparatur?“) – durchaus auch leistbares öffentliches Alterssicherungssystem. Klar ist dabei, dass es auch in Zukunft immer wieder Anpassungen geben wird (müssen), um den sich ändernden Gegebenheiten gerecht zu werden.
Der Blick auf das „schwedische Modell“ lehrt uns jedenfalls, dass ein Abgehen vom österreichischen System der Mitfinanzierung der Pensionen aus Steuermitteln (Bundesbeitrag) und eine Umstellung auf vermeintlich sich selbst regulierende „Beitragskonten“ kein Weg ist, der beschritten werden sollte. Die Folge wären entweder eine massive Erhöhung der Pensionsbeiträge oder massive Leistungseinschränkungen. Um welche Dimensionen es bei den Beitragssätzen geht wurde bereits erwähnt. Ähnlich die Situation auf der Seite der Leistungen: Laut OECD -Berechnungen bietet das österreichische System bei Durchschnittsverdienst eine Bruttoersatzrate von 76,6 %, das schwedische hingegen, selbst unter Einrechnung der Betriebspension, nur 55,6 %.
Mit voller Wucht würde eine derartige Niveauabsenkung die heute Jüngeren treffen. Da ein Pensionssystem von vornherein nicht von heute auf morgen umgestellt werden kann und – allein schon aus Gründen der Verfassungskonformität – jedenfalls lange Übergangsfristen erforderlich wären.