Das Europäische Parlament hat sich in den vergangenen fünf Jahren mit einer Vielzahl von aktuellen EU-Themen befasst und Hunderte Rechtsakte verabschiedet. Doch wie ist die Arbeit des Europaparlaments aus Sicht der Beschäftigten und der KonsumentInnen zu beurteilen? Die Antwort darauf fällt differenziert aus, wie die folgende Übersicht zeigt.
751 EU-Abgeordnete waren zwischen 2014 und 2019 in beinahe 30 Ausschüssen des EU-Parlaments aktiv. Sie haben Entscheidungen getroffen, die fast alle Lebensbereiche von ArbeitnehmerInnen und VerbraucherInnen berühren. Als Gesetzgeber debattiert und verändert das EU-Parlament Kommissionsvorschläge zu neuen oder schon bestehenden EU-Gesetzen. Darüber hinaus können die EU-Abgeordneten aber auch auf eigene Initiative tätig werden und Resolutionen mit Forderungen und Wünschen an die Kommission, den Rat und/oder die Mitgliedstaaten verabschieden.
Gemischte Bilanz der letzten fünf Jahre
Häufig spielt das Europäische Parlament bei EU-Gesetzesvorhaben aus ArbeitnehmerInnensicht eine durchaus positive Rolle. Fortschritte hinsichtlich der ArbeitnehmerInnenrechte und besseren VerbraucherInnenschutzes werden jedoch auch immer wieder durch eine Mehrheit an EU-Abgeordneten verhindert. Folgende Beispiele geben einen exemplarischen Überblick:
Einheitliche Europäische Dienstleistungskarte: Die Europäische Kommission hat 2017 einen Vorschlag vorgelegt, der laut KommissionsbeamtInnen die Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen erleichtern soll. Bereits heute werden beispielsweise viele Dienstleistungen im Bausektor grenzüberschreitend erbracht. Tatsächlich war der Text jedoch so angelegt, dass er Scheinselbstständigkeit und unredliche Wirtschaftstreibende begünstigt hätte. Der Behörde des Landes, in dem die Dienstleistung erbracht wird, wären wichtige Kontrollkompetenzen entzogen worden: Maßnahmen gegen Rechtsverstöße und Unregelmäßigkeiten wären durch die neue EU-Regelung erheblich erschwert worden. Insbesondere die ArbeitnehmerInnenvertretungen leisteten massive Aufklärungsarbeit über die negativen Auswirkungen des geplanten Rechtsvorschlags – mit Erfolg: Während der Rat um einen Abschluss der Verhandlungen zur Dienstleistungskarte bemüht war, zog das Europäische Parlament die Notbremse und lehnte den Vorschlag im zuständigen Binnenmarktausschuss in einer knappen Abstimmung ab.
Notifizierungs-Richtlinie: Ganz anders sah es hingegen bei der so genannten Notifizierungs-Richtlinie aus, bei der die VertreterInnen des EU-Parlaments sehr an einer Einigung interessiert waren. Die Kommission schlägt bei dieser Richtlinie vor, dass nationale Gesetze, die Dienstleistungen betreffen, der Kommissionsbehörde schon während des Gesetzgebungsprozesses gemeldet werden müssen. Die Konformität mit der Dienstleistungsrichtlinie soll damit schon überprüft werden, bevor das nationale Gesetz überhaupt beschlossen wurde. Aus ArbeitnehmerInnensicht ist der Vorschlag aus demokratiepolitischen Gründen ganz klar abzulehnen. Gestoppt hat diesen Vorschlag in diesem Fall jedoch der Rat, leider aber nicht die VertreterInnen des EU-Parlaments.
Steueroasenskandale: In den letzten fünf Jahren sind zahlreiche Skandale rund um die Anwendung aggressiver Steuerumgehungsstrategien durch Konzerne und Superreiche an die Öffentlichkeit gelangt. Der Schaden ist groß – eine aktuelle Studie geht von einem finanziellen Schaden von 825 Mrd. Euro aus, den die EU-Mitgliedsländer dadurch erleiden. Insgesamt vier Untersuchungs- und Sonderausschüsse hat das Europäische Parlament in der Folge eingeleitet. Die verabschiedeten Resolutionen sind aus ArbeitnehmerInnensicht durchaus zu begrüßen und beinhalten folgende Forderungen: Abschaffung von Briefkastenfirmen, auch digitale Konzerne sollen Steuern zahlen, Konzerne müssen dort Steuern bezahlen, wo die Gewinne erwirtschaftet werden, der Rat soll die Blockadepolitik bei Steuerthemen beenden. Tatsächlich verhält sich das Europäische Parlament in Steuerangelegenheiten durchaus offensiv, wenngleich eine unternehmensfreundliche Minderheit von Abgeordneten gegen die Resolutionen gestimmt hat. Fortschritte in Richtung einer fairen Steuerpolitik, an der sich auch Konzerne gleichermaßen beteiligen, werden regelmäßig von den RatsvertreterInnen verhindert. Denn bei EU-Steuerthemen gilt im Rat das Einstimmigkeitserfordernis, d. h. alle EU-Mitgliedstaaten müssen zustimmen, sonst kommt keine Einigung zustande.
Handelsabkommen: Enttäuscht hat das Europäische Parlament bei den Abstimmungen zu EU-Handelsabkommen. Sowohl beim Abkommen der EU mit den USA (TTIP) als auch mit Kanada (CETA) hat sich die Mehrheit der EU-Abgeordneten für Klauseln (Investor-Staat-Streitbeilegung) ausgesprochen, die Konzerninvestitionen schützen und im Klagsfall die Allgemeinheit Milliarden kosten können. Ein Abkommen mit den USA kam zwar bisher nicht zustande, CETA ist jedoch bereits in Kraft getreten und enthält die Klauseln.
Lohn- und Sozialdumping im Straßenverkehr: Die EU-Gesetzgebung hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass Lohn- und Sozialdumping im grenzüberschreitenden Straßenverkehr traurige Realität ist. Die jüngsten Beschlüsse im Europäischen Parlament geben aber zumindest teilweise Anlass zur Hoffnung, dass sich diese Situation verbessern könnte: So sollen nach dem Willen des EU-Parlaments Regelungen für Lenk- und Ruhezeiten für die FahrerInnen von Transportfahrzeugen auch für Kleintransporter mit einem Gewicht unter 3,5 Tonnen gelten. Diese waren bisher von dieser Regelung ausgenommen. Tausende LenkerInnen waren von den verpflichtenden Regeln bei Lenk- und Ruhezeiten somit nicht erfasst. Eine langjährige Forderung der Arbeiterkammer und der Gewerkschaften könnte somit Wirklichkeit werden. Auch bezüglich der Aufzeichnung von Aktivitäten rund um den Lkw oder Bus wurden Nachschärfungen beschlossen: Der sogenannte Fahrtenschreiber soll schon Ende 2024 statt 2034 kommen und Informationen der letzten 56 statt bisher nur 28 Tage wiedergeben. Mit dem Fahrtenschreiber lässt sich die Einhaltung von Sozialbestimmungen im Straßenverkehr wesentlich leichter kontrollieren, und er ist damit ein deutlicher Fortschritt aus Beschäftigtensicht.
Entsenderichtlinie: Gänzlich unbefriedigend war das Abstimmungsverhalten der EU-Abgeordneten jedoch hinsichtlich des Grundsatzes „Gleicher Lohn am gleichen Ort für gleiche Dienstleistung“, der in der Entsenderichtlinie zum Ausdruck kommt. Für Beschäftigte im Straßenverkehr soll diese Bestimmung nicht zur Anwendung kommen. Damit bleibt Lohn- und Sozialdumping bei Lkw-FahrerInnen, die zu Niedrigstlöhnen in ganz Europa tätig sind, bittere Realität.
Neue Regeln zu Pkw-Emissionen verbessern den KonsumentInnenschutz: Bereits 2017 hat das Europäische Parlament infolge des „Dieselgate“-Skandals rund um falsche Herstellerangaben von Schadstoffemissionen bei Pkws deutliche Verschärfungen beschlossen. So sollen pro Pkw bis zu 30.000 € Strafe möglich sein, wenn der Produzent im Rahmen der Abgastest bei der Typenprüfung schwindelt. Bisher galt dies nur als Kavaliersdelikt. Zudem soll es diesbezüglich auch strenge Marktkontrollen in den Mitgliedstaaten geben.
Einen für die VerbraucherInnen nachteiligen Vorschlag zum Online-Kauf hat die Europäische Kommission vorgeschlagen. Demnach sollte die Pflicht des Unternehmens zur Rückzahlung bei einem Rücktritt vor Rückerhalt der Ware entfallen. Zudem war ein Ausschluss des Rücktrittsrechts vorgesehen, wenn die Ware nach Ansicht des Unternehmens übergebührlich benutzt wurde. Die KonsumentInnenschutzorganisationen haben über diese Passagen aufgeklärt, sodass die EU-Abgeordneten diese Vorschläge der Kommission schließlich fallen ließen.
Wo bleiben Verbesserungen bei den Rechten für ArbeitnehmerInnen und VerbraucherInnen?
Die angeführten Beispiele zeigen: In vielen Fällen zeigen sich die EU-Abgeordneten im Rechtsetzungsbereich bei den Abstimmungen aus Beschäftigten- und KonsumentInnensicht deutlich progressiver als oftmals angenommen. Warum es dennoch häufig an Fortschritten im Sinne der ArbeitnehmerInnen und VerbraucherInnen fehlt, dürfte vor allem zwei Gründe haben:
- Immer wieder stehen Rechtsvorschläge der Europäischen Kommission ArbeitnehmerInnen- und KonsumentInneninteressen diametral entgegen. Die VertreterInnen im Europäischen Parlament greifen korrigierend ein und sorgen dafür, dass sich Beschäftigten- und VerbraucherInnenrechte zumindest nicht verschlechtern. Leider finden allerdings Änderungsvorschläge, die aus Sicht der ArbeitnehmerInnenvertretungen auch Verbesserungen bringen würden, im EU-Parlament sehr oft nicht die nötigen Mehrheiten.
- Bei vielen Themen, die zu Verbesserungen für die Bevölkerung führen könnten, blockieren wiederum die VertreterInnen aus den Mitgliedstaaten im Rat. Beispielsweise bei steuerpolitischen Themen, bei denen das Europäische Parlament konkrete Maßnahmen gegen die aggressiven Steuervermeidungsstrategien von Konzernen fordert. Auch die Kommission ist hier wesentlich fortschrittlicher unterwegs und unterstützt zum Teil die Forderungen der EU-Abgeordneten. Leider legt der Rat gerade in der Steuerpolitik eine Blockadepolitik an den Tag, die nur Superreichen und Konzernen nützt.
Resümee und Ausblick auf die EU-Parlamentswahlen
Die gegenwärtige Zusammensetzung im Europäischen Parlament reicht also meistens dazu aus, um Verschlechterungen bei den ArbeitnehmerInnenrechten und im KonsumentInnenschutz zu verhindern; bessere Rechte können fallweise durchgesetzt werden, scheitern jedoch häufig an einer Mehrheit von EU-Abgeordneten mit anderer Position. Wie die Abstimmungen zu den Rechten von Beschäftigten und VerbraucherInnen in der nächsten Legislaturperiode des EU-Parlaments verlaufen, ob Verschlechterungen künftig auch noch verhindert oder gar Verbesserungen für die Gesellschaft möglich sind, darüber werden die politischen Mehrheiten nach den EU-Wahlen am 26. Mai 2019 entscheiden.