Die EU-Handelspolitik ist dem Postulat freier Märkte und fortschreitender Deregulierung verschrieben. Selbiges trifft auf die EU-Investitionspolitik zu, in der sich alles um Schiedsgerichte zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten dreht. Der Europäische Gerichtshof verkündete nun seine Entscheidung zur Frage, ob der Investitionsschutz in CETA mit EU-Recht vereinbar ist. Viele andere Fragen sind offen.
Investitionsschutz in CETA
Im Oktober 2016 unterzeichnete die EU das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen mit Kanada (CETA). Zuvor hatte sich Widerstand in der Zivilgesellschaft und den Gewerkschaften sowohl in der EU als auch in Kanada formiert. Die Ablehnung galt unter anderem den Bestimmungen zum Investitionsschutz. Für die Unterzeichnung von CETA war die Einstimmigkeit aller EU-Mitgliedstaaten erforderlich. Das wallonische Regionalparlament hatte Bedenken und gab seine Zustimmung erst in letzter Minute. Doch damit war die Sache nicht gegessen. Belgien beantragte eine Überprüfung des Abkommens beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser verkündete nun seine Entscheidung.
EuGH-Entscheidung zu CETA vom 30. April 2019
Der EuGH hatte die Frage zu beantworten, ob der in CETA enthaltene Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten mit EU-Recht vereinbar ist. Es handelt sich um einen ISDS-(investor-state-dispute-settlement-)Mechanismus, wie er in zahlreichen Abkommen enthalten ist. Weil erstmals eine Rechtsmittelinstanz (Möglichkeit der Berufung gegen Entscheidungen) und eine geänderte Zusammensetzung des Schiedsgerichts eingeführt wurden, ist von einem „reformierten Ansatz“ mit der Bezeichnung ICS (investment court system) die Rede.
Der EuGH kam (wie zuvor auch der Generalanwalt) zu dem Ergebnis, dass der in CETA enthaltene Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten mit EU-Recht vereinbar ist. Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden. Denn wenn ein Abkommen mit EU-Recht nicht vereinbar ist, muss es geändert werden. Dies hätte ein Aufschnüren von CETA bedeutet, was nun aber nicht erforderlich ist.
Zukunft der EU-Investitionspolitik
Belgien hatte Bedenken geäußert im Hinblick auf die Autonomie des EU-Rechts und den Gleichheitssatz sowie auf das Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht. Der EuGH teilt diese Bedenken nicht. Das CETA-Schiedsgericht darf EU-Recht (mit Ausnahme der in CETA enthaltenen Bestimmungen) nicht anwenden, daher sei laut EuGH keine Gefahr gegeben. Es muss die bereits herrschende Auslegung des EU-Rechts übernehmen und darf keine eigene Auslegung vornehmen. Der Gleichheitssatz sei nicht verletzt, weil bei kanadischen und europäischen Investoren in der EU unterschiedlich gelagerte Sachverhalte vorlägen, die nicht gleich behandelt werden müssen. Beim Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht sieht der EuGH ebenso kein Problem.
Im Oktober 2018 hat die EU bereits ein zweites Abkommen mit dem reformierten Investitionsschutz abgeschlossen, und zwar mit Singapur (EUSIPA). Auch mit Vietnam steht der Abschluss bevor. Die EU setzt außerdem alles daran, einen weltweiten multilateralen Investitionsgerichtshof (MIC) zu errichten. Die Zukunft der EU-Investitionspolitik scheint damit klar vorgegeben.
Kontinuierlicher Anstieg an ISDS-Fällen
In den vergangenen 30 Jahren ist die Zahl der ISDS-Fälle weltweit kontinuierlich gestiegen. Es handelt sich um Fälle, in denen ein Investor einen Staat vor einem Schiedsgericht auf Schadenersatz klagt. Ende 2018 wurden insgesamt 942 ISDS-Fälle gezählt (zum Teil anhängig und zum Teil bereits abgeschlossen). Österreich war 2015 erstmals und 2018 zum zweiten Mal als beklagter Staat betroffen.