Speed kills! Die Regierung will noch vor dem Sommer das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada vom Nationalrat ratifizieren lassen. Damit soll auch das massiv kritisierte Investitionsschutzregime zwischen Kanada und der EU in Kraft treten. Das heißt, dass ohne jegliche Rechtfertigung multinationalen Konzernen privilegierte Klagerechte eingeräumt werden. Ein Rechtsgutachten zeigt klar die Unterschiede zwischen menschenrechtlichem Schutz von Eigentum und einem Investitionsschutz wie in CETA auf. Inländische und europäische InvestorInnen – die Stütze unserer Wirtschaft – werden im Gegensatz zu ausländischen InvestorInnen massiv diskriminiert!
Trotz Widerstand soll das Investitionsschutzregime mit CETA in Kraft treten
Gegen die einseitige Bevorzugung multinationaler Konzerne hat sich in den letzten Jahren eine breite Widerstandsbewegung formiert. Nicht nur Arbeiterkammrechtser und Gewerkschaften sind auf die Barrikaden gestiegen, 562.000 Personen haben das Volksbegehren „TTIP und CETA Stoppen“ im Jahr 2017 unterstützt, 500 Gemeinden haben sich gegen CETA und TTIP ausgesprochen und die Landeshauptleute haben eine Resolution gegen privilegierte Konzernklagerechte verabschiedet. Auch liegt eine Entschließung des Nationalrats und des Bundesrats vor! Selbst die FPÖ hat noch im Nationalratswahlkampf CETA abgelehnt und eine Volksabstimmung gefordert.
Jetzt aber ignoriert die Regierung die zahlreichen kritischen Stimmen und will noch vor dem Sommer CETA durch den Nationalrat ratifizieren lassen. Die erforderlichen Mehrheiten dazu hat sie. Sie will eine vertiefende Diskussion über das Investitionsschutzregime abwenden und ihr Regierungsprogramm durchpeitschen. Dabei gibt es gute Gründe, abzuwarten bzw. sich neue Argumente anzuhören. Denn nicht nur werden durch Investitionsschutzregime die Interessen ausländischer InvestorInnen gegenüber jenen der ArbeitnehmerInnen und Allgemeinheit bevorzugt, sie stellen auch die Interessen inländischer und europäischer InvestorInnen hinten an.
Entscheidende rechtliche Frage noch nicht geklärt
Der EuGH prüft auf Anfrage von Belgien, ob das CETA-Schiedsgericht überhaupt rechtskonform ist. Dieses entscheidende Urteil soll erst Anfang 2019 vorliegen. Bisher hat sich der oberste Gerichtshof – Hüter der europäischen Verträge – ablehnend gegenüber Investitionsschiedsgerichten gezeigt. Erst heuer im März hat er erklärt, dass Schiedsgerichtsklauseln im Binnenmarkt rechtswidrig seien.
Auch steht noch aus, die konkreten Forderungen in den Erläuterungen zu CETA umzusetzen. Derzeit ist keinesfalls klar, wie das vermeintlich reformierte Investitionsschiedsgericht ICS konkret ausgestaltet ist. Zentrale Fragen sind nach wie vor offen: Wie ist der Verhaltenskodex für die SchiedsrichterInnen ausformuliert? Wie setzt sich die Liste der SchiedsrichterInnen zusammen? Wie werden diese entlohnt? Wieviel kostet das ICS die einzelnen Staaten? Welche Kompetenzen hat der CETA-Ausschuss?
Rechtsvergleich konkretisiert CETA-Privilegien für multinationale Konzerne
Welche Schlechterstellung mit CETA inländische oder auch europäische InvestorInnen konkret erfahren, zeigt ein aktueller Rechtsvergleich zwischen menschenrechtlichem Eigentumsschutz und dem CETA-Investitionsschutzregime.
Menschenrechte schützen das Eigentum von allen Personen oder Unternehmen – unabhängig von der Staatsangehörigkeit – vor staatlichen Eingriffen, die den wirtschaftlichen Wert mindern, sei es, dass das Eigentum verstaatlicht wird, oder aber Nutzungsrechte beschränkt werden, etc. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gilt für alle unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit. Im Streitfall wird in einer differenzierten menschenrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung ein abwägender Ausgleich zwischen gemeinwirtschaftlichen und individuellen wirtschaftlichen Interessen gesucht („fair balance“). Hierbei sind abgestufte Entschädigungszahlungen vorgesehen. Grundsätzlich wird Staaten ein weiter Ermessensspielraum insb. in sozial- und wirtschaftspolitischen Streitfällen eingeräumt. Dieses sehr ausgewogene System kann sachgerecht auf die staatlichen Gestaltungs- und Regulierungspflichten zum Schutz der Allgemeinheit eingehen.
Einmaliger Vertrauensschutz
Das Investitionsschutzrecht gewährt im Vergleich zum menschenrechtlichen Eigentumsschutz einen höheren und breiteren Schutz ausländischer InvestorInnen. Das größte Privileg ist der Vertrauensschutz. Über den eigentlichen Schutz vor Enteignungen hinausgehend können sich InvestorInnen auf ein Vorrecht berufen, von Staaten „gerecht und billig“ behandelt zu werden. Die legitimen Erwartungen ausländischer InvestorInnen erfahren damit einen besonderen Schutz, den inländische und europäische InvestorInnen jedoch nicht genießen. Der Staat garantiert quasi, dass rechtliche Rahmenbedingungen stabil bleiben. Diese Klausel ist auch jene Schutzbestimmung, die in jedem Streitfall angerufen wird (Catch-all-Klausel). Wenn das Schiedsgericht keine Enteignung feststellt, so prüft es im nächsten Schritt, ob der Staat Standards ungerechtfertigt geändert hat.
Die in CETA erstmalig angewendete Klausel des staatlichen Regulierungsrechts soll das Vertrauensschutzprivileg von Fall zu Fall einschränken können. Damit sollen Regulierungen im Allgemeininteresse künftig auch ohne volle Entschädigung möglich sein. Doch hat diese Klausel unbestimmte Rechtsbegriffe. Daher kommt im konkreten Streitfall dem ICS eine wesentliche Entscheidungsmacht über staatliche Regulierungsbefugnisse zu. Das viel ausgewogenere System der EMRK lässt im Vergleich dazu keine solche Machtverschiebung und damit keinen solchen Souveränitätsverlust zu.
Bias zugunsten von InvestorInnen: „Alles oder nichts“-Prinzip
In einem konkreten Streitfall hat das ICS zu prüfen, ob eine Enteignung oder aber eine Verletzung des Vertrauensschutzes nach dem „Alles oder nichts“-Prinzip vorliegt. Wird eine Klausel verletzt, so ist die volle Entschädigung zum Marktwert der Investition zu zahlen. In der EMRK hingegen gilt das „fair balance“-Prinzip. Für Staaten sind daher ISDS-Streitfälle unvergleichlich teurer, weil die Interessen des Allgemeinwohls in der finanziellen Abfindung keine Berücksichtigung finden. Hinzu kommt, dass Schiedsgerichte bisher dazu tendiert haben, im Zweifelsfall Enteignungen anzunehmen, da der Investor bzw. die Investorin ansonsten „leer“ ausgehen würde.
Weitere Besonderheiten des Investitionsschutzregimes sind, dass jegliche Art von Interessen an einem Unternehmen geschützt ist, auch entgangene zukünftige Gewinne entschädigt werden und ausländische MinderheitsaktionärInnen eine Wertminderung ihrer Beteiligungen einklagen können.
Zudem haben ausländische InvestorInnen nach erfolglosem Durchlaufen des innerstaatlichen Rechtswegs neben dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof noch die Möglichkeit, eine zusätzliche Instanz, nämlich das ICS, anzurufen. Dies wäre ein zusätzliches Privileg, das sehr effektiv ist, jedoch nur für ausländische InvestorInnen gilt. Es wird in dem vorliegenden Rechtsgutachten jedoch nicht näher behandelt.
Keine sachliche Rechtfertigung für das CETA-Investitionsschutzregime
Auch ohne CETA genießen kanadische InvestorInnen in der EU bzw. in Österreich – wie jede Person bzw. jedes Unternehmen unabhängig von der Staatsangehörigkeit – den weitreichenden menschenrechtlichen Eigentumsschutz. Dieser war auch in der Vergangenheit vollkommen ausreichend. Es bedarf in Ländern mit Rechtsstaatskultur keines zusätzlichen Schutzes für InvestorInnen. Vielmehr sind negative Folgen mit diesem verbunden. Als Beispiel hierfür ist die unterschiedliche Vollzugszuständigkeit von nationalen Gerichten und ICS genannt. Auch der Interpretations- und damit Entscheidungsspielraum, den das ICS über unbestimmte Rechtsbegriffe und damit insbesondere über die staatlichen Souveränitätsrechte hat, ist zu kritisieren. Regulierungen im Allgemeininteresse kommen den Staaten mit CETA um vieles teurer! Diese „vermeidbaren“ Probleme dürfen keinesfalls in Kauf genommen werden!
Im Gegenteil: Mit dem Investitionsschutzregime von CETA nimmt Österreich in Kauf, inländische bzw. europäische InvestorInnen gegenüber kanadischen massiv zu diskriminieren. Damit wird eine Zwei-Klassen-Gesellschaft des Rechtsstaats etabliert.
Mit dem von der Regierung geplanten Durchpeitschen von CETA sollen die zahlreichen KritikerInnen mundtot gemacht und neue Argumente vom Tisch gewischt werden. Andere Länder wie etwa Deutschland gehen besonnener vor und warten, bis alle Fakten für eine seriöse Diskussion am Tisch liegen.