Ökonomische Ungleichheiten und große Unterschiede in den Lebensbedingungen sind für die Europäische Union (EU) eine wachsende politische Herausforderung. Dies zeigt sich in erstarkenden nationalistischen Bewegungen und Ereignissen wie dem Brexit. Die Zukunft der EU wird wesentlich davon bestimmt, ob es gelingt, zu mehr Gleichheit zwischen den Staaten zu kommen und damit die gesellschaftliche Zustimmung zu einem gemeinsamen, solidarischen Europa zu heben. Das Web-Projekt www.inequalityin.eu macht Ungleichheiten sichtbar und schafft damit kurz vor der Wahl zum Europäischen Parlament 2019 die Grundlage für eine faktenorientierte Auseinandersetzung über die Zukunft Europas.
Ungleichheit sichtbar machen
Die Auswirkungen von Ungleichheit rücken in der wissenschaftlichen Literatur zunehmend stärker in den Fokus von Forschenden. Gleichzeitig erlauben wesentliche Fortschritte in der Verfügbarkeit von personenbezogenen Daten einen besseren Einblick in die Lebensrealitäten der Menschen innerhalb der Europäischen Union. Der Household Finance and Consumption Survey (HFCS) ermöglichte 2010 zum ersten Mal breitflächige Einblicke in die Vermögensverteilung innerhalb einiger EU-Mitgliedsstaaten. Auch die Europäische Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen (European Union Statistics on Income and Living Conditions, EU-SILC) und die europäischen Erhebungen zu Lebensqualität und Arbeitsbedingungen von Eurofound liefern seit einigen Jahren spannende Einblicke in die Lebensbedingungen innerhalb der Europäischen Union.
Die Website www.inequalityin.eu nutzt die bessere Datenverfügbarkeit, um die multidimensionalen Ungleichheiten innerhalb der EU einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Website gliedert sich in drei verschiedene, aufeinander aufbauende Bereiche. Die erste Ebene beleuchtet die Einkommenssituation einzelner Berufsgruppen innerhalb und zwischen den Ländern. In einer zweiten Ebene werden Rahmenbedingungen gezeigt, die Hinweise auf die Lebensqualität in den EU-Mitgliedsstaaten geben. Die gesammelten Informationen zur Ungleichheit in Europa werden in einem dritten Schritt zusammengedacht, um daraus Lösungsvorschläge zu entwickeln. In diesem Sinn dient das Projekt einem aufgeklärten gesellschaftlichen Diskurs über die Zukunft der Europäischen Union.
Handlungsbedarf auf allen Ebenen
Die Auseinandersetzung mit den Daten offenbart einen immer noch großen Handlungsbedarf in Hinblick auf Ungleichheiten in den Bereichen Demokratie, Ökologie, Soziales und Wirtschaft. Rund 22 Prozent der EU-BürgerInnen sind etwa noch immer von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, während gleichzeitig die reichsten 10 Prozent in vielen Ländern mehr als die restlichen 90 Prozent besitzen. TechnikerInnen in Österreich verdienen dreimal so viel wie TechnikerInnen in Ungarn. Frauen bekommen immer noch 16 Prozent weniger Lohn und 40 Prozent weniger Pension als Männer und besetzen nur 30 Prozent der Parlaments- und Regierungssitze. Obwohl ärmere Menschen in der EU und generell im Süden weniger zu den globalen Treibhausgasemissionen beitragen, sind sie von der Klimaerwärmung dennoch besonders betroffen.
Diese immer noch großen ökonomischen und sozialen Unterschiede blockieren die Zukunftsvision eines gemeinsamen Europas mit guten Lebensbedingungen für alle Menschen. Deshalb muss entschlossen gehandelt werden: Denn innerhalb der letzten 10 Jahre ist das Vertrauen in die EU-Institutionen dramatisch gesunken: Hatten im Jahr 2007 etwa noch sieben von zehn Griechen Vertrauen in die Europäische Kommission (der Höchstwert aller EU-Mitgliedsstaaten zu diesem Zeitpunkt), waren es im Jahr 2018 nur noch drei. Ein hohes Maß an Vertrauen in die EU-Institutionen ist jedoch von entscheidender Bedeutung für die Stabilität der europäischen Demokratien.