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Eine neue Ausbildungschance macht Sinn, ist aber schwierig umzusetzen
Weiterbildungsmaßnahmen werden in Österreich größtenteils vom AMS finanziert. Dies betrifft nicht nur die direkten Kosten der Weiterbildung, sondern vor allem auch die Existenzsicherung während der Qualifizierung. Aber ob Arbeitsuchende tatsächlich eine Weiterbildung durch das AMS erhalten, hängt von mehreren Faktoren ab: Vorrangige Aufgabe des AMS ist die Vermittlung in Beschäftigung. Qualifiziert wird zumeist nur, wenn die Vermittlung nicht gelingt. Wer aus einer Branche mit hoher Nachfrage nach Arbeitskräften, wie etwa Handel, Tourismus oder Reinigung kommt, wird im Regelfall möglichst schnell wieder dorthin vermittelt und bekommt keine Chance, eine Aus- oder Weiterbildung zu machen. Ausnahmen von dieser Vorgangsweise sind derzeit sehr eingeschränkt auf Maßnahmen wie Arbeitsstiftungen oder das Pflege- oder Fachkräftestipendium, die Bildung in erweitertem Maß ermöglichen. Das gekürzte Budget des AMS verringert diese Chancen allerdings zusätzlich.
Auch Beschäftigte, vor allem jene mit niedrigeren formalen Qualifikationen, haben es schwer, berufliche Neuorientierungen oder längerfristige Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu absolvieren und zu finanzieren. Der Grund dafür: Die Betriebe stehlen sich zunehmend aus ihrer Verantwortung und finanzieren Qualifizierungsmaßnahmen für ihre Beschäftigten immer seltener. Und Arbeitnehmer:innen, die Bildungskarenz, Bildungsteilzeit oder ein Fachkräftestipendium in Anspruch nehmen wollen, sind von der Zustimmung ihres Arbeitgebers abhängig. Die bestehenden Instrumente sind für viele Beschäftigte somit unerreichbar.
Der tiefgreifende Strukturwandel, vor allem aufgrund von Digitalisierung, Klimakrise und demografischem Wandel, geht mit einem Bedarf an gut ausgebildeten Arbeitnehmer:innen einher. Deshalb ist ein Paradigmenwechsel in der Qualifizierungspolitik notwendig, der adäquate Möglichkeiten für Ausbildungen schafft. Dies betrifft klimarelevante Berufe ebenso wie Berufe in der kritischen Infrastruktur, also Pflege, Elementarpädagogik oder Gesundheit. Auch die Digitalisierung verändert Berufe und Anforderungen an diese deutlich, sodass auch hier Weiterbildung der Schlüssel ist, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden. All das erfordert eine Reform der bestehenden Systeme zur beruflichen Weiterbildung (Fachkräftestipendium, Bildungskarenz, Bildungsteilzeit) in Richtung eines neuen Instruments, dem Qualifizierungsgeld.
Das Modell Qualifizierungsgeld:
- Recht auf Weiterbildung: Eine selbst gewählte zweite Ausbildungschance für Beschäftigte und Arbeitsuchende über 25 Jahre (davor greifen die Instrumente der Erstausbildung), von einer beruflichen Weiterqualifizierung bis hin zu einer grundlegenden Neuorientierung. Ausgestattet mit einem Rechtsanspruch, sowohl gegenüber der öffentlichen Hand (Leistung) als auch gegenüber dem Arbeitgeber (Karenzierung oder ähnlich der Elternteilzeit).
- Ausbildungsberatung: Eine qualifizierte, unabhängige Ausbildungsberatung soll die Realisierbarkeit und die Arbeitsmarkttauglichkeit der Ausbildung gewährleisten, ein begleitendes Coaching Abbrüche verhindern.
- Qualifizierung: Innerhalb einer Rahmenfrist von 15 Jahren können insgesamt 36 Monate Aus- und Weiterbildung absolviert werden, wenn in Summe mindestens fünf Jahre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegen. Dies ist in einem Arbeitsleben max. zweimal möglich.
- Deutlich höhere Existenzsicherung: Die Höhe der finanziellen monatlichen Unterstützung im Rahmen des Qualifizierungsgelds entspricht dem Nettobetrag des vom ÖGB geforderten KV-Mindestlohns (derzeit € 2.000).
- Ein neues System: Durch das neue Qualifizierungsgeld sollen die bisherigen Instrumente Bildungskarenz, Bildungsteilzeit und Fachkräftestipendium in ein einheitliches System übergeführt werden.
- Budget: Die Kosten des Qualifizierungsgeldes für geschätzte 40.000 Teilnehmer:innen jährlich, wären etwa € 560 Mio. Dieser Betrag ergibt sich aus den Kosten der Existenzsicherung und Sozialversicherungsbeiträge abzüglich der Kosten von Fachkräftestipendium, Weiterbildungsgeld und Bildungsteilzeitgeld, den Einsparungen in der Arbeitslosenversicherung sowie aus den zusätzlichen Einnahmen durch Beiträge durch die Beschäftigung von Ersatzarbeitskräften.
- Aufgrund des Strukturwandels braucht es ein systematisches Angebot für eine zweite Ausbildungschance. Da dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, erfolgt die Finanzierung nicht über Sozialversicherungsbeiträge, sondern aus allgemeinen Steuermitteln.
- Wichtig: Die sonstigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Schulungen des AMS sollen dadurch aber nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden.
Fazit
Weiterbildung zahlt sich aus: für Arbeitnehmer:innen, um in einer gut bezahlten und sinnstiftenden Beschäftigung arbeiten zu können, und für Arbeitgeber:innen, um qualifizierte Mitarbeiter:innen einsetzen zu können. Damit Menschen auch tatsächlich Qualifizierungen angehen und abschließen können, braucht es allerdings gute Rahmenbedingungen. Es wird Zeit, dass eine neue Bundesregierung diese mit dem Qualifizierungsgeld schafft.
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