Früher Schul­abgang ist teuer für alle – Inves­ti­tionen in Bil­dung lohnen sich

25. Juli 2024

Geschätzt mehr als eine Milliarde Euro jährlich betragen die gesamtwirtschaftlichen Kosten von frühen Schulabgängen in Österreich. Mehr Investitionen in Bildung bzw. eine Weiterentwicklung bestehender Bildungs- und Integrationsmaßnahmen lohnen sich vielfach. Denn ein geringes Maß an Bildung verursacht nicht nur ökonomische, sondern auch individuelle und soziale Kosten.

Die von mir am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz durchgeführte Studie hatte die Ermittlung der Kosten eines frühen Schulabgangs zum Gegenstand. Ein früher Schulabgang bzw. -abbruch liegt vor, wenn kein über die Pflichtschule hinausgehender Bildungsabschluss erreicht wird, wenn also die Schule während oder nach der Mittelschule oder nach der Polytechnischen Schule verlassen wird oder eine Lehre, eine AHS oder eine berufsbildende mittlere oder berufsbildende höhere Schule abgebrochen wird, wobei statistisch der Abbruch nach erfolgreichem Abschluss der dritten Klasse einer BHS nicht mehr als früher Schulabbruch erfasst wird.

Zur Schätzung der durch frühe Schulabgänge bedingten Kosten wurde die Gruppe der frühen Schulabgänger:innen im Alter von 18 bis 24 Jahren mit einer Gruppe junger Menschen ebenfalls im Alter von 18 bis 24 Jahren verglichen. Die Vergleichsgruppe wurde so ausgewählt, dass sie eine Lehre oder berufsbildende mittlere Schule abgeschlossen hatte, also einen um eine Stufe höheren formalen Bildungsabschluss aufweist, sich aber in anderen statistischen Merkmalen, wie Geschlecht, Alter, Staatsbürgerschaft, Wohnort und Erhebungsjahr, von der Untersuchungsgruppe der frühen Schulabgänge nicht unterscheidet. Durch dieses Vorgehen war es möglich, die ermittelten Kosten auf die frühen Schulabbrüche zurückzuführen. Grundlage der Schätzung waren Daten der „European Union Statistics of Income and Living Condition“ (EU-SILC) der Jahre 2017 bis 2021, die in Österreich von der Statistik Austria erhoben werden.

Hohe Kosten für Gesamtwirtschaft, öffentliche Hand und Unternehmen

Die durchgeführten Kostenschätzungen ermitteln hohe Kosten für die Gesamtwirtschaft, die öffentliche Hand und die Unternehmen. Die durchschnittlichen wirtschaftlichen Gesamtkosten belaufen sich für einen Schulabbruch auf ca. 20.150 Euro pro Jahr, jene der öffentlichen Hand auf ca. 8.350 Euro pro Jahr und jene der Unternehmen auf ca. 4.530 Euro pro Jahr. Hochgerechnet auf die Zahl der frühen Schulabbrecher:innen im Alter von 18 bis 24 Jahren betragen die gesamtwirtschaftlichen Kosten 1,1 Milliarden Euro, jene der öffentlichen Hand 460 Millionen Euro und jene der Unternehmen 250 Millionen Euro.

Kosten des frühen Schulabgangs in Österreich 2017 bis 2021 pro Jahr, Durchschnitt

 
je Fall in Euro
Hochgerechnete Gesamtkosten* in Mio. Euro
Gesamtwirtschaft (brutto)
€ 20.150,49
€ 1.115,18 Mio.
Öffentliche Hand (netto)
€ 8.346,66
€ 461,9 Mio.
Unternehmen (netto)
€ 4.527,25
€ 250,6 Mio.

Obwohl die berechneten Kosten bereits beträchtlich sind, stellen sie eine untere Schätzung dar. Sie beziehen sich nur auf die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen. Kosten ergeben sich aber auch im weiteren Lebensverlauf, wobei anzunehmen ist, dass die Unterschiede in den Einkommen der beiden Gruppen während des Erwerbslebens weiter zunehmen und damit auch die Kosten steigen. Nimmt man gleichbleibende Einkommensunterschiede an, so ergeben sich für die Erwerbsphase von 18 bis 65 Jahren Kosten für die öffentliche Hand von ca. 400.000 Euro je frühem Schulabgang (48 Jahre mal 8.350 Euro).

Nicht berücksichtigt werden in der Kostenschätzung auch soziale und politische Kosten, die daraus resultieren, dass Personen mit geringer Bildung sich weniger häufig sozial engagieren und ihre politische Teilhabe geringer ist. Gleichzeitig sind sie für rechtspopulistische Propaganda empfänglicher. Eine Unterschätzung liegt auch insofern vor, da sich die Kosten während der COVID-Pandemie reduzierten, weil die Vergleichsgruppe häufiger Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte und aufgrund des höheren Erwerbseinkommens zudem auch ein höheres Arbeitslosengeld erhielt.

Mehr Investitionen in Bildung lohnen sich

Wenn die öffentliche Hand z. B. 230 Millionen jährlich in entsprechende präventive Programme investieren würde und es gelänge, den Anteil der frühen Schulabgänge zu halbieren, würden keine zusätzlichen Kosten für sie entstehen. Da qualifiziertere Personen für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, würde die Bruttowertschöpfung um mehr als eine halbe Milliarde Euro steigen, jene der Unternehmen netto um ca. 125 Millionen Euro.

Effekte von Investitionen in Bildung zur Reduktion des frühen Schulabgangs*

Effekte bei Investitionen der öffentlichen Hand von 230 Mio. Euro:

Bruttowertschöpfung in der Gesamtwirtschaft
Zunahme um ca. 560 Mio. Euro jährlich
Nettokosten der öffentlichen Hand
Keine Änderung der bisherigen Kosten
Nettowertschöpfung der Unternehmen
Zunahme um 125 Mio. Euro jährlich
Nettoeinkommen eines jungen Menschen, bei dem ein Abbruch vermieden wird
Zunahme um 6.530 Euro jährlich

Quelle: Bacher (2023); * Programme, die zu einer Reduktion der frühen Schulabgänge um 50 Prozent führen

Rechnet man die positiven Wertschöpfungseffekte ein, resultieren sogar Mehreinnahmen der öffentlichen Hand. Schließlich würden jedem jungen Menschen, für den der Schulabbruch vermieden wird, netto 6.500 Euro mehr jährlich zur Verfügung stehen.

Mehr Investitionen in Bildung lohnen sich. Österreich hat zwar gute Ansätze, wie z.B. das Jugendcoaching oder die Ausbildungspflicht bis 18 Jahre, die weiterentwickelt werden können (siehe dazu auch Tamesberger/Knecht und Daume). Diese greifen aber oft zu spät. Wirksamer wären Programme, die Schulabgänge vermeiden, also früher im Bildungssystem ansetzen. Vorschläge für diese Programme liegen bereits vor und sind gesetzlich verankert. So sieht zum Beispiel das Bildungsreformgesetz 2017 eine sozialindizierte Mittelvergabe vor, bei der Schulen mit mehr sozial benachteiligten Schüler:innen mehr finanzielle Mittel erhalten, um kompensatorisch wirken zu können.

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