In die Zukunft der Jugend investieren statt Unter­nehmen subven­tionieren

15. April 2024

Der öffentliche und politische Diskurs in Österreich wird von Themen wie Fachkräftemangel, Defizite der heutigen Jugend und Jugendkriminalität geprägt. Dagegen bekommen das Wohl­befinden der Jugendlichen und ihre Positionierung am Arbeitsmarkt kaum Aufmerksamkeit. Eine detaillierte Analyse zeigt, dass in den Phasen der ÖVP-FPÖ-Koalition im Bereich der Arbeits­markt­förderung für Jugendliche primär Klientelpolitik für Unternehmen betrieben wurde. Zuletzt stieg die Jugendarbeitslosigkeit deutlich. Die nächste Regierung muss Fehl­entwicklungen korrigieren und für die Jugendlichen eine Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik „von unten“ einleiten.

Von Sozialinvestitionen zur Klientelpolitik für Unternehmen

Österreich war lange Zeit international Vorbild im Bereich der Ausbildung und Beschäftigung von Jugendlichen. Die Koalition von SPÖ und ÖVP erhielt mit der Einführung der Ausbildungsgarantie und später mit der Ausbildungspflicht international viel Aufmerksamkeit: Die Ausbildungsgarantie für Jugendliche, die auf dem Sozialinvestitions-Ansatz fußt, wurde sogar Vorbild für die Jugendpolitik auf europäischer Ebene. Einen Paradigmenwechsel stellten allerdings die ÖVP-FPÖ-Koalitionen dar: Sowohl in der Zeit von 2000 bis 2006 als auch ab 2017 verfolgten sie eine Politik, die stark an den Interessen der Unternehmen ausgerichtet war. Die Unternehmenssubventionen (Lehrstellenförderung) stiegen in diesen Zeiträumen deutlich, obwohl das den Jugendlichen nicht nutzt, wenn damit nicht auch die Anzahl an angebotenen Lehrstellen nachhaltig zunimmt.

Während der ersten ÖVP-FPÖ-Koalition wurde der umstrittene Blum-Bonus eingeführt, für die Lehrlings-Dienstgeber wurde der Beitrag zu der Krankenversicherung der Lehrlinge gekürzt und der Beitrag zur Unfallversicherung abgeschafft. Während der zweiten ÖVP-FPÖ-Koalition wurden Maßnahmen für benachteiligte Jugendliche zur Integration in Ausbildung und Arbeitsmarkt reduziert und unattraktiv gemacht: Die Anzahl an Plätzen in der über­betrieb­lichen Ausbildung (ÜBA) wurde gekürzt, die Entlohnung durch die Ausbildungs­beihilfe für über 18-Jährige reduziert und Jugendliche dazu verpflichtet, sich permanent aus der ÜBA wegzubewerben. 

Zusätzlich waren alle volljährigen Lehrlinge von der Änderung der Arbeitszeitregelung im Ar-beitszeit- und Arbeitsruhegesetz betroffen, die überlange Arbeitszeiten von Arbeit­nehmer:in­nen bis zu zwölf Stunden am Tag (statt wie bisher zehn) und bis zu 60 Stunden pro Woche (statt wie bisher 48 Stunden) möglich machten. Weiters kommt eine Verschlechterung für Lehrlinge über 18 Jahre in Gast-, Schank- und Beherbergungsbetrieben zum Tragen. Hier wurde für Arbeitnehmer:innen in Küche und Service bei geteilten Diensten die tägliche Ruhezeit auf mindestens acht Stunden verkürzt. Für Lehrlinge im Tourismus ist somit nicht einmal mehr gewährleistet, ausreichend Schlaf zu bekommen. Paradoxerweise steht diese Arbeits­markt­politik im Widerspruch  zum proklamierten Anspruch der FPÖ, Politik für „die kleinen Leute“ zu machen. Diese ineffiziente Strategie hat die die ÖVP-Grüne-Regierung nicht vermocht, rückgängig zu machen.  

Kurz­arbeit als Erfolgs­modell, aber weitere Unternehmens­subventionen

Die ÖVP-Grüne-Regierung war mit der Corona-Pandemie und einer der schwersten Wirtschafts­krisen der 2. Republik konfrontiert. Im Kampf gegen die Jugend­arbeits­losigkeit wurden im Rahmen der Taskforce Jugend­beschäftigung eine Reihe von Maßnahmen gesetzt. Allen voran ist hier die Corona-Kurzarbeit zu nennen. Am Höhepunkt im April 2020 waren fast 150.000 Jugendliche in Kurzarbeit. Dadurch wurden während der Pandemie Hundert­tausende Jobs von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gesichert. Mit den neuen zusätzlichen betrieblichen Lehrstellen­förderungen des Lehrlingsbonus‘ ist der Weg der Unternehmens­subventionierung allerdings weiter beschritten worden – bei einer weiterhin rückläufigen Anzahl an Lehrstellen. Bescheiden war auch der Ausbau von Schulungen für Jugendliche und der überbetrieblichen Lehrausbildung angesichts der tiefen Rezession. 

Rückgang der überbetrieblichen Lehrausbildung

Während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 wurde in Österreich unter Einbindung der Sozialpartner die Ausbildungsgarantie bis 18 Jahren etabliert, die positive gesell­schaftliche und ökonomische Effekte erzielt. Herzstück dabei war und ist die ÜBA, die Jugendlichen, die keine betriebliche Lehrstelle finden, ebenfalls zu einer Berufs­ausbildung verhelfen soll. Durch den Ausbau der ÜBA ist es gelungen, die rückläufige Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze zu kompensieren. In den Ausläufen der Finanzkrise waren mehr als 9000 Jugendliche in einer ÜBA. Seit 2017 ist die Anzahl der ÜBA-Teilnehmer:innen deutlich rückläufig, was politisch ein erklärtes Ziel war. Dabei ist gleichzeitig die Anzahl der Jugendlichen in einer betrieblichen Lehre von 124.256 im Jahr 2009 auf 102.397 im Jahr 2023 zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum hat sich die Anzahl an Lehrbetrieben von 36.986 im Jahr 2009 auf 28.249 reduziert. Dies bedeutet, dass die betriebliche Ausbildungs­bereitschaft trotz hoher Unternehmens­subventionen zurückgeht und die Kürzungen in der ÜBA vor allem dazu führen, dass Jugendliche auf der Strecke bleiben. 


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Jugendarbeitslosigkeit im Steigen

Die Jugend­arbeitslosigkeit ist seit dem Jahr 2023 im Steigen begriffen, wie das Ausmaß von Lehrstellen­suchenden, arbeitslosen Jugendlichen und Jugendlichen in Schulungen zeigt: Im März 2024 waren in Österreich 66.157 junge Menschen unter 25 Jahren (+14,2%) entweder arbeitslos (29.812, +17,8 %), in Schulung (29.571, +8 %) oder auf Lehrstellensuche (6.774, +28,8 %). In Summe sind derzeit somit mehr Jugendliche ohne Beschäftigung als vor der Covid-Krise im März 2019. In den Jahren davor hat es immer wieder einmal ein höheres Problemausmaß gegeben. Doch gerade die Anzahl an Lehrstellensuchenden ist mit 6.774 auffällig hoch. Einer der höchsten Werte seit 24 Jahren. Einzige Ausnahme war das Corona-Jahr 2020. Insgesamt eine dramatische Entwicklung, die vor dem Hintergrund des beklagten Fachkräftemangels nicht nachvollziehbar ist. Dieser Umstand lässt sowohl Zweifel an der Ausbildungs­bereit­schaft der Betriebe als auch an der betrieblichen Lehrstellen­subvention aufkeimen. 

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Mangel an attraktiven Lehrstellen 

Laut AMS gab es in elf Berufen mehr Lehrstellensuchende als Lehrstellen, allen voran bei dem:der pharmazeutisch-kaufmännischen Assistenten:in, gefolgt von Applikations­entwickler:in – Coding und Medien­fachmann:frau – Grafik-Print-Publishing-Medien, also in Lehrberufen, bei denen eher ein Zukunfts­potenzial angenommen werden kann. Umgekehrt kamen in den drei Lehrberufen Gastronomie­fachmann:frau, Systemgastronomie­fach-mann:frau und Restaurant­fachmann:frau mehr als zehn offene Lehrstellen auf eine:n Lehrstellen­suchende:n. D. h. der Lehrstellenüberhang findet sich eher in Lehrberufen mit unattraktiven Arbeits­bedingungen. Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für eine Ausbildung in der Branche Gastronomie, da schwierige und zum Teil unzulässige Ausbildungs­bedingungen, massive Über­tretungen von Jugend­schutz- und Arbeits­zeit­bestimmungen und ausbildungs­fremde Tätigkeiten im Betrieb das Image der Branche prägen. Zur Unattraktivität dieser Branchen haben bestimmt auch die Änderungen des Arbeitszeit- und Arbeitsruhe­gesetzes unter Schwarz-Blau beigetragen. 

Es braucht eine Arbeits­markt- und Sozialpolitik „von unten“ 

Die nächste Regierung sollte versuchen, den defizit­orientierten Diskurs über Jugendliche zu beenden, da aus diesem selten adäquate, erfolgs­versprechende Maßnahmen abgeleitet werden. Soweit Jugendliche psychische Probleme haben, sollte darauf mit ausreichender psycho­therapeutischer Versorgung – und nachfolgend mit Ausbildungs­maßnahmen geantwortet werden. Gleichzeitig sollten die Politik, die Verwaltung und arbeits­markt­politische Institutionen Jugendlichen mehr Vertrauen entgegen­bringen, sie stärker ein­beziehen und mit ihnen partizipative Projekte starten. Die Maßnahmen sollten sich dann stärker an den Bedürfnissen und Interessen der Jugendlichen orientieren – es sollte also eine Politik „von unten“ betrieben werden. Gerade jene Institutionen und Menschen, die mit Jugendlichen am Übergang von Schule in Beruf arbeiten, brauchen ein respektvolles, positives Menschenbild.

Die Arbeitsmarktpolitik soll die Selbst­wirksamkeit der Jugendlichen stärken, Perspektiven aufzeigen und Mut machen – und das auf Augen­höhe. Jugendliche brauchen angesichts von Wirtschafts­krisen, Teuerung, Automatisierung und Digitalisierung, Klimawandel und sozial­ökologischer Transformation politische Antworten, die Sicherheit geben und die sozialen Ver-hältnisse verbessern. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sollte daher zu allererst die finanzielle Situation von Jugendlichen in Arbeits­losigkeit bzw. in Ausbildung verbessern, zum Beispiel indem die Kürzungen der Ausbildungs­beihilfen zurück­genommen und soweit ange­hoben werden, dass sich Jugendliche und junge Erwachsene eine Aus­bildung auch leisten können.

Statt einer Ausbildungs­pflicht sollte ein Recht auf Ausbildung für alle Jugendliche bis 24 Jahre etabliert werden. Daran anknüpfend sollte das ÜBA so konzipiert sein, dass Jugendliche und junge Erwachsene ein Sicherheits­netz und Alternativen haben. Das bedeutet, dass aus­reichend Ausbildungs­plätze für Wahl­möglichkeiten zwischen verschiedenen Berufen bestehen müssen und die Entlohnung so hoch ist, dass die über­betriebliche Ausbildung tatsächlich im Sinne des gesetzlichen Rechts­anspruches fungieren kann. Hierfür wird das AMS deutlich mehr Budget brauchen, wofür die nächste Regierung den langfristigen, viel zu geringen Budgetpfad korrigieren muss.

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