Bildungsgerechtigkeit stärken: Warum sich ein Chancen-Index doppelt auszahlt

24. Januar 2025

In Österreich hängen die Bildungschancen von Kindern noch immer stark von ihrer sozio-ökonomischen Herkunft ab. Der Beitrag zeigt, wie eine bedarfsorientierte Schulfinanzierung nicht nur gesellschaftlich faire Chancen schaffen, sondern auch langfristig wirtschaftliche Vorteile erzielen kann.

Das österreichische Schulsystem ist seit Langem durch starke Bildungsbenachteiligungen geprägt, die eng mit der sozioökonomischen Herkunft der Schüler:innen verknüpft sind. Jüngste Studien zeigen, dass die COVID-19-Pandemie und steigende Lebenshaltungskosten die Ungleichheiten weiter verschärft haben. Besonders Schüler:innen aus ressourcenschwächeren Haushalten sehen sich zunehmend ungünstigen Bildungsbedingungen gegenüber. Dabei variieren Bildungschancen stark nach Schulstandorten.

Schulen mit vielen sozioökonomisch benachteiligten Kindern haben Mühe, ein förderndes Lernumfeld zu schaffen und Bildungsziele zu erreichen. In Österreich besuchen rund 350.000 Kinder und Jugendliche Schulen, die vor großen bis sehr großen Herausforderungen stehen. Allein 13 Prozent aller Volksschulen und rund 30 Prozent der Mittelschulen befinden sich in „schwieriger Lage“. Sie sind häufiger in großen Städten zu finden – unabhängig vom Bundesland. Dabei zeigt sich, dass Schüler:innen an diesen Standorten durchschnittlich niedrigere schulische Leistungen erzielen können.

Bedarfsorientierte Schulfinanzierung

Um die Startnachteile von Schulen mit einem hohen Anteil an benachteiligten Schüler:innen auszugleichen, fordern deshalb Bildungsexpert:innen, NGOs und politische Organisationen gezielte Schulentwicklungs- und Unterstützungsmaßnahmen. Ein zentraler Hebel ist die bedarfsorientierte Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel. Bereits im Schuljahr 2015/16 hat die Arbeiterkammer Wien mit dem AK-Chancen-Index ein Modell vorgeschlagen, das die spezifischen Bedürfnisse einzelner Schulstandorte transparent macht. Der Index bewertet die Rahmenbedingungen jeder Schule und baut darauf die Vergabe zusätzlicher Unterstützungsressourcen auf, um allen Schüler:innen faire Bildungschancen zu bieten. Standorte mit größeren Herausforderungen erhalten zusätzliche Mittel gemäß ihrem Indexwert. Ein ähnlicher Ansatz wurde in Deutschland Ende 2023 mit dem Startchancen-Programm eingeführt. Dieses Programm, das über einen Zeitraum von zehn Jahren mit rund 20 Milliarden Euro ausgestattet ist, zielt darauf ab, Schulen in schwieriger Lage nachhaltig zu unterstützen.

Verbesserte Lernumfelder

Was in Österreich noch eine Forderung ist, ist in vielen europäischen Ländern und Städten bereits Realität. Dabei zeigen Evaluationsstudien, dass Schulen, die zusätzliche Mittel erhalten und diese gezielt in die Schulentwicklung investieren, Lernumfelder schaffen können, die die schulischen Leistungen der Schüler:innen erheblich verbessern. Besonders profitieren Schüler:innen aus sozioökonomisch benachteiligten Familien. Doch es geht um mehr als nur Noten und Testleistungen. Auch nicht-kognitive Bereiche, wie das Wohlbefinden und die Motivation der Schüler:innen, werden durch gezielte Investitionen gestärkt. Motivation ist bekanntlich ein entscheidender Faktor für den individuellen Lernerfolg und ein positives Schulklima trägt wesentlich dazu bei.

Österreich: Frühe Schulabgänger:innen und staatliche Kosten

Bedarfsorientierte Schulfinanzierung kann über die Verbesserung von Lernumfeldern an Schulen in schwieriger Lage auch nachweislich dem Risiko des frühen Schulabgangs entgegenwirken. Im belgischen Flandern konnte beispielsweise die Zahl der frühen Schulabgänger:innen an Schulen in schwieriger Lage über eine bedarfsorientierte Schulfinanzierung halbiert werden. Stattdessen erwerben mehr junge Menschen zumindest einen Bildungsabschluss, der über die Pflichtschule hinausgeht. In Österreich zeigt sich der Handlungsbedarf besonders deutlich: Derzeit brechen rund 30 Prozent der Schüler:innen das Bildungssystem frühzeitig ab, wenn sie eine Mittelschule in schwieriger Lage besuchen (vgl. Grafik 1). Das ist dreimal so hoch wie der österreichweite Durchschnitt (rund 11 Prozent). Diese Entwicklung hat nicht nur individuelle Folgen für die Betroffenen, sondern auch weitreichende finanzielle Konsequenzen für die öffentliche Hand.

© A&W Blog


Folgt man dem Soziologen Johann Bacher, so kostet ein Schulabbruch den Staat durchschnittlich 8.350 Euro pro Jahr (Datenbasis: EU-SILC 2017–2021). Hochgerechnet auf die Gruppe der frühen Schulabgänger:innen im Alter von 18 bis 24 Jahren summieren sich die fiskalischen Kosten auf 460 Millionen Euro jährlich. Im Vergleich zu jungen Erwachsenen, die den nächsthöheren Bildungsabschluss (Lehre, BMS) erreichen, sind frühe Schulabgänger:innen häufiger auf staatliche Transferleistungen angewiesen. Sie sind zudem seltener in stabilen, gut bezahlten Arbeitsverhältnissen beschäftigt und generieren deshalb geringere Einnahmen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. Eine Reduktion der Zahl der frühen Schulabgänger:innen durch gezielte Investitionen in eine bedarfsorientierte Schulfinanzierung wäre auch in Österreich von Nutzen.

Wann lohnen sich Investitionen in eine bedarfsorientierte Schulfinanzierung?

Übersteigen die potenziellen Einsparungen durch eine Reduktion der frühen Schulabgänger:innen die Kosten der Einführung einer bedarfsorientierten Schulfinanzierung – und wenn ja, wann? Zur Beantwortung dieser zentralen Frage illustriert Grafik 2 anhand von zwei Szenarien, die auf einem Wirkungsmodell des deutschen Start-Chancen-Programms basieren, wie sich die Einsparungen für die öffentliche Hand entwickeln könnten. Im optimistischen 50%-Szenario wird davon ausgegangen, dass die Zahl der frühen Schulabgänger:innen – und damit auch die daraus resultierenden Kosten für den Staat – durch die Einführung der Maßnahme um die Hälfte reduziert wird. Im 25%-Szenario hingegen sinken die Kosten jährlich um 25 Prozent, da die Zahl der frühen Schulabgänger:innen entsprechend abnimmt.

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Im ersten Jahr nach Einführung der bedarfsorientierten Schulfinanzierung profitieren zunächst nur Schüler:innen einer einzigen Kohorte von der Maßnahme. In diesem Zeitraum sinken die Kosten im 25%-Szenario beispielsweise um etwa 18,4 Millionen Euro. Im zweiten Jahr, wenn bereits zwei Kohorten einbezogen sind, verdoppeln sich die Einsparungen auf rund 36,8 Millionen Euro. Nach fünf Jahren belaufen sich die jährlichen Einsparungen im 25%-Szenario auf etwa 92 Millionen Euro.

Um zu berechnen, wie lange es dauert, bis sich die Investition amortisiert, werden diese kumulierten Einsparungen den geschätzten jährlichen Kosten der bedarfsorientierten Schulfinanzierung gegenübergestellt. Für die flächendeckende Umsetzung in Österreich wird die Schätzung der Arbeiterkammer Wien für die Chancen-Index-Ausgaben herangezogen, die sich für Mittelschulen auf rund 139 Millionen Euro pro Jahr beläuft (inflationsbereinigt auf das Jahr 2020, den Referenzwert für Kosten für frühen Schulabgang). Die Ergebnisse zeigen: Im 25%-Szenario, angelehnt an die Erwartungen zum deutschen Start-Chancen-Programm, dauert es etwa acht Jahre, bis die jährlichen Einsparungen die Ausgaben für die Maßnahme übersteigen. Im optimistischeren, an die Erfahrungen aus Belgien angelehnten 50%-Szenario gelingt dies bereits nach vier Jahren.

Investition lohnt sich doppelt

Der Beitrag zeigt, dass gezielte Investitionen in Schulen mit herausfordernden Rahmenbedingungen erhebliche Verbesserungen bewirken können: Schüler:innen profitieren von einem förderlicheren Lernumfeld, erzielen im Durchschnitt bessere schulische Leistungen und brechen seltener die Schule vorzeitig ab. Dies eröffnet jungen Menschen nicht nur bessere Chancen auf Bildung und gesellschaftliche Teilhabe, sondern wirkt sich auch langfristig positiv auf ihre Lebensverläufe aus.

Neben den pädagogischen Vorteilen zeigt sich aber vor allem auch eine klare wirtschaftliche Rentabilität. Je nach Szenario amortisieren sich die Investitionen in der Sekundarstufe bereits innerhalb von vier bis acht Jahren. Dabei sind zusätzliche positive fiskalische Effekte, wie Beschäftigungsimpulse durch die Anstellung von zusätzlichem Supportpersonal oder Schulsozialarbeiter:innen, sowie eine höhere Erwerbstätigenquote infolge sinkender Schulabbruchraten in diesem Szenario noch gar nicht berücksichtigt.

In Zeiten knapper Budgetmittel sollte der Fokus auf rentablen und zugleich hoch effizienten Bildungsmaßnahmen liegen. Die Einführung einer bedarfsorientierten Schulfinanzierung wäre eine Investition, die sich zweifach auszahlt: gesellschaftlich wie auch ökonomisch.


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