Ein Ranking für die europäischen Arbeitsmärkte

07. Juli 2017

Indikatoren wie die Arbeitslosenquote oder die Beschäftigungszahl können nur einen sehr groben Überblick des Zustands der Arbeitsmärkte liefern. Ein vergleichendes EU-weites Ranking hilft dabei, die Strukturen der jeweiligen Arbeitsmärkte besser zu verstehen.

Der Zustand eines Arbeitsmarktes wird in der Regel vor allem an Messgrößen wie der Arbeitslosenquote oder der Beschäftigungszahl festgemacht. Doch diese Indikatoren liefern nur einen sehr eindimensionalen und groben Blick auf die Beschaffenheit und den Zustand von Arbeitsmärkten. Außerdem sind die Daten oftmals nur schwer über Ländergrenzen hinweg miteinander vergleichbar.

Um einen tiefergehenden Einblick zu ermöglichen, hatte die Arbeitskammer Wien in Kooperation mit dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) im Jahr 2010 einen eigenen Arbeitsmarktmonitor ins Leben gerufen. Der Monitor besteht aus fünf Einzelindizes, die ihrerseits auf zahlreichen von der EU erhobenen Arbeitsmarktdaten basieren. Die fünf Hauptindizes sind:

1.)    Die allgemeine Leistungskraft des Arbeitsmarktes verweist auf den Arbeitsmarkt im Kontext der gesamtwirtschaftlichen Lage eines Landes anhand der üblichen Schlüsselindikatoren, wie beispielsweise die Zahl der Erwerbstätigen, die Arbeitslosigkeit oder das Wirtschafts- und Produktivitätswachstum.

2.)    Der Index zur Erwerbsteilnahme misst das Ausmaß der Integration unterschiedlicher Personengruppen (z. B. differenziert nach Geschlecht und Alter) in den Arbeitsmarkt. Dazu wurden unter anderem die Beschäftigungsquoten verschiedener Altersgruppen, geschlechtsspezifische Beschäftigungsgefälle oder die Zahl der Teilnahmen an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen berücksichtigt.

3.)    Der Index zu den Ausgrenzungsrisiken am Arbeitsmarkt soll die Fähigkeit eines Landes einfangen, jene Risikofaktoren zu minimieren, die einer Erwerbsteilnahme entgegenstehen. Eine wichtige Rolle spielen hier der Bildungsstand, die Gesundheits- und die Betreuungsinfrastruktur.

4.)    Der Index zur Verteilung der Erwerbseinkommen wird durch Faktoren wie die durchschnittliche Einkommenshöhe, den Anteil des Niedriglohnsektors oder das Ausmaß der Armutsgefährdung Erwerbstätiger („working poor“) ermittelt.

5.)    Der Index zur Umverteilung durch den Sozialstaat bemisst den Wirkungsgrad der Eingriffe der staatlichen Hand. Dazu zählen beispielsweise die Höhe der Bildungsausgaben oder das Ausmaß der Sozialschutzleistungen.

Die Skala für die Indizes reicht jeweils von 1 bis 10, wobei 10 das beste Ergebnis darstellt. Aus diesen Scores leitet sich dann das Länder-Ranking für jeden Index ab.

In der letzten Woche hat das WIFO nun die neueste Ausgabe des Arbeitsmarktmonitors online gestellt. Leider ist der Titel („Arbeitsmarktmonitor 2016“) etwas irreführend – tatsächlich basieren die Ergebnisse größtenteils auf Daten für das Jahr 2015. Dennoch liefert der Monitor einige spannende Erkenntnisse, zumal die Indikatoren auch auf strukturelle Unterschiede hinweisen, die sich ohnehin nicht binnen weniger Monate verändern.

Im Folgenden nun ein Einblick in die Ergebnisse für jeden einzelnen Index in komprimierter Form. Zur Visualisierung haben wir die Karten nachgebaut, die das WIFO auch in seinem Monitor nutzt. Die Farbgebung ist in Quartile aufgeteilt und orientiert sich an der Position im Ranking: Die Länder aus dem vorderen Quartil sind dunkelblau gefärbt, die Länder aus dem untersten dunkelrot (bei den WIFO-Originalkarten war die Farbgebung andersherum, aber es dürfte eingängiger sein, die schlechtesten Plätze im Ranking rot zu markieren).

Allgemeine Leistungskraft

Wie bereits in den Jahren zuvor schneidet Luxemburg bei der Beurteilung zur allgemeinen Leistungskraft des Arbeitsmarktes mit deutlichem Abstand am besten ab. Danach folgen Schweden, Irland, Dänemark, Estland, Deutschland und Malta. Der irische Fall zeigt, dass die Rankings keinesfalls vor statistischen Verzerrungen gefeilt sind. „Das gute Abschneiden Irlands ist allerdings vorwiegend der massiven BIP-Revision im Jahr 2015 geschuldet (BIP-Wachstum +26,3 %) – eine Revision, die weniger die tatsächliche Dynamik der Wirtschaftsleistung abbildet, sondern vielmehr auf geänderte Erstellungsvorschriften der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (…) zurückzuführen ist“, wie die WIFO-Forscher schreiben.

Die in der folgenden Karte zusammengefassten Ergebnisse zeigen auch sehr deutlich die berühmt-berüchtigte Nord-Süd-Spaltung der EU: Die nördlichen Staaten rangierten nahezu vollständig (Ausnahme: Finnland) in der oberen Tabellenhälfte, während Südeuropa die unteren Plätze unter sich ausmacht.

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Quelle: WIFO

Erwerbsteilnahme

Auch bei der Erwerbsteilnahme zeigt sich grundsätzlich wieder die Nord-Süd-Divergenz. Griechenland gelingt es am schlechtesten, unterschiedliche Personengruppen auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, Dänemark am besten.

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Quelle: WIFO

Ausgrenzungsrisiken

Ein geografisch anderes Bild zeigt sich dagegen beim Index zu den Ausgrenzungsrisiken, die die Fähigkeit eines Landes abbilden, Hindernisse bei der Erwerbsteilnahme zu reduzieren (z. B. durch die Betreuungsinfrastruktur oder das Bildungssystem). Die skandinavischen Länder schneiden hier am besten ab. Deutschland rangiert wie auch die allermeisten (süd-)osteuropäischen Länder in der unteren Tabellenhälfte.

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Quelle: WIFO

Verteilung der Erwerbseinkommen

Belgien führt das Spitzenfeld bei der Höhe und Verteilung der Erwerbseinkommen unter den EU-Staaten an. Auf den weiteren Plätzen folgen Luxemburg sowie mit deutlichem Abstand Dänemark, Finnland, Frankreich, Malta und Schweden. Ansonsten erinnert die geografische Verteilung zumindest im Ansatz an das Ranking für die Ausgrenzungsrisiken.

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Quelle: WIFO

Umverteilung durch den Sozialstaat

Die Spitzengruppe des Sozialstaat-Rankings setzt sich vor allem aus kleineren Ländern zusammen, angeführt von Dänemark, das die größte soziale Absicherung und das höchste Transferniveau aufweist. Am schlechtesten schneiden hier die osteuropäischen Staaten ab.

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Quelle: WIFO

Zusammenfassend kommt der WIFO-Arbeitsmarktmonitor unter anderem zu der Erkenntnis, dass in allen fünf Dimensionen durchweg kleine EU-Staaten die Spitzenpositionen belegen, zumeist die nordischen Staaten. Am unteren Ende befinden sich die südeuropäischen Staaten sowie Länder, die erst im Zuge der Osterweiterung der EU beigetreten sind.

Geschmacksfragen und historische Vergleiche

Der WIFO-Arbeitsmarktmonitor ist sicherlich nicht ohne Schwächen bzw. Angriffsflächen. So ist es wohl gerade mit Blick auf die letzten beiden Indizes – die Verteilung der Erwerbseinkommen und die sozialstaatlichen Transferwirkungen – in letzter Konsequenz auch eine Frage des persönlichen Geschmacks bzw. der ökonomischen Überzeugungen, ob man einen stärker umverteilenden Sozialstaat oder eine weniger stark auseinanderklaffende Lohnstruktur nun als „besser“ oder „schlechter“ empfindet. Auch bergen solche Indizes immer die Gefahr, komplexe Strukturen zu vereinfacht darzustellen, worauf die Autoren des Monitors auch selbst hinweisen und entsprechend versuchen, mit einer sehr detaillierten Darstellung von Methodik und Ergebnissen gegenzusteuern.

Nichtsdestotrotz ist der Monitor eine empfehlenswerte Grundlage für alle, die sich eingehender mit der Struktur und den Veränderungen auf den europäischen Arbeitsmärkten auseinandersetzen wollen. In dieser Hinsicht besonders spannend ist nicht nur der Status quo, sondern auch die Möglichkeit zum historischen Vergleich. So zeigt sich beispielsweise anhand der Entwicklung des Index zur allgemeinen Leistungskraft, wie sich im Zuge der Eurokrise die Divergenz auf den europäischen Arbeitsmärkten erst stark erhöht hat und inzwischen wieder zurückgeht, wie dieser abschließende Chart verdeutlicht:

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Neuberechnung des Bereichsindex 1 auf Basis revidierter Werte. Berechnung der Punktwerte auf Basis eines globalen Minimums und Maximums im Zeitraum 2007 bis 2015. Grafik: WIFO

Dieser Beitrag erschien am 3. Juli 2017 im wirtschaftspolitischen Online-Magazin Makronom.