Aus der Theorie für die Praxis

19. Dezember 2013

Massenarbeitslosigkeit, hohe Staatsverschuldung und eine bedrohliche Ungleichheit prägen die wirtschaftliche Lage in Europa im sechsten Jahr der Krise. In dieser Situation zeigt sich, wie wichtig es ist, sich mit den Grundlagen der ökonomischen Theorien zu beschäftigen. Sowohl die Wirtschaftspolitik, die in diese tiefe Krise geführt hat, als auch die alternativen Vorschläge für die Überwindung der Krise basieren auf unterschiedlichen wirtschaftswissenschaftlichen Theorien.

Neoklassischer Irrweg

Der Politik der Europäischen Kommission liegt die neoklassische Wirtschaftstheorie zugrunde. Die wichtigsten Elemente dieser Theorie haben sich in der Krise als falsch herausgestellt:  Etwa die These von der Stabilität und Wohlstand schaffenden Wirkung nicht regulierter Finanzmärkte oder das noch 2010 eifrig verbreitete Märchen von den positiven Effekten von Sparpaketen auf Wirtschaft und Beschäftigung oder die Lohnsenkungen, die angeblich einen Rückgang der Arbeitslosigkeit bewirken. Die Ursache dieses Versagens liegt in den Annahmen: Unregulierte Märkte würden von selbst Stabilität und Wohlstand schaffen oder im Krisenfall käme es automatisch zu einer raschen Rückkehr zum Normalzustand eines „allgemeinen Gleichgewichts“. Der Säulenheilige der Neoliberalen, Friedrich August von Hayek, teilte die meisten wirtschaftspolitischen Empfehlungen mit der neoklassischen Theorie. Schade, denn er hat einen wichtigen Beitrag zur ökonomischen Theorie geleistet, indem er den Wettbewerb als Entdeckungsprozess beschrieb, bei dem Wissen entsteht. Doch wirtschaftspolitisch verrannte sich Hayek in Extrempositionen: Er interpretierte Wirtschaftskrisen als Reinigungskrisen und empfahl, Staatseingriffe zu vermeiden. Ihm schwebte ein Kapitalismus vor, der nicht von Demokratie, Sozialstaat oder der Idee von sozialer Gerechtigkeit begrenzt wäre. Jeden Eingriff der Sozial- oder der Beschäftigungspolitik in das freie Spiel der Marktkräfte erachtete er als einen Schritt in Richtung Totalitarismus. Ende der 1970er-Jahre sah er „die Freiheit“ besser durch autoritäre Regime – wie jenes von General Augusto Pinochet in Chile – geschützt als durch Demokratien.

Brauchbare Impulse von Keynes

Die brauchbarsten Impulse für eine erfolgreiche Bewältigung der Eurokrise können vom bahnbrechenden Werk des Briten John Maynard Keynes ausgehen. Keynes zeigte in den 1930er-Jahren, warum Marktwirtschaften instabil sind und immer wieder zu hoher Arbeitslosigkeit führen, der mit staatlichem Deficit-Spending und einer Regulierung des Finanzsektors begegnet werden muss. Von Keynes stammen aber auch wichtige Anregungen für eine stabile langfristige wirtschaftliche Entwicklung und sozialen Fortschritt: Er empfahl, zugunsten der unteren, konsumfreudigen Einkommensgruppen umzuverteilen und den technischen Fortschritt für eine Reduktion der Arbeitszeit zu nutzen.

Schlag nach bei Marx

Politisch der Liberalen Partei nahestehend widmete Keynes allerdings der Frage der Macht in der Ökonomie zu wenig Aufmerksamkeit. Hierin besteht der entscheidende Beitrag von Karl Marx. Dieser erkannte, dass Krisen ein inhärentes Merkmal kapitalistischer Wirtschaftssysteme sind und sah ihre Ursachen in den fundamentalen Interessenunterschieden und der ungleichen Verteilung von wirtschaftlicher und politischer Macht zwischen besitzender und arbeitender Klasse. Eine Beschäftigung mit den theoretischen Grundlagen ist für eine an den Interessen der ArbeitnehmerInnen orientierte Politik wichtig. Nur so können die wirtschaftspolitischen Alternativen kohärent und überzeugend dargestellt werden.

Dieser Beitrag stammt aus der eben neu erschienenen Ausgabe von Arbeit&Wirtschaft, die das Thema “Heilige Kuh Wirtschaft” ausführlich beleuchtet.
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