10 Jahre Gender Budgeting: 10 Jahre umsonst?

11. Mai 2023

An der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter scheitern viele Länder gewaltig – so auch Österreich. Die Einführung des Gender Budgeting und der “Wirkungsorientierung” vor zehn Jahren sollten ein wichtiger Meilenstein sein. Doch trotz verfassungsrechtlich verankerter Verpflichtung wird Wirtschafts-, Finanz-, aber vor allem Budgetpolitik besonders in Zeiten multipler Krisen immer noch nicht geschlechtergerecht gestaltet. Was läuft schief und was sind die Folgen fehlender gleichstellungsfördernder öffentlicher Haushaltsplanung?

Gender Budgeting gibt es nicht erst seit gestern

Das Budget ist Ausdruck der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Prioritäten der Regierung und eines der wirksamsten Instrumente der Politik. Die Verteilung öffentlicher Gelder spielt für die Lebensbedingungen der Menschen eine wichtige Rolle. Werden im Budgetprozess weibliche Lebensrealitäten, etwa hinsichtlich der Sorgearbeit (Kinder- und Altenbetreuung) oder der Benachteiligung am Arbeitsmarkt (etwa der Gender-Pay-Gap) ignoriert, so fällt auch die öffentliche Ressourcenverteilung nicht geschlechterneutral aus. Ziel von Gender Budgeting ist es, diese Ungleichheiten sichtbar zu machen und mit gezieltem Einsatz öffentlicher Mittel zu bekämpfen.

Auf den ersten Blick nimmt Österreich eine Vorreiterrolle ein, wenn es um die Umsetzung von Gender Budgeting geht. Schon seit 2009 ist Gender Budgeting verfassungsrechtlich verankert – “Bund, Länder und Gemeinden haben bei der Haushaltsführung die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern anzustreben” (Art 13, Abs. 3). Spätestens seit der Haushaltsrechtsreform 2013 sollte in Österreich der Beitrag zur Geschlechtergleichstellung aller Einnahmen und Ausgaben analysiert und dargestellt werden. Denn mit der damals eingeführten Wirkungsorientierte Folgenabschätzung (WFA) muss in jedem Teilbereich des Budgets an mindestes einem konkreten Ziel zur Geschlechtergleichstellung gearbeitet werden. Somit sollte die Beseitigung von Geschlechterunterschieden in allen Politikbereichen und bei der Budgeterstellung handlungsweisend sein.

Zehn Jahre ohne Erfolg?

In der Theorie klingt die Verankerung von Gender Budgeting überraschend positiv, die tatsächliche Umsetzung ist jedoch alles andere als zufriedenstellend. Denn in den vergangenen zehn Jahren des Gender Budgeting konnten kaum Verbesserungen hinsichtlich der Geschlechtergleichstellung in Österreich festgestellt werden. Dass Gender Budgeting in Österreich nicht funktioniert, hat viele Gründe: So fehlt immer noch eine Gesamtstrategie und die Zielsetzungen der einzelnen Teilbereiche des Budgets stehen ohne jegliche Form der Abstimmung nebeneinander – zwischen Ressourcen (Budget und Personal) und den Zielen bzw. Maßnahmen gibt es keine sichtbare Verknüpfung. Die Zielsetzung selbst ist häufig zu wenig ambitioniert, eine Zielerreichung zum Teil nicht sinnvoll messbar und ein Verfehlen der Ziele ohne Konsequenzen. Oft fehlen erforderliche Daten, zudem gibt es in den zuständigen Behörden nicht ausreichend Expertise und Ressourcen, keine klare politische Verantwortung und zu wenig Abstimmung und Transparenz.

Mehr Transparenz bräuchte es vor allem bei der Darstellung tatsächlicher Budgetmittel. Aus den Budgetunterlagen lässt sich nicht herauslesen, wie viel Geld für die einzelnen Gleichstellungsziele aufgewendet wird. Ganz allgemein wird das “Frauenbudget” auf Gewaltschutz reduziert. Dieses ist zudem auf verschiedene „Budgetuntergliederungen“ verteilt; ein eigenes Kapitel zu Gender Budgeting und eine vollständige Auflistung aller Maßnahmen für Geschlechtergleichstellung innerhalb des Budgets wären notwendig, um die Maßnahmen der Regierung besser einordnen und bewerten zu können. Länder wie Schweden gehen in punkto Transparenz mit gutem Beispiel bereits seit mehreren Jahrzehnten voran – Österreichs Budgetunterlagen müssen regelrecht durchforstet werden, um ein Frauenbudget bzw. Ressourcen zu gleichstellungsfördernden Maßnahmen ausfindig zu machen. 

Gleichstellungsziele werden häufig verfehlt

Der Blick in das Budget ist also ernüchternd: Im Budgetentwurf für das Finanzjahr 2023 macht das „Frauenbudget“ etwa zwei Promille der gesamten zur Verfügung stehenden Mittel aus – der Großteil der 24,3 Millionen Euro fließt in den Gewaltschutz. Und wie sieht es nun mit den Wirkungszielen aus?

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Die nachstehende Grafik zeigt die Zielerreichung (bzw. Nicht-Erreichung) der Gleichstellungs-Wirkungsziele im Rahmen der WFA. Diese Ziele werden auch ausführlich in den Budgetunterlagen beschrieben, Ist-Zustände und Zielwerte werden definiert und mit jedem neuen Budget evaluiert. Der Budgetdienst erstellt zudem jährlich eine Landkarte, in der die Zielerreichung bzw. Nicht-Erreichung dokumentiert wird. Im Jahr 2013 wurden etwa 57 % der Gleichstellungsziele zur Gänze oder sogar überplanmäßig erfüllt; lediglich 3 % der definierten Ziele wurden nicht erreicht. Im Jahr 2021 – nach einem deutlich sichtbaren Verfehlen der Ziele während der Corona-Pandemie – ist der Anteil jener Ziele, die erfüllt werden, gesunken und sogar 9 % der Ziele wurden überhaupt nicht erreicht. Im Vergleich zur Ausgangssituation im Jahr 2013 also eine deutliche Verschlechterung.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Folgen mangelhafter Umsetzung

Trotz etabliertem Gender Budgeting und den dazugehörigen Instrumenten ist Österreichs Budget nicht geschlechterneutral. Im Bundesbudget fehlt eine transparente Aufschlüsselung der Mittel nach Geschlecht zur Gänze – Analysen der Verteilungswirkung von Steuerreformen und Entlastungspaketen nach Geschlecht zeigen eine deutliche Schieflage auf, zu Lasten von Frauen.

Dass öffentliche Mittel eher Männern als Frauen zugutekommen, wurde schon während der Covid-19-Krise sichtbar. Nur etwa 42 % der Corona-Hilfszahlungen, die für 2020-2024 dotiert wurden, kamen Frauen zugute. Auch von jenen Personen (etwa Entscheidungsträger:innen in Politik und Unternehmen), die über die Verwendung dieser Mittel bis 2024 für sich selbst oder für andere entscheiden konnten, sind nur knapp 40 % weiblich. Eine Gender-Budgeting-Analyse der Corona-Hilfszahlungen wäre vor allem vor dem Hintergrund der starken Retraditionalisierung von Geschlechterrollen während der Pandemie und der damit einhergehenden ungleichen Verteilung von unbezahlter Sorgearbeit, Arbeitszeitreduktionen und Einkommensverlusten für Frauen und Mütter während Lockdowns dringend notwendig gewesen, um die finanziellen Unterstützungsleistungen – die allen gleichermaßen zugutekommen sollten – gerecht zu verteilen.

Auch die „ökosoziale“ Steuerreform bzw. die Entlastungspakete im Zuge der Energie- und Teuerungskrise wurden weitgehend geschlechterblind konzipiert. Eine Analyse der Geschlechterwirkung gab es erst ex post und obwohl das Gesamtentlastungsvolumen relativ gleich auf Frauen und Männer aufgeteilt wurde, gibt es bei einzelnen Maßnahmen deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Die Abgeltung der kalten Progression etwa kommt mit 59 % deutlich mehr Männern zugute – dass das auf Frauen entfallende Entlastungsvolumen um 31 % geringer ist als jenes der Männer steht in direktem Zusammenhang mit der Tatsache, dass Frauen in Österreich deutlich niedrigere Löhne haben (Stichwort Gender Pay Gap). Der Frauenanteil im untersten Einkommensfünftel beträgt in etwa 60 % – im obersten liegt er etwa bei der Hälfte.

Handlungsempfehlungen: Wie Gender Budgeting funktionieren kann

Gender Budgeting und die Einbettung von Gleichstellungszielen in der WFA hat ein großes Potential, um tiefgreifende Veränderungen zu mehr Gleichstellung zu ermöglichen. Damit es aber nicht nur ein Schlagwort oder eine inhaltsleere und zahnlose Strategie bleibt, bedarf es ganz wesentlich Transparenz, Qualitätsstandards, Ressourcen, Zuständigkeiten, Rechenschaftspflicht und Sanktionsmechanismen.

Die wichtigste Weiterentwicklung, die es für ein funktionierendes Gender Budgeting braucht, ist die Verknüpfung der Wirkungsziele mit finanziellen Mitteln. Neben den Maßnahmen und der Messung der Zielerreichung, sollte die Regierung auch Angaben machen, wie viel Geld für die einzelnen Maßnahmen tatsächlich aufgewendet wird. In diesem Zusammenhang sollte auch eine ausführliche Budgetbeilage zu Gender Budgeting erstellt werden, in der das Frauenbudget vollumfänglich dargestellt und mit Analysen, wie etwa einer genderdisaggregierten Nutzer:innen-Analyse der öffentlichen Ausgaben, ergänzt wird. Welche Bevölkerungsgruppe profitiert in welcher Weise von staatlichen Ausgaben, Einsparungen, bzw. wem fließen öffentliche Mittel konkret zu? Wer zahlt welche Steuern und wie hoch ist die Belastung für verschiedene Personengruppen? Wer arbeitet bezahlt und unbezahlt in Österreich und wie wirken staatliche Maßnahmen einer Ungleichverteilung von (un)bezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern entgegen? All diese Fragen müssen gestellt und beantwortet werden, damit Gender Budgeting funktioniert.

Dafür muss es aber auch von der Politik ernst genommen werden und bereits bei der Konzeption von Politikmaßnahmen, wie etwa Steuerreformen oder Hilfspaketen, konsequent angewendet werden. Nur so kann ein Geschlechter-gleichverteiltes Budget auch dazu beitragen, bestehende Ungleichheiten zu verringern.