Stillstand in der Frauen*- und Gleichstellungspolitik beenden!

26. Januar 2023

Krieg, Klimakrise und die Folgen der Covid-Pandemie verstärken Ungleichheiten in einem bislang nicht gekannten Ausmaß. Gleichstellungspolitiken sind damit wichtiger denn je. Es fehlt in Österreich aber aktuell an Orten des Austausches, der Diskussion und an aktiver Gleichstellungspolitik. Die gemeinsam von AK Wien, IHS und WU Wien organisierte Tagung „Warum (wieder) Frauen* fördern? Von der Vergangenheit für aktuelle Herausforderungen lernen“ am 24. und 25. Oktober 2022 bot eine Plattform, um aktuelle Fragen der Frauen- und Gleichstellungspolitik zu diskutieren.

Wie passen berechtigte Forderungen nach einer erweiterten Perspektive der Geschlechtervielfalt und -diversität mit Geschlechtergleichstellung zusammen? Warum ist eine diversitätsorientierte Gleichstellungspolitik wichtig und welche Erfahrungen gibt es dazu aus der Praxis? Und warum ist Frauenförderung gerade in Zeiten essenziell, in denen rechtskonservative und rechtspopulistische Bewegungen politisch Aufwind haben und in mehreren Ländern Europas bereits an der Macht sind? Das waren einige der zentralen Fragen, die in rund 25 Vorträgen und Workshops mit rund 130 Teilnehmenden aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Gewerkschaften diskutiert wurden.

Geschlechtergleichstellung, Diversität, Inklusion: Blick auf verschränkte Ungleichheitsdimensionen

Geschlechtergleichstellung, Diversität und Inklusion haben verschiedene Ungleichheitsdimensionen im Blick. Stellvertretend für viele Institutionen zeigt sich am Beispiel der Universitäten, dass Maßnahmen oft allein auf eine Zielgruppe fokussieren, statt die verschiedenen Ungleichheitsdimensionen zu verschränken, was sich negativ auf die Qualität der Dienstleistung auswirken kann. Wenn etwa Maßnahmen für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen ohne Gender- und Diversitäts-Expertise entwickelt werden, ist die Gefahr groß, dass studierende Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, queere Personen oder Studierende aus einem Nicht-Akademiker:innen-Umfeld mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen weniger davon profitieren können. Wie viel eine Ausrichtung hin zu diversitätsorientierter Gleichstellung bringt, zeigt das Beispiel der Fem Süd Frauenassistenz: Eine intersektionale Sichtweise von der Maßnahmenkonzeption bis zur Beratung funktioniert und ist der Schlüssel, um Frauen mit Behinderungen und gesundheitlichen Einschränkungen bestmöglich bei ihrer beruflichen Integration zu unterstützen und insbesondere auch Frauen mit Migrationshintergrund gut zu erreichen.

Mehr Forschung und Expertise für die Gestaltung von frauen*- und gleichstellungsfördernden Politiken nutzen

Es braucht mehr feministische und diversitätsorientierte Forschung. Gerade für die Gestaltung einer wirkungsvollen Frauen*- und Gleichstellungspolitik ist empirische Evidenz zu bestehenden Geschlechterungleichheiten in allen Bereichen von Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeitsleben sowie eine Analyse der zugrundeliegenden exkludierenden Mechanismen erforderlich, die relevante Ungleichheitsdimensionen berücksichtigt. Eine solche Basis lieferte früher der Frauenbericht, den die Regierung seit 2010 allerdings nicht mehr vorgelegt hat. Obwohl wiederholt öffentlich eingefordert, wie beispielsweise vom Käthe Leichter Alumnae Klub, gibt es nach wie vor keine Information, ob und wann der nächste Frauenbericht erstellt wird.

Aber auch die vorhandene Expertise wird viel zu wenig für die Gestaltung von frauen- und gleichstellungsfördernden Politiken genutzt. Das zeigt sich beispielsweise in einer Familienpolitik, die hinsichtlich einer stagnierenden Väterquote bei der Elternkarenz unter dem Vorwand der „Wahlfreiheit“ keinen Handlungsbedarf sieht. Anschaulich wurde auch für den MINT-Bereich aufgezeigt, dass es nicht nur darum geht, mehr Frauen für MINT zu interessieren, sondern Strukturen und Kulturen im Ausbildungsbereich und in den Betrieben im MINT-Bereich so zu verändern, dass sie für Frauen attraktiv sind. Denn Maßnahmen, die nur auf der Ebene des Individuums ansetzen, statt gesellschaftliche Strukturen zu adressieren, sind im besten Fall ineffektiv und führen im schlechtesten Fall zu einer Verstärkung von Geschlechterstereotypen.

Mehr Austausch und Vernetzung

Die Sozialforscherin Birgit Buchinger analysierte in ihrer Keynote Gleichstellungspolitik und aktuelle Diskurse zur Geschlechtervielfalt in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext von Krieg, Klimakrise und wachsenden gesellschaftlichen Ungleichheiten. Sie plädiert für mehr Dialog und gegenseitige Stärkung der verschiedenen feministischen Strömungen und der LGBTIQ+-Bewegung gegen jede Form von Ungleichheit. Denn angesichts eines besorgniserregenden politischen Erstarkens der Rechtspopulist:innen in Europa mit den damit verbundenen Angriffen gegen Selbstbestimmungsrechte von Frauen und queeren Menschen, einem Einfallstor des Rechtspopulismus, braucht es eine Bündelung aller progressiven Kräfte. Die Teilnehmenden der Tagung plädierten ebenfalls für stärkeren Austausch und Vernetzung zwischen feministischer Klimabewegung und der Frauen- und Geschlechterforschung, die sich jeweils für eine Veränderung von Strukturen und traditionellen Praktiken einsetzen, um die Welt geschlechter- und chancengerechter zu machen.

Frauen*- und Gleichstellungspolitik ist wichtiger denn je!

Das Führen dieser Diskurse ist wichtig und bereichernd für alle Beteiligten. Bedauerlicherweise bietet die aktuelle Frauen*- und Gleichstellungspolitik keine entsprechenden Diskursräume. Die Organisatorinnen machen sich daher für die Weiterführung des Diskurses stark und fordern:

  • Die Politik muss Diskussionsräume bereitstellen, um über feministische Wissenschaft und Praxis zu reflektieren und diese Erkenntnisse für Gleichstellungspolitiken nutzbar zu machen.
  • Es braucht wieder eine umfassende und kritische Analyse gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse – z. B. in Form eines Frauenberichts –, um effektive und zielgruppenorientierte Gleichstellungspolitik machen zu können. Gerade in Krisen darf nicht weggeschaut, sondern muss der Blick auf die konkreten Lebensverhältnisse von Frauen* gerichtet werden.
  • Der Stillstand in der Frauen*- und Gleichstellungspolitik muss beendet werden. In allen Politikbereichen – insbesondere in der Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Familien-, Gesundheits-, Sozial- und Wirtschaftspolitik – müssen bestehende Ungleichheiten adressiert werden. Beispiele dafür sind die Umsetzung einer vollen Lohntransparenz in Betrieben, die Einführung einer Familienarbeitszeit sowie die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Elementarbildung ab dem ersten Geburtstag des Kindes. Dabei wäre es wichtig, Synergien zu nutzen und nicht widersprüchliche Signale auszusenden.

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