Kollektivvertragsverhandlungen in Anbetracht der derzeitigen Teuerungen sind ebenso wie der generelle Wert von „(Erwerbs-)Arbeit“ auch eine Frage des Geschlechts. In diesem Beitrag wird ein Fokus darauf gelegt, ob Digitalisierung in frauendominierten Berufsfeldern zur Aufwertung genutzt werden könnte – als weiterer Hebel neben der längst überfälligen besseren Entlohnung häufig von Frauen ausgeübter Berufe. Grundlage für den Beitrag ist eine durch den AK Digitalisierungsfonds geförderte Studie der Autor:innen rund um die „versteckte technologische Arbeit in frauendominierten Berufen“.
Kollektivvertragsverhandlungen, Teuerung und der Wert von „Arbeit“ – auch eine Frage von Geschlecht
In Zeiten der massiven Teuerung und dem Ringen um eine adäquate Anpassung der Reallöhne an die Inflation – dem aktuellen „heißen Verhandlungsherbst“, der für unterschiedliche Beschäftigtengruppen unterschiedlich hohe Lohnerhöhungen bringt – spielen auch grundsätzlichere Fragen der Gehaltseinstufung oder der Wertigkeit verschiedener Tätigkeiten eine Rolle. Die (vermeintliche) Produktivität eines Sektors, gesellschaftliche Bilder und Zuschreibungen über die Wertigkeit der jeweils geleisteten Erwerbsarbeit, der gewerkschaftliche Organisationsgrad – ganz unterschiedliche Faktoren prägen die Verhandlungen und damit auch die Zusammensetzung der Löhne und Gehälter.
Die Einforderung von Mindestbeträgen – nicht in Prozent, sondern in Nettobeträgen – für untere Gehaltsklassen soll vor allem sehr niedrig entlohne Beschäftigtengruppen vor einem Abrutschen in die Armut schützen. Diese Gefahr betrifft verstärkt Frauen. Sie weisen in Zeiten der Teuerung ein überproportionales Armutsrisiko auf, wie eine aktuelle Analyse von Karin Zimmermann zeigt. Vor dem Hintergrund der ohnehin schon ungleichen Bewertung von Tätigkeiten und Wirtschaftsbereichen entlang geschlechterbezogener Trennlinien – ablesbar unter anderem am Gender Pay Gap sowie entsprechender Analysen von Geisberger/Glaser (2021) – ist die Frage, für welche Wirtschaftsbereiche welche Erhöhungen verhandelt werden, auch ein Geschlechterthema.
„Frauenarbeit“: entwertet und versteckt?
Einer von vielen Puzzlesteinen zur Erklärung der Abwertung von vor allem frauenkonnotierter Tätigkeiten ist die „Devaluationshypothese“. Kurz gesagt geht diese davon aus, dass von Frauen ausgeübte Tätigkeiten häufig als einfache(re) Tätigkeiten gesehen werden, welchen deshalb weniger Wert, sprich Lohn, zukomme. Diese These wurde in einem aktuellen Projekt von Ute Klammer und Kolleg:innen empirisch bestätigt. Die Ergebnisse bieten Ansatzpunkte für Gewerkschafter:innen, feministische Forscher:innen und Aktivist:innen für den Kampf um eine Höherbewertung frauenkonnotierter Tätigkeiten, wie Pflegetätigkeiten, Reinigungstätigkeiten oder der Erziehung. Diese Berufsfelder unterliegen im Vergleich zu männerdominierten Berufen oft einer ökonomischen und gesellschaftlichen Abwertung. Vermeintlich wird in diesen Branchen keine „echte“ zu erlernende Arbeit geleistet, sondern von den vorwiegend weiblichen Beschäftigten „natürliches“ Arbeitsvermögen eingebracht, welchem kein Marktwert zugeordnet wird (Aulenbacher & Wetterer 2009, Scheele 2019). Das Beheben dieser geschlechtsbezogenen Ungleichheit bei der Bewertung von weiblich konnotierten Tätigkeiten ist eine Möglichkeit der Aufwertung von Berufen, in denen mehrheitlich Frauen beschäftigt sind.
Eine zweite Möglichkeit der Aufwertung – das war die Ausgangsthese unseres Projektes, welches im Rahmen vom Digifonds der AK Wien gefördert wurde – kann das Sichtbarmachen von in „Frauenbranchen“ versteckten, jedoch in anderen Berufen hoch bewerteten Tätigkeiten darstellen. Unseren konkreten Forschungsschwerpunkt legten wir auf die Niedriglohnberufe im Einzelhandel und der mobilen Pflege und auf die Suche nach versteckter technologischer Arbeit.
Technologische Arbeit als hoch bewertete „Männerarbeit“
Der Fachkräftemangel im IT Bereich und die Stilisierung der Rolle von Digitalisierung und Industrie 4.0 zum alternativlosen Erfolgskriterium im internationalen Standortwettbewerb sind nur zwei Phänomene, die aktuell zu einer hohen Bewertung von Tätigkeiten rund um den Umgang mit digitaler Technologie beitragen. Die diesbezüglichen Tätigkeiten sind klar männlich konnotiert und deren Ausübung keineswegs als „natürliches männliches Arbeitsvermögen“ oder ähnliches verstanden, wie die zahlreichen Initiativen zur Vermittlung der stark nachgefragten, digitalen Kompetenzen deutlich machen.
Doch auch in weiblich konnotierten Berufen wird der digitale Wandel vorangetrieben, was die oben beschriebene Wertballung für die Aufwertung dieser Berufe nutzbar macht. Zum einen können Aufwertungen durch die Anwendung in bestehenden Bewertungssystemen erwirkt werden: Eine Studie von Andrea Jochmann-Döll und Kolleginnen zeigt, wie die sich verändernden Tätigkeiten von (ausschließlich weiblichen) Einpackerinnen in der Lebensmittelindustrie durch digitalisierungsgestützte Automatisierungsprozesse der Produktionsanlage von der engagierten Betriebsrätin als Argumentationsbasis für eine Aufwertung herangezogen wurden: Die Beschäftigten gelten nun als Maschinenbedienerinnen. So konnte ein Aufstieg um zwei Lohngruppen erkämpft werden. Zum anderen können neue digitale Technologien und der Umgang mit diesen neu in Bewertungssysteme hineinverhandelt werden, wie es beispielsweise im Kollektivvertrag der Handelsbeschäftigten gelungen ist. Hier wurde das Überwachen der (gut sichtbaren) digitalen Technologie Selbstbedienungskasse als Kriterium für die Einstufung in Beschäftigtengruppe D verhandelt. Dabei handelt es sich um eine Beschäftigtengruppe unter der Filialleitung.
Das Projekt „Auf der Suche nach versteckter technologischer Arbeit“ hatte nun zum Ziel, Erkenntnisse zu generieren, die für beide der oben beschriebenen Aufwertungsstrategien als Grundlage dienen können. Daher gingen wir der Frage nach, welche “versteckten“ Technologien, technologische Kompetenzen und Arbeitsanteile in ausgewählten Bereichen der Dienstleistungsbranche von – überwiegend weiblichen – Beschäftigten angewendet werden. Damit sollten „übersehene“ Arbeitsanteile der Beschäftigten sichtbar gemacht werden, um zu einer Aufwertung von weiblich konnotierter Erwerbsarbeit beizutragen. Dabei wurden die Beschäftigtenbereiche mobile Pflege mit Fokus auf die Berufsgruppen Pflegeassistenz und Heimhilfe sowie der stationären Einzelhandel als konkrete Beispiele für frauendominierte Branchen unter die Lupe genommen.
Ich seh, ich seh… versteckte technologische Arbeit in frauendominierten Branchen
Über qualitative Interviews und (Online-)Ethnographie haben wir uns ins Feld begeben und dabei nach technologischer Arbeit Ausschau gehalten, die wir definiert haben als…
- … Tätigkeiten, im Zuge deren Ausführung digitale Technologien zum Einsatz kommen.
- … Interaktionen während des Arbeitsprozesses, die durch die Implementierung digitaler Technologien beeinflusst sind.
Um die identifizierten technologischen Arbeitsanteile zu systematisieren, wurden die bei der Ausübung der Tätigkeiten eingesetzten Kompetenzen nach dem DigComp 2.2 AT Framework klassifiziert. Dieses unterteilt digitale Kompetenzen in sechs Gruppen mit jeweils mehreren Subkompetenzen. Neben der Klassifizierung der Kompetenzen liefert das Framework auch ein Schema zu Bewertung des Qualifikationsniveaus. Die folgenden beiden Grafiken stellen für die beiden untersuchten Berufsgruppen dar, welche Kompetenzen auf welchem Niveau bei der Ausübung von Tätigkeiten im Arbeitsalltag im Datenmaterial sichtbar geworden sind: