Wohlstand, Lebensqualität und Umwelt – Wo steht Österreich?

14. Dezember 2015

Seit 2012 veröffentlicht die Statistik Austria ein umfassendes Indikatorenset zur Messung von Wohlstand und gesellschaftlichem Fortschritt in einem jährlichen erscheinenden Bericht, auch um damit eine empirische Grundlage für die (Wirtschafts-)Politik zu liefern. Den diesjährigen Bericht zu „Wie geht’s Österreich?“ fasst sie folgendermaßen zusammen: „hohe Lebenszufriedenheit – materieller Wohlstand stagniert auf hohem Niveau – Umwelt punktet bei erneuerbarer Energie und Emissionen“. In den mehr als 200 Seiten finden sich viele Details, die für eine wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik eine fundierte Datengrundlage bieten. Wie diese besser genutzt werden kann, sollte ebenso Teil der politischen Diskussion um gesellschaftlichen Fortschritt in Österreich sein wie daraus abzuleitende Maßnahmen.

Ausgangspunkt für die Initiative der Statistik Austria war der vielbeachtete Bericht einer internationalen Kommission, die den Fokus der Wirtschaftspolitik vom „Wirtschaftswachstum als Selbstzweck“ zum eigentlichen Zweck des Wirtschaftens – nämlich (materiellen) Wohlstand und Lebensqualität bzw. gesellschaftlichen Fortschritt unter Berücksichtigung ökologischer Grenzen zu fördern – verschieben wollte.

Einkommen, Konsum und Beschäftigung als Schlüssel für materiellen Wohlstand

Betrachtet man im aktuellen Bericht der Statistik Austria die Dimension „materieller Wohlstand“, zeigt sich für 2014 eine größtenteils negative Entwicklung. So schrumpften die real verfügbaren Einkommen der Haushalte im Jahresvergleich um weitere 0,2 %, nachdem sie schon seit dem Wirtschaftseinbruch 2009 fast kontinuierlich zurückgegangen sind. Der reale Konsum pro Kopf verzeichnete mit -0,6 % den zweiten Rückgang in Folge, während er in den beiden Jahrzehnten zuvor noch kontinuierlich gestiegen ist.

Gleichzeitig kam es im langfristigen Vergleich zu Verschiebungen der relativen Konsumausgaben. Besonders stark stiegen die Konsumausgaben für Wohnen, einerseits aufgrund der überdurchschnittlichen Preissteigerungen im Wohnungssektor, andererseits durch die steigenden Qualitäts- und Flächenansprüche. Auch steuer- und abgabenfinanzierte öffentliche Sachleistungen wie Bildung oder Gesundheitsversorgung wurden wichtiger, während der Anteil von – meist ressourcenintensiven – langlebigen Konsumgütern, Nahrungsmitteln und Getränken an den Konsumaufwendungen zurückging.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die schlechte Entwicklung von Einkommen und Konsum pro Kopf ist einerseits in Zusammenhang mit der Wachstumsschwäche ab 2012 zu sehen, andererseits aber auch durch die rascher wachsende Bevölkerung bedingt, die derzeit so stark ansteigt wie in kaum einem anderen EU-Mitgliedstaat (2014 nur von Luxemburg, Schweden und Malta übertroffen). Zusammen mit dem steigenden Pensionsantrittsalter sorgt das starke Wachstum der Erwerbsbevölkerung auch für einen – entgegen dem aktuellen Trend in den EU 28 – weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit bzw. Rückgang der Erwerbstätigenquote. Letztere ist in Österreich zwar deutlich höher als im Durchschnitt der EU und damit näher an den im Rahmen der EU-2020-Strategie vereinbarten Zielwerten; gleichzeitig ist die Dynamik aber negativ, wie die für 2015 verfügbaren Quartalsdaten zeigen.

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Österreich im europäischen Vergleich

Dem europäischen Vergleich von Wohlstandsindikatoren wurde in der aktuellen Ausgabe von ‚Wie geht’s Österreich?‘ ein eigenes Kapitel gewidmet. Darin zeigt sich, dass trotz der schwachen Entwicklungen in der jüngsten Vergangenheit Österreich eine Wohlstandsinsel bleibt. In absoluten Werten war auch im Jahr 2014 das BIP pro Kopf nach Luxemburg – einem Land, das nicht nur aufgrund des hohen grenzüberschreitenden Pendleraufkommens und der nicht zuletzt auf Steuerschlupflöcher basierenden starken Internationalisierung nur schwer als Referenzwert herangezogen werden kann – in Österreich am zweihöchsten. Auch bei der Arbeitslosigkeit wurde 2014 noch nach Deutschland der zweitbeste Wert erzielt (wobei diese Platz zwischenzeitlich nicht mehr gehalten werden konnte).

Vor diesem Hintergrund überrascht es prinzipiell nicht, dass die subjektiv empfundene Lebensqualität weiterhin in kaum einem Land innerhalb der EU so hoch ist wie hierzulande. Nur in den nordischen Mitgliedstaaten Dänemark, Finnland und Schweden ist die Lebenszufriedenheit der über 16-jährigen noch höher.

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Umweltbelastung durch Wirtschaft und Lebensweise

Ebenso sind die subjektiv empfundenen Belastungen durch Verschmutzung und Lärm in Österreich geringer als im EU-Durschnitt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass einige Indikatoren zur objektiven Messung der Umweltbelastung – wie der inländische Materialverbrauch pro Kopf und der Energieverbrauch – nicht zuletzt durch die starke Exportorientierung der österreichischen Industrie, die Siedlungsstruktur sowie die im Vergleich zu Südeuropa schlechteren klimatischen Bedingungen über den Durchschnittswerten der EU 28 liegen. Insbesondere beim im europäischen Vergleich sehr hohen Energieverbrauch besteht durchaus Handlungsbedarf. Das Selbstbild des “Umweltmusterlandes“ erfüllt das wasserkraftreiche Österreich hingegen beim Anteil der erneuerbaren Energieträger.

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Im Zusammenhang mit der Darstellung des Ressourceneinsatzes ist positiv hervorzuheben, dass in der Analyse neben dem inländischen Materialverbrauch zukünftig auch der Rohmaterialeinsatz der in Importgütern enthaltenen Vorleistungen systematischer betrachtet werden soll. Als wohlhabende offene Volkwirtschaft „exportiert“ Österreich einen relativ großen Anteil der durch den inländischen Konsum – bzw. die damit verbundene Güterproduktion – verursachten Umweltbelastungen ins Ausland. Die physischen Nettoimporte (Importe minus Exporte) erhöhten sich von 1995 bis 2013 immerhin um knapp 37 Prozent, während der Anstieg des inländischen Materialverbrauchs mit 4 Prozent vergleichsweise gering war.

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Um in Zukunft auch die mit der Produktion von Import- und Exportgütern verbundenen Vorleistungen erfassen zu können, werden laut Statistik Austria derzeit auf europäischer Ebene die Anstrengungen zur Entwicklung eines aussagekräftigen Indikators zur Messung des gesamten Rohmaterialeinsatzes „intensiviert“.

Ergebnisdiskussion wichtig für wohlstandsorientierte (Wirtschafts-)Politik

Die Statistik Austria leistet mit den jährlichen Berichten zur Entwicklung von Wohlstand und gesellschaftlichem Fortschritt in Österreich eine überaus wertvolle Grundlagenarbeit für eine evidenzbasierte Wirtschaftspolitik, die Zielkonflikte wie beispielsweise jenen zwischen materiellem Wohlstand und Umweltschutz aufzeigt und damit potenziell auch zu einem Interessensausgleich beitragen kann.

Leider wird dieser Beitrag bisher kaum aufgegriffen. Das liegt zum einen am Umfang bzw. der Vielzahl an Aspekten, die nicht auf eine einfache Botschaft wie „wir brauchen mehr Wachstum“ reduziert werden können. Auch ist der Bericht noch nicht so etabliert wie die mehrmals im Jahr erscheinenden Wirtschaftsprognosen, die noch dazu – für politische Weichenstellungen relevante – Zukunftserwartungen anstelle von Vergangenheitswerten beinhalten. Zum anderen mangelt es vielfach noch am politischen Willen für eine umfassend wohlstandsorientierte Politik, was sich nicht zuletzt in fehlenden Prozessen und Institutionen zu deren Förderung widerspiegelt.

Ein Anschauungsbeispiel für eine erfolgreiche Verankerung neuer Steuerungsformen – wenn auch oftmals von einem „neoklassisch fundierten Irrweg geleitet“ – bietet die europäische Ebene: Die einseitige Ausrichtung der Wirtschaftspolitik auf Spar- und Wettbewerbs(des)orientierung wurde mittels Regeln (zB Schuldenbremsen), Verfahren (Defizit- und Makroungleichgewichtsverfahren) und aufwendigen Monitoringprozessen (real existierendes Europäisches Semester) abgesichert. Zudem wird versucht, mit eigenen ExpertInnengremien (Fiskalräten und zukünftig vielleicht auch Wettbewerbsräten) Dauerdruck auf die Politik zur Umsetzung einer spar- und wettbewerbsdesorientierten Wirtschaftspolitik zu sorgen.

Dullien und van Treeck haben für Deutschland einen Vorschlag gemacht, wie umgekehrt eine wohlstandsorientierte Politik institutionell verankert werden kann. Für Österreich ist eine solche Arbeit noch ausständig. Mit dem jährlichen „Wie geht’s Österreich“-Bericht der Statistik Austria ist insofern ein erster Schritt in diese Richtung geglückt, als nunmehr eine gute empirische Grundlage für weitere Initiativen vorliegt.