Arbeitslosigkeit, Klimakrise, Armut: die drei wichtigsten wirtschaftspolitischen Herausforderungen 2020

30. Dezember 2019

Im Konjunkturaufschwung, der Anfang 2015 eingesetzt hat, sind in Österreich das reale Bruttoinlandsprodukt um 10 Prozent, der Export um 21 Prozent, die Industrieproduktion um 11 Prozent und die Ausrüstungsinvestitionen um 31 Prozent gestiegen. Die rege Produktions- und Investitionstätigkeit der Unternehmen zeigt auch, dass diese den Standort für sehr wettbewerbsfähig halten. Der Aufschwung war nicht nur außergewöhnlich investitions-, sondern auch sehr beschäftigungsintensiv: Seit 2015 sind mehr als 300.000 zusätzliche Jobs geschaffen worden, überwiegend in Vollzeit, die Zahl der Arbeitslosen sank um mehr als 50.000, und derzeit gibt es 70.000 offene Stellen, worin sich auch ein Mangel an Fachkräften spiegelt.

Doch seit dem Frühjahr 2019 befindet sich die heimische Wirtschaft im Abschwung, wobei sie vor allem von Deutschland nach unten gezogen wird: So sinkt die Industrieproduktion seit März 2019 (in Deutschland seit Juli 2018). Im Sommer und Herbst zeigte sich der Arbeitsmarkt dennoch überraschend widerstandsfähig gegenüber der Konjunktureintrübung: Die Beschäftigung stieg zuletzt im Vorjahresvergleich noch um etwa 40.000, und die Arbeitslosigkeit ging um 7.000 zurück. Erfreulicherweise veranlasst der Fachkräftemangel die Unternehmen, Arbeitskräfte zu halten, weil sie fürchten müssen, diese im nächsten Aufschwung nicht wieder zu bekommen.

Herausforderung 1: Jeden Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindern

Dennoch beobachten wir bereits einen Anstieg der Arbeitslosigkeit bei sozialen Gruppen, die es auf dem Arbeitsmarkt nicht so leicht haben: vor allem bei den Älteren, deren Arbeitsmarktchancen noch immer sehr schlecht sind, sobald sie mehrere Monate in Arbeitslosigkeit bleiben; zunehmend bei den Leiharbeitskräften, die als Erste die Industrierezession zu spüren bekommen, und mittlerweile auch bei der Kernbelegschaft der Industrie; bald bei jenen Gruppen, die keine oder nur wenig Arbeitsmarkterfahrung aufweisen, etwa Junge oder Asylberechtigte.

Die wichtigste Herausforderung für die Wirtschaftspolitik im Jahr 2020 ist es deshalb, jeden Anstieg der Zahl der Arbeitslosen zu verhindern. Die Erfahrung lehrt, dass Arbeitslosigkeit, wenn sie einmal entstanden ist, nur mehr schwierig und unter hohen Kosten zu verringern ist. Zudem liegt das Niveau der Arbeitslosigkeit am Beginn des derzeitigen Abschwungs bereits um 90.000 höher als zu Beginn der letzten Rezession 2008/09.

Unmittelbar gilt es, rasch mehr Geld für wirkungsvolle Arbeitsmarktpolitik bereitzustellen:

  • Personalausstattung und Einsatz der AMS-Vermittlung erhöhen, um die noch vorhandenen offenen Stellen rasch besetzen zu können;
  • Qualifizierungsgeld für gezielte Umschulung in Berufe mit Fachkräftemangel;
  • Kurzarbeitsprogramme in Kombination mit Qualifizierungsmaßnahmen vorbereiten;
  • Wiedereinführung gemeinnütziger Beschäftigungsprogramme für ältere Langzeitarbeitslose und Ausweitung auf andere bedürftige soziale Gruppen;
  • Arbeitsstiftungen für Branchen und Regionen vorbereiten, die von Konjunkturabschwung und Strukturwandel betroffen sind, vor allem in Zusammenhang mit den bevorstehenden Umbrüchen im automotiven Sektor;
  • Verbesserung der Jobchancen von Frauen, vor allem durch Qualifizierung, aber auch durch Ausbau von Kindergärten, Ganztagsschulen, ambulanter und stationärer Pflege.

Herausforderung 2: Klimakrise aktiv bekämpfen

Österreich ist in der Klimapolitik hinter andere EU-Länder zurückgefallen. Das soll und kann rasch geändert werden, Österreich kann eine Vorreiterrolle übernehmen. Möglichst viele öffentliche Investitionen gegen die Klimakrise müssen bereits in die Jahre 2020/21 vorgezogen werden. Dabei gilt es vor allem in vier Bereichen anzusetzen:

  • Wohnen und Betriebe: mehr Mittel für den sozialen und ökologisch ausgerichteten Wohnbau v. a. in den Ballungszentren, in denen die Bevölkerung wächst; thermische Sanierung und Erneuerung der Energiesysteme im privaten und öffentlichen Altbau. Sonderprogramm zur Förderung betrieblicher Investitionen in Energieeffizienz und thermische Sanierung;
  • Energiegewinnung und Energienetze: Ausbau erneuerbarer Energiequellen, wobei im Eigentum der öffentlichen Hand stehende Energieunternehmen hier eine Vorreiterrolle spielen können;
  • Verkehr: Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs; Ausbau kommunaler Radwegenetze inklusive des Anschlusses an den öffentlichen Verkehr; Ausbau der Infrastruktur für Elektromobilität;
  • Forschung: Neue Technologien sind unabdingbar, um den CO2-Ausstoß und den Ressourcenverbrauch zu verringern.

Diese Maßnahmen sollten auf nationaler, vor allem aber auch auf europäischer Ebene verfolgt werden. Die günstigen Rahmenbedingungen niedriger oder sogar negativer Zinssätze für Staatsanleihen erleichtern die Finanzierung der notwendigen Klimaoffensive massiv. Wenn sich der Staat heute Geld ausborgt, zahlt er in zehn Jahren sogar weniger zurück; gleichzeitig weisen Klimainvestitionen hohe gesellschaftliche, soziale und auch wirtschaftliche Renditen auf. Es wäre auch wirtschaftlich unvernünftig, nicht heute zu investieren.

Herausforderung 3: Armut und Überreichtum aktiv begegnen

Dem österreichischen Sozialstaat gelingt es im europäischen Vergleich besonders, das Armutsgefährdungsrisiko der Bevölkerung drastisch zu verringern (von 43 Prozent auf 14 Prozent). Dennoch gibt es verfestigte Armut vor allem bei Langzeitarbeitslosen, Ein-Eltern-Haushalten und MigrantInnen. 332.000 Kinder und Jugendliche sind armutsgefährdet. Bekämpfung von Armut ist immer notwendig, in einem reichen Land sollte sie ökonomisch eigentlich besonders leichtfallen. Der Vermögensbesitz ist in Österreich so stark konzentriert wie in kaum einem anderen Land der EU. Das oberste Prozent, die 38.000 reichsten Haushalte, besitzt mehr als 40 Prozent des gesamten Nettovermögens. Reichtum ist heute vor allem vererbt und nicht das Ergebnis von Arbeitsleistung.

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Finanzierung wohlstandsorientierter Wirtschaftspolitik war selten leichter

Arbeitslosigkeit bekämpfen, Klimakrise verhindern, Gerechtigkeit schaffen. Es gibt sehr viel zu tun, wie wir bereits im AK-Wohlstandsbericht detaillierter aufgezeigt haben. Da die finanziellen Mittel immer knapp sind, heißt Budgetpolitik, Prioritäten zu setzen. Doch selten war der finanzielle Spielraum im Staatshaushalt so groß wie heute:

  • Aufgrund der erfolgreichen Budgetpolitik der Jahre 2009–2015, der rasch sinkenden Zinsausgaben des Staates und des Konjunkturaufschwungs 2015–2018 besteht 2020 und auch in den Folgejahren ein budgetärer Spielraum von etwa 3 Mrd. Euro pro Jahr.
  • Wegen der europaweit enormen Investitionserfordernisse für die Bekämpfung der Klimakrise nimmt die Debatte um mehr Flexibilität bei den EU-Fiskalregeln zu. Eine goldene Investitionsregel würde erheblichen Spielraum für die Finanzierung langfristiger Infrastrukturinvestitionen schaffen.
  • Zwar ist das Vermögen bei wenigen Haushalten konzentriert. Doch selbst bei einem Freibetrag von 1 Mio. Euro bringt jeder Prozentpunkt einer Vermögenssteuer 3 bis 5 Mrd. Euro Staatseinnahmen pro Jahr.