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Die Frage, welche Art von Wohnungen von den geflüchteten Menschen benötigt wird, lässt sich nur annäherungsweise beantworten. Von den rund 40.000 bereits in Österreich im ersten Quartal 2022 registrierten Ukrainer:innen sind 37 Prozent zum Teil schulpflichtige Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren. Rund 80 Prozent der erwachsenen Personen sind Frauen. Da in der Ukraine ca. 75 Prozent der Familien nur ein Kind haben, ist von einem hohen Anteil an Frauen mit einem Kind unter den Geflüchteten auszugehen. Entsprechend ist mit einer besonderen Nachfrage nach Zwei- bis Drei-Zimmer-Wohnungen zu rechnen. Doch auch der Bedarf an Wohnungen für geflüchtete Frauen mit zwei Kindern bzw. auch größere Haushalte mit mehreren Kindern und etwa auch Großeltern und anderen Verwandten ist gegeben.
Konträr zur populistisch aufgeladenen Alltagsbeobachtung von teuren Autos mit ukrainischem Kennzeichen in der Wiener Innenstadt ist die wirtschaftliche Situation in der Ukraine um ein Vielfaches schlechter als in Österreich . In Österreich bieten Grundversorgung und später Sozialhilfe jenen, die nicht auf Anhieb ein Erwerbseinkommen – etwa aufgrund von Problemen bei der Anerkennung von Qualifikationen – durch einen Job lukrieren können, auch nur geringe finanzielle Mittel für die Wohnungssuche.
Wohnbauboom und Preisexplosion Die auf den ersten Blick gute Nachricht ist, dass gerade sehr viel gebaut wird. Derzeit wird für 2022 von bis zu 50.000 neuen Wohnungen österreichweit, davon 20.000 neuen Wohnungen in Wien, ausgegangen. Ein genauerer Blick auf den errichteten Neubau ist jedoch ernüchternd: Die neuen Wohnungen in Wien kosten mittlerweile rund 6.400 Euro pro Quadratmeter bei Kauf und 12 Euro/m² bei Anmietung. Gründe für die jährlich steigenden Preise und die Schwierigkeiten, gefördert zu bauen, liegen einerseits in den hohen Bodenkosten in der gesamten Stadt und in den zusätzlich aktuell rasant steigenden Baukosten. Andererseits tragen auch Anlageformen in Betongold und die stetig fortschreitende Finanzialisierung von Wohnraum zu spekulativen Preissteigerungen bei. Auch in bestehenden Wohnungen steigen die Mieten seit Jahren konstant. Gerade im Bereich der privat vermieteten Wohnungen, die in Wien ca. 33 Prozent des Bestands ausmachen, zeigen sich Mietpreissteigerungen von 53 Prozent zwischen 2008 und 2016. Besser sieht es in den geförderten Bereichen des Wohnungsmarktes aus, wo vor allem Gemeindewohnungen und ältere gemeinnützige Wohnungen leistbaren Wohnraum bieten. Jedoch finden gerade Menschen mit Fluchthintergrund oft keinen Zugang zu diesen grundsätzlich leistbaren Teilen des Wohnungsmarkts.
Zugangshürden am Wiener Wohnungsmarkt Geflüchtete Menschen aus Drittstaatenländern haben nur sehr schwer Zugang zu geförderten Wohnungen in Wien, da sie das Wiener Wohnticket als Zugangsschlüssel meist nicht erhalten können. Eine Grundvoraussetzung für das Wiener Wohnticket ist der durchgängige Hauptwohnsitz an einem Wiener Wohnort über zwei Jahre. Neu nach Wien Zugezogene sowie auch Menschen in sehr prekären Wohnsituationen mit häufigem Wohnortswechsel können die Kriterien nicht erfüllen und fallen aus dem System hinaus. Subsidiär Schutzberechtigte sind generell vom Zugang ausgenommen. Zusätzliche Hilfeleistungen, wie die soziale Schiene der Wohnungsvergabe bei Wiener Wohnen oder die Wohnbeihilfe, erfordern einen fünfjährigen Mindestaufenthalt in Wien. Es ergibt sich eine fast ausschließliche Angewiesenheit von geflüchteten Menschen auf den privaten Mietwohnungsmarkt, an dem allerdings die Mieten und Preise hoch sind und Diskriminierungen durch Vermieter:innen die Wohnungssuche erschweren. Rassistische Diskriminierung aufgrund von Sprache, Religion, Aussehen und Herkunft sowie Vorurteile gegenüber einer vermeintlichen Zahlungsunfähigkeit und eines vermeintlich unsicheren Aufenthaltsstatus sind hier häufige Gründe, warum eine Wohnung nicht angemietet werden kann.
Ergebnis sind oft hochprekäre und schwierige Wohnsituationen , in denen sich geflüchtete Menschen in Wien wiederfinden. Dies reicht von rechtlich unsicherer Untermiete und Abhängigkeitsverhältnissen, über schlechte Qualität der Wohnungen bis hin zu starkem Überbelag.
Geflüchtete Ukrainer:innen in privaten Unterkünften In der aktuellen Fluchtbewegung aus der Ukraine wurde der Wohnbedarf der ersten ankommenden Ukrainer:innen im März und April zu allergrößten Teilen durch private Wohnraumspenden absorbiert. Neben einer Bundesagentur sind vor allem diverse NGOs in der Vermittlung zwischen Menschen, die Wohnraum zur Verfügung stellen, und Wohnungssuchenden aktiv. Während dies einerseits eine große Hilfsbereitschaft vieler Wiener:innen zeigt, birgt die private Unterbringung auch einige Gefahren für die Menschen auf der Flucht. Leicht können in dieser vulnerablen Situation Menschen für unbezahlte Arbeit ausgenutzt werden, in sonstige Abhängigkeitsverhältnisse gedrängt werden und in die Gefahr von Menschenhandel geraten. Auch Fälle aus der Wohnrechtsberatung der AK zeigen, dass Spender:innen aus nachvollziehbaren Gründen leicht kündbare Prekariatsverträge anstreben, die jedoch für die Bewohner:innen mit großer Unsicherheit und Planungsungewissheit verbunden bleiben. Die Unterbringung in privat als Spende zur Verfügung gestelltem Wohnraum ist keine Dauerlösung für Geflüchtete. Es braucht leistbaren und zugänglichen Wohnraum, der eine dauerhafte Wohnversorgung ermöglicht.
Wie die Wohnversorgung auf längere Sicht gelingen kann
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Der derzeitige Wohnbauboom muss besser gelenkt werden. Gerade gewerbliche Bauträger müssen mehr in die soziale Verpflichtung genommen werden. Eine Abschöpfung von Umwidmungsgewinnen oder eine Verpflichtung zur Schaffung von sozial gebundenen Wohnungen im Neubau oder Dachgeschossausbau über städtebauliche Verträge sind hier wichtige Ansatzpunkte. Preissteigerungen muss auch im bestehenden Wohnraum entgegengewirkt werden. Ganz zentral ist hier die weitgehende Abschaffung von befristeten Verträgen als Preistreiber bei den Mieten. Weiters wäre vor allem eine effektive Leerstandsabgabe ein wichtiger Schritt um un- oder untergenutzten Wohnraum für den dringenden Bedarf zu mobilisieren. Dazu braucht es eine entsprechende Kompetenzerteilung vom Bund und die konsequente Umsetzung durch die Stadt Wien. Im geförderten Bereich würde eine neue Wohnbauoffensive des Wohnfonds Wien dringend nötigen leistbaren und langfristig sozial gebundenen Wohnraum sichern. Wichtig ist allerdings auch, den Zugang zu gefördertem Wohnbau zu erleichtern. Vor allem die Voraussetzung der zweijährigen durchgehenden Meldung an einer Wiener Adresse müsste entfallen. Um schnell und effektiv auf hochprekäre Wohn- und Lebenssituationen von Menschen reagieren zu können, sollen zusätzlich Möglichkeiten eines zentralen sozialen Wohnungspools ausgelotet werden. Günstige Wohnungen aus dem geförderten, aber auch privaten Bereich könnten hier rasch und zielgenau an Menschen in herausfordernden Lebenslagen vergeben werden. Diese Maßnahmen leisten nicht nur einen wichtigen Beitrag für die langfristige Inklusion von Geflüchteten aus der Ukraine und anderen Ländern, sondern tragen auch zur generellen Leistbarkeit und Zugänglichkeit der Wohnversorgung bei.
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