Kürzungen der Sozialstaatsbeiträge kosten uns Milliarden Euro

15. Mai 2023

Die Sozialstaatsbeiträge, oftmals unter dem banalen Begriff „Lohnnebenkosten“ subsumiert, spielen für den österreichischen Sozialstaat und damit für uns alle, die wir vom Sozialstaat profitieren, eine bedeutende Rolle. Denn diese finanzieren das ausgebaute und robuste österreichische Sozialsystem, auf das sich die Bevölkerung vor allem auch in den schwerwiegenden Krisen der letzten Jahren (Finanzkrise, Covid-19 Pandemie, Teuerung) verlassen konnte. Dennoch werden vor allem von Wirtschaftstreibenden nicht die Vorteile für die Gesellschaft und damit auch den Standort gesehen, sondern die Kosten, die die Arbeitgeber für ihre Arbeitnehmer:innen – als Teil des Arbeitnehmerentgeltes – an den Sozialstaat abführen.

1,7 Milliarden Euro Einnahmenentfall pro Jahr!

Es kommt laufend zu Forderungen nach (weiteren) Kürzungen dieser Sozialstaatsbeiträge. Dabei wurden in den letzten Jahren wichtige Finanzierungsquellen bereits mehrfach gekürzt. Was sich die Arbeitgeber an Kosten sparen, kommt allerdings nicht bei den Arbeitnehmer:innen als höheres Nettogehalt an, fehlt aber gleichzeitig dem Staat oder der Sozialversicherung zur Finanzierung wichtiger Sozialleistungen. Kumuliert summieren sich die Einnahmenausfälle – wenn man die Kürzungen seit 2016 heranzieht  –  auf insgesamt 7,3 Milliarden Euro (inkl. 2023). Pro Jahr kommen somit Mindereinnahmen von im Schnitt 1,67 Milliarden Euro zustande.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Kürzungen der FLAF-Beiträge

Bis zum Jahr 2016 lag der Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) auf 4,5 % der Lohnsumme. 2016 wurde dieser Beitrag um 0,4 Prozentpunkte auf 4,1 % gekürzt, 2022 im Zuge der Inflationsentlastungspakete folgte eine weitere Kürzung um 0,2 Prozentpunkte. So beläuft sich der Dienstgeberbeitrag seit 1.1.2023 nun nur noch auf 3,7 %. Der gesamte Einnahmenausfall entspricht damit über 2,1 Milliarden Euro (inkl. 2023). Fehlende Mittel im FLAF werden durch Bundesmittel (sprich Steuern, die zu über 80 % aus Arbeitnehmer:innen- und Konsument:innenbeiträgen bestehen) bezuschusst. Die Kostenlast wird also indirekt von den Arbeitgebern auf die Arbeitnehmer:innen überwälzt. Aus dem FLAF werden zahlreiche wichtige Familienleistungen wie z.B. Familienbeihilfe, Kinderbetreuungsgeld, Schülerfreifahrten, Schulbuchaktion etc., finanziert. Die Mittel, die aus dem Budget bereitgestellt werden müssen, fehlen dann in anderen Bereichen und können dort zu Kürzungen führen.

Senkungen der Unfallversicherungsbeiträge

Die soziale Unfallversicherung löst die Unternehmerhaftpflicht ab. Während notwendige Leistungsverbesserungen seit Jahren nicht umgesetzt werden, wurde der Beitragssatz in der Unfallversicherung in den letzten Jahren bereits mehrere Male gekürzt. Arbeitgeber zahlten bis zum Jahr 2014 noch 1,4 % der Beitragsgrundlage (von der Lohnsumme) an Unfallversicherungsbeiträgen. Auch hier wurden sukzessive Kürzungen beschlossen. 2014 wurde der Beitrag von 1,4 % auf 1,3 % gekürzt, 2019 ein weiteres Mal auf 1,2 % und im Zuge der Inflationsentlastungspakete gab es 2022 eine weitere Kürzung, so dass der Unfallversicherungsbeitrag aktuell bei nur mehr 1,1 % steht.

Ein Teil der Beitragssatzkürzung von 2019 wurde zu Lasten der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) querfinanziert. Der sogenannte „Besondere Pauschbetrag“, der eine pauschale Abgeltung für die Behandlung von Arbeitsunfällen in nicht UKH-Spitälern regelt, wurde ab 2019 nicht mehr valorisiert und für die Jahre 2023 und folgende neu geregelt. Die Mehrbelastung der ÖGK der letzten Jahre (inkl. Prognose bis 2025) beläuft sich damit auf fast 400 Millionen Euro.

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Fehlende Mittel gefährden Leistungen der Unfallversicherung

Dabei wären die Mittel für den Ausbau von Leistungen dringend notwendig: etwa die Erweiterung der Berufskrankheitenliste beispielsweise um Long COVID für alle, die sich im beruflichen Kontext angesteckt haben. Damit verbunden wäre auch eine Erweiterung präventiver Angebote. Dies sollte eigentlich auch im Interesse der Arbeitgeber:innen sein, da von Berufskrankheiten bedrohte Versicherte von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) vorbeugend betreut und Präventionsaktivitäten in den Unternehmen verstärkt werden. Ein fehlender Ausbau der Leistungen geht aber insbesondere zu Lasten der betroffenen Erkrankten, da die Unfallversicherung umfangreichere Leistungen und Rentenzahlungen gewährt als dies in der Krankenversicherung so der Fall wäre. Und es geht zu Lasten der Krankenversicherungsgemeinschaft, die durch die Arbeit verursachte Erkrankungen „querfinanzieren“ muss, da sie ohne Anerkennung als Arbeitsunfall oder Berufskrankheit die zuständige Versicherungssparte ist.

Nun ist fraglich, ob nach der abermaligen Kürzung die laufenden Leistungen weiterhin gedeckt werden können. Bei etwaigen Kürzungen, insbesondere im präventiven Bereich, steigt die Gefahr für Arbeitsunfälle und auch für Berufskrankheiten. Dies hat sowohl für Beschäftigte als auch für die Arbeitgeber fatale Folgen. Gleichzeitig profitieren von einer Kürzung hauptsächlich große, personalstarke Unternehmen, Klein- und Mittelbetriebe haben nur minimale finanzielle Vorteile, während der etwaige Schaden durch Leistungskürzungen beachtlich sein könnte.

Je weiter der UV-Beitrag im historischen Vergleich gekürzt wird, umso stärker fällt die Rechtfertigung für das Haftungsprivileg weg! Das schadet insbesondere den Arbeitgeber:innen von Betrieben mit höheren Unfallrisiken (etwa Baubranche oder in der Produktion).

Kürzung der IESG – Beiträge

Der Insolvenzentgeltsicherungszuschlag, aus dem beispielsweise Gehälter von Arbeitnehmer:innen insolventer Unternehmen finanziert werden, lag 2007 noch bei 0,7 %. Nach zahlreichen Kürzungen liegt er seit 2022 bei 0,1 %. Seit 2020 sind laut Einzelsteuerliste der Statistik Austria beträchtlich niedrigere Einnahmen zu verzeichnen. Nahm der Staat vor 2020 etwa 350 – 400 Millionen Euro jährlich damit ein, so sanken die Einnahmen seit der Kürzung des Beitrags ab dem Jahr 2020 um etwa 40 % auf etwa 230 Millionen Euro im Jahr.

Statt weniger braucht es mehr Sozialstaat!

Der österreichische Wohlfahrtsstaat basiert maßgeblich auf dem umfassenden Sozialsystem, dass das Vermögen der Vielen darstellt. In allen Lebenslagen und unabhängig von sozialer oder wirtschaftlicher Situation des Einzelnen, kann man sich auf ihn verlassen. Wer die Finanzierungsbasis laufend kürzen möchte, hat damit ein Ziel: das Aushöhlen des österreichischen Sozialstaates. Die Kosten werden dann sukzessive dem Einzelnen aufgebürdet. Wir stehen mitten in großen gesellschaftlichen Umbrüchen, sei es durch die Klimakrise, die Digitalisierung und die demografische Entwicklung. Wollen wir verhindern, dass soziale Risiken immer mehr individualisiert werden, muss unser Sozialstatt auch in der Zukunft funktionieren. Um dieses Funktionieren des Sozialstaates gewährleisten zu können, brauchen wir alle aber mehr Finanzierung statt weniger.