Krise in den Krankenhäusern: Auch die Personalberechnung ist das Problem

20. Juli 2022

2018 hat die Arbeiterkammer Oberösterreich einen ersten Befund zu den Arbeitsbedingungen in den oberösterreichischen Krankenhäusern präsentiert. Unter den damaligen Bedingungen empfanden die Beschäftigten die Arbeit im Krankenhaus als belastend. Ein Grund dafür: fehlende zeitgemäße Personalberechnungsmodelle, die auch den heutigen Anforderungen gerecht werden. Vier Jahre und mehrere Covid-19-Wellen später zeigt eine Analyse: Die bisher gesetzten Maßnahmen greifen zu kurz, es braucht umgehend Sofortmaßnahmen und langfristige Strategien.

Seit über zwei Jahren: Beschäftigte in Krankenhäusern im Ausnahmezustand

Österreichs Krankenhäuser sind weiterhin ein großer und wichtiger Arbeitgeber. In den 109 österreichischen Krankenhäusern arbeiten – neben Ärztinnen und Ärzten – knapp 83.000 Menschen (entspricht rund 65.700 Vollzeitstellen) direkt in der Pflege, als Hebammen, in medizinisch-technischen und medizinischen Assistenzberufen sowie in weiteren Gesundheitsberufen. Mehr als 80 Prozent sind Frauen, etwa die Hälfte der Beschäftigten arbeitet in Teilzeit. Sie leisten tagtäglich einen unverzichtbaren Beitrag für die Gesellschaft, sind aber häufig belastenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Spätestens in den letzten beiden Jahren wurde deutlich, Beschäftigte in den Krankenhäusern sind Leistungsträger/-innen und Systemerhalter/-innen. Noch nie vorher sind Krankenhäuser so im medialen Fokus gestanden. Laufende neue Vorgaben und neue Abläufe haben den Arbeitsalltag stark geprägt. Die Diskussion, unter welchen Bedingungen und mit welchen Personalvorgaben die Beschäftigten arbeiten, ist dabei lange nicht geführt worden. Arbeitnehmerinteressenvertretungen zeigen einen akuten Handlungsbedarf auf, wie zuletzt in österreichweiten Aktionen am 12. Mai. Am selben Tag wurde auch ein Maßnahmenpaket zur Pflegereform präsentiert. Echte Verbesserungen der Arbeitsbedingungen wurden angekündigt. Die Umsetzung fehlt bisher in weiten Teilen. Forderungen wie „Mehr Zeit für die Pflege“ wurden bisher noch nicht in Aktivitäten übergeleitet. Überlegungen zu einer zeitgemäßen, verbindlichen und transparenten Personalberechnung fehlen nach wie vor.

Bettensperren – Lösung oder Warnsignal?

Versorgungskapazitäten in den österreichischen Krankenhäusern werden in nationalen und regionalen Strukturplänen festgelegt. Seit einigen Jahren werden in der stationären Langzeitpflege bei Personalmangel Betten gesperrt, in Krankenhäusern erfolgt dieser Schritt kaum. Unter dem Vorwand der Patientenorientierung werden Abteilungen und Bereiche neu gestaltet, Betten reserviert und sonstige kreative Lösungen geschaffen, ohne Betten konkret zu sperren. Selbst wenn Betten gesperrt werden, werden nicht automatisch auch Leistungen reduziert. Die Zusatzbelastung durch Covid-19 hat die (Personal-)Situation derart verschärft, dass mittlerweile einzelne Bundesländer und Träger, wie zuletzt die Steiermark und auch Oberösterreich, einzelne Betten sperren. Die offiziellen Argumente sind unterschiedlich, nur ungern wird eine zu knappe Personalbesetzung als Ursache angeführt. Eine unlängst durchgeführte Umfrage zeigt, bei der aktuellen Sommerwelle schließen einige Bundesländer erneute Covid-bedingte Leistungskürzungen nicht mehr aus. Jahrelang wurden Ausfallszeiten wie Krankenstände zu wenig in den Dienstpostenplanungen berücksichtigt. Die aktuelle Welle, teils verbunden mit vielen Krankenständen der Beschäftigten, verschärft die Situation. Eine erste Analyse zeigt, Covid-19 war nicht die Ursache der kritischen Personalsituation, hat jedoch die Entwicklungen beschleunigt.

Politische Rettungsversuche

Auf politischer Ebene werden unter dem großen Druck vieler Träger immer wieder neue Wege beschritten, um die Personalsituation zu entschärfen. So wurde mit 1. Juli das Berufsbild der „Operationstechnischen Assistenz“ geschaffen, um die Situation im Operationsbereich nachhaltig zu verbessern. Im Rahmen der GuKG-Novelle 2022 (Gesundheits- und Krankenpflegegesetz) werden Kompetenzen auf die Pflegeassistenzberufe übertragen und Pflegeassistenten/-innen sollen ohne Abwarten der Evaluierung der GuKG-Novelle 2016 unbefristet auch weiterhin im Krankenhaus eingesetzt werden. Ob diese Maßnahmen eine echte Entlastung und vor allem auch eine Attraktivierung der Pflege mit sich bringen, bleibt abzuwarten. Gerade vonseiten der Arbeitnehmervertretung wird im Rahmen der Begutachtung des GuKG 2022 eingebracht, dass eine zunehmende Ökonomisierung im Gesundheitsbereich mit Verschiebung der Kompetenzen auf Assistenzberufe sichtbar wird. Im Rahmen der aktuellen Reformvorhaben im GuKG werden sämtliche Warnhinweise, dass eine zunehmende Ökonomisierung die Versorgungsqualität gefährdet, bis dato ignoriert.

Beschäftigte massiv belastet

Veraltete Berechnungsvorgaben verstärkt durch die Pandemie belasten die Beschäftigten aller Berufsgruppen im Krankenhaus. 54,8 Prozent der Pfleger/-innen fühlen sich durch psychisch aufreibende Arbeit (sehr) stark belastet. 38 Prozent der Pfleger/-innen beschreiben eine (sehr) starke Belastung durch ständigen Arbeitsdruck, ohne Zeit zu verschnaufen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Ständiges Einspringen und fehlende Dienstplanstabilität erschweren den Arbeitsalltag. Die Folge sind häufig hohe Zeitguthaben, die nicht dem Erholungszweck dienen. Die ständige Überlastung zeigt negative Auswirkungen. Vier von zehn Befragten (42,4 Prozent) denken mindestens einmal pro Monat an einen Berufsausstieg. 57,6 Prozent der befragten Pfleger/-innen glauben nicht, dass sie bis zur Pension arbeiten können (alle Branchen: 38,6 Prozent).

Umfassende Verbesserungen fehlen

Die Zahlen zur Belastung der Beschäftigten sind alarmierend, der Ruf nach schneller und spürbarer Entlastung wird immer lauter. Echte und vor allem umfassende Reformen für eine österreichweite Entlastung der Beschäftigten aller Berufsgruppen im Krankenhaus fehlen nach wie vor. Zum Beispiel wurden in Oberösterreich Maßnahmen zur Entlastung der Kollegen/-innen angekündigt, inwieweit diese eine spürbare Verbesserung bringen, bleibt aus heutiger Sicht offen. Verbindliche Berechnungskriterien zur Personalberechnung fehlen nach wie vor bzw. sind schon lange nicht mehr zeitgemäß. Im Bericht der Taskforce Pflege wurden verbindliche Personalberechnungsmodelle empfohlen, die Umsetzung fehlt bisher. Am 12. Mai wurde eine Entlastungswoche für Pfleger/-innen ab 43 Lebensjahren sowie ein Nachtarbeits-Zeitguthaben für alle Pfleger/-innen angekündigt, die nötige gesetzliche Umsetzung fehlt bisher.

Zeit für zeitgemäße Personalberechnungen

Deutlich wird: Die Beschäftigten in den Krankenhäusern brauchen mehr als kurzfristige Symptomlinderungen. Die Zahlen sind bekannt. Bis 2030 werden in Österreich 76.000 Kollegen/-innen in der Pflege benötigt, mehr Beschäftigte für eine echte Entlastung der Pflege sind hier noch nicht berücksichtigt. Als Sofortmaßnahme braucht es eine flächendeckende Entlastung durch den Ausbau von Unterstützungskräften in allen Bereichen wie z. B. Abteilungshilfen, Stationssekretariate etc. Vorbereitungen zur Personalsituation für einen kommenden Covid-Herbst sollten mittlerweile überall begonnen haben. Um langfristig die Arbeit im Krankenhaus attraktiver zu gestalten, sind umfangreiche Reformen nötig. Eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen bedeutet langfristig auch eine Reduktion der Vollzeitarbeitszeit. „Mehr Zeit für Pflege, Betreuung und Therapie“ bedeutet auch: Es ist an der Zeit für neue verbindliche und transparente Personalberechnungen für alle Berufsgruppen im Krankenhaus.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Konkrete Vorhaben dazu fehlen in Österreich derzeit. Während für die stationäre Langzeitpflege eine Machbarkeitsstudie geplant ist, geht Deutschland einen Schritt weiter und macht mit der PPR 2.0 eine Personalregelung für Krankenhäuser verbindlich. Die entsprechende Gesetzesvorlage soll im Herbst erarbeitet werden. In Österreich sind Bund und Länder gefordert, neben einer echten Ausbildungsoffensive gemeinsam verbindliche Modelle für alle Bereiche im Krankenhaus zu erarbeiten und so rasch wie möglich umzusetzen.

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