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Emotionale Belastung wird häufig durch den Eindruck verursacht, nicht genug Zeit für die angemessene Erfüllung von Aufgaben gemäß dem eigenen professionellen Verständnis zu haben. Autonome Arbeitsgestaltung könnte zu mehr Zufriedenheit beitragen, jedoch sind österreichische Pflegeeinrichtungen oft sehr hierarchisch und durch eng getaktete Zeitpläne geprägt. Darüber hinaus fühlen sich die MitarbeiterInnen oft gestresst, weil sie aufgrund von Zeitdruck die Pflege nicht an individuelle Bedürfnisse anpassen können. Hinzu kommt, dass die Ausbildung oft nicht auf den Umgang mit schwierigen Situationen vorbereitet. Auch sind die Pflegekräfte teilweise von körperlicher oder verbaler Gewalt durch demente oder sich unwohl fühlende BewohnerInnen betroffen, wobei beides zu langfristigen psychische Folgen führen kann.
Insgesamt ist die Beziehung zwischen Personal und BewohnerInnen ein wichtiger Einflussfaktor für die emotionale Gesundheit beider Gruppen. Während sich eine gute Beziehung positiv auf das Wohlbefinden auswirkt, können schlechte Beziehungen sehr belastend sein.
Jedoch ist die Möglichkeit des Aufbaus einer positiven Bindung stark durch den Zeitmangel beeinträchtigt. Auch werden Pflegeeinrichtungen aufgrund der alternden Bevölkerung zunehmend von BewohnerInnen in Anspruch genommen, die bei ihrer Ankunft nur noch wenig Zeit zu leben haben. Dadurch leiden Pflegekräfte häufiger unter dem Tod von BewohnerInnen und es müssen öfter neue Beziehungen aufgebaut werden. Fehlt eine positive Beziehung, sehen sich Pflegekräfte häufig gezwungen, gegen den Widerstand der BewohnerInnen zu arbeiten. Das ist nicht nur zeitaufwändiger, sondern auch eine emotionale Belastung. Auch merken die BewohnerInnen, wenn in einer Einrichtung keine gute Stimmung herrscht.
Personenzentrierter Ansatz Viele österreichische Einrichtungen versuchen, einen personenzentrierten Ansatz in der Pflege zu verfolgen. Das bedeutet, die Pflege entsprechend dem individuellen Hintergrund zu gestalten und die Pflegebedürftigen in Pflegeentscheidungen einzubeziehen. Während die Umsetzung in einigen österreichischen Einrichtungen noch lückenhaft ist, wird dieser Ansatz in anderen europäischen Ländern bereits erfolgreicher umgesetzt. So setzt Schweden beispielsweise auf kleinere Gruppengrößen und langfristig angesetzte Pflegepläne unter Einbezug persönlicher Präferenzen.
In den meisten österreichischen Einrichtungen werden soziale Aktivitäten angeboten, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Der Spielraum zur Anpassung der Angebote an individuelle Interessen ist aufgrund des Zeitmangels begrenzt. Das schränkt auch die Möglichkeit des Personals ein, sich um die emotionale Gesundheit der BewohnerInnen zu kümmern, da den damit verbundenen Aufgaben eine geringere Priorität zukommt. Die emotionale und soziale Betreuung wird in der Pflegegeldeinstufung nicht als Teil des Leistungsspektrums angesehen, weshalb keine Ressourcen dafür eingeplant sind. Ehrenamtliche, die oft soziale Interaktion mit BewohnerInnen anbieten, können dieses Defizit nicht ausgleichen. Obwohl die Personalsituation in Deutschland weitgehend mit der in Österreich vergleichbar ist, ist dort zusätzliches Personal für soziale Aktivitäten vorgesehen.
Hintergrund: die Personalsituation in Österreich In Österreich variiert die erforderliche Mindestpersonalausstattung je nach Bundesland und orientiert sich häufig an der Pflegegeldeinstufung der BewohnerInnen. Diese Personalschlüssel werden oft als veraltet und zu niedrig kritisiert . Außerdem gibt es zwar Vorschriften über das Mindestmaß an Ausbildung für den Beruf und die benötigte Anzahl an Fachkräften, jedoch ist die Rekrutierung qualifizierter Pflegekräfte erschwert durch unzureichend empfundene Löhne und die gefühlte mangelnde soziale Anerkennung des Berufs. Auch kann Gewinnorientierung dazu führen, dass Personalkosten durch das Einstellen von gering qualifiziertem Personal mit niedrigeren Löhnen gespart werden. Veränderungen in der Langzeitpflege , wie pflegebedürftigere BewohnerInnen sowie mehr Verwaltungsaufgaben, tragen weiter zur Unterbesetzung und dem damit verbundenen Zeitmangel bei der Arbeit bei.
Bedürfnisse der BewohnerInnen gedeckt? Trotz knapper Strukturen und durch das Engagement der Beschäftigten sind Langzeitpflegeeinrichtungen in Österreich weitgehend in der Lage, die körperlichen Grundbedürfnisse der BewohnerInnen, wie Ernährung oder Körperpflege, zu decken. Einrichtungen, die die Pflegequalität gefährden, sind – aktuell (noch) – die Ausnahme, jedoch gibt es große Qualitätsunterschiede. Schwieriger wird die Situation allerdings z. B. bei der Betreuung von Menschen mit Demenz . Die Personalvorgaben sind nicht an die steigende Zahl von Menschen mit Demenz angepasst. Gerade sie bräuchten oft eine flexible Handhabung ihrer täglichen Versorgung, da ihr biologischer Rhythmus nicht mit den strengen Zeitplänen in der stationären Langzeitpflege übereinstimmt. Generell ist Zeit für Beziehungsarbeit derzeit Mangelware. Auch wenn körperliche Bedürfnisse gedeckt werden, leidet häufig die Betreuungsqualität . Es ist daher an der Zeit, den Pflegebegriff für die Langzeitpflege neu zu definieren.
Rolle von medizinischen Einrichtungen und Krankenhäusern Bei der adäquaten medizinischen Versorgung der BewohnerInnen im Krankheitsfall führt die Zusammenarbeit mit medizinischen Einrichtungen und Krankenhäusern zu Problemen. Krankenhausverlegungen der BewohnerInnen sollten vermieden werden, da es in Krankenhäusern wenig Möglichkeiten gibt, auf die psychosozialen oder individuellen Bedürfnisse der BewohnerInnen einzugehen. Mehr qualifiziertes Personal sowie eine bessere Ausstattung der Einrichtungen könnte zu einer Verringerung der Krankenhausüberweisungen beitragen. Krankenhausverlegungen aufgrund fehlender Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme kann durch hausinterne ÄrztInnen mit klarer Entscheidungskompetenz vorgebeugt werden. Diese werden aktuell jedoch noch nicht flächendeckend in Österreich eingesetzt. Außerdem gibt es in den Einrichtungen wenig FachärztInnen, und die BewohnerInnen suchen diese nur selten auf. Auch bei psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten herrscht ein Defizit. In den Einrichtungen werden pharmakologische Interventionen oft als zeitsparendere Maßnahme zur Behandlung psychischer oder emotionaler Symptome wie Aggression, Traurigkeit oder Unruhe eingesetzt.
Gesundheitsprävention – ein Ausweg aus der Misere? Um den belastenden Arbeitsbedingungen entgegenzuwirken, bieten viele Einrichtungen Gesundheitsprävention für das Personal an. Dabei wird jedoch häufig auf der Verhaltensebene angesetzt, etwa durch Fitnessangebote oder Anreize zur gesunden Ernährung. Einige Einrichtungen bieten auch gesundheitliche Schulungen für das Personal an, die jedoch aufgrund von Zeitmangel oft nicht wahrgenommen werden. An Gesundheitsprävention auf struktureller Ebene mangelt es hingegen in den meisten Einrichtungen. Gesundheitsprävention für BewohnerInnen bedarf einer besonderen Definition, die an den Langzeitpflegebedarf angepasst ist. Sie kann als Bestreben verstanden werden, den verbleibenden Gesundheitszustand zu erhalten und das Wohlbefinden zu fördern. Allerdings werden in den Einrichtungen Maßnahmen dafür nur lückenhaft umgesetzt. Um Zeit zu sparen, übernimmt das Personal oft die Aufgaben, welche die BewohnerInnen noch selbst durchführen könnten. Werden diese Fähigkeiten jedoch nicht geübt, gehen sie schnell verloren. Auch führt die Wahrnehmung von Langzeitpflegeeinrichtungen als letzte Lösung nach Erschöpfung anderer Möglichkeiten zu dem Problem, dass BewohnerInnen aus medizinischer Sicht oft zu spät in eine Einrichtung ziehen. Im Gegensatz zu Schweden sind eine Unterstützung bei der Altersplanung oder regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen für ältere Menschen in Österreich nicht vorgesehen, wodurch gesundheitliche Probleme, die mit dem Alter einhergehen, oft unentdeckt bleiben.
Pflegereform als echte Verbesserung? In Österreich wurden in den letzten Jahrzehnten immer wieder Reformprozesse gestartet, um die prekäre Situation der (Langzeit)pflege zu verbessern und vor allem auch mehr Beschäftigte für dieses Berufsfeld zu gewinnen. Echte und große Reformbausteine fehlten bisher. Unter Pflegeminister Anschober wurde ein Beteiligungsprozess gestartet und in einem umfangreichen Bericht der Taskforce Pflege zusammengefasst. Auch unter den Einwirkungen der Covid-Pandemie wurde auf konkrete Umsetzungsschritte vergeblich gewartet. Am 12. Mai präsentierte – für viele überraschend – Sozialminister Rauch erste Schritte eine r Pflegereform . 20 unterschiedliche Maßnahmen sollen die Arbeit in Pflegeberufen attraktiver machen und auch Entlastungen für pflegende Angehörige bringen.
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Anfang Juni wurden vier Gesetzesvorlagen in eine dreiwöchige Begutachtung geschickt. Als erste Schritte der Umsetzung erfolgen demnach eine Novelle des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes, ein erhöhter Demenzzuschlag im Pflegegeld, Ausbildungsprämien und Einkommensboni für Pflegeberufe. Die Umsetzung der weiteren Maßnahmen soll zügig innerhalb der nächsten beiden Jahre erfolgen. Insgesamt soll eine Milliarde Euro in die Pflege investiert werden. Vorgesehen zur Attraktivierung der Pflege ist dabei unter anderem eine Entlastungswoche für PflegerInnen, die Anerkennung der Nachtschwerarbeit, erleichterte Zugänge für ausländische PflegerInnen , die Einführung einer Pflegelehre und die Überführung der Pflegeausbildung auch in das Regelschulwesen.
Pflege wird endlich zum Thema Reichen diese Maßnahmen aus, um mehr Personen für die Pflege zu begeistern und die Lebens- und Arbeitsqualität nachhaltig zu verbessern? Eine erste Einschätzung der Reformvorhaben und aktuellen Gesetzesentwürfe zeigt: Pflege wird endlich zum Thema. Kostenlose Ausbildung, Ausbildungsgeld und Pflegestipendium tragen dazu bei, dass mehr Menschen diese Berufe ergreifen können. Wie konkret die Pflegelehre umgesetzt wird und wie erfolgreich und sinnvoll das Modell ist, bleibt noch abzuwarten.
Gehaltsboni zeigen eine erste Wertschätzung für KollegInnen in der Pflege, sind aber gerade erst der Beginn einer nachhaltigen Verbesserung der Einkommen, die sich auch am Pensionskonto niederschlagen müssen. Die Erhöhung des Demenzzuschlages ist ein klares Bekenntnis, dass die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz mehr Zeit braucht. Eine Entlastungswoche und Nachtgutstunden sind wichtig als Sofortmaßnahme, aber bei Weitem nicht ausreichend, um die Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern.
Der Bund versucht, viele Aktivitäten voranzutreiben, die in seinem Kompetenzbereich liegen, auf lange Sicht wird es gemeinsame Aktivitäten mit den Ländern brauchen, um die Qualität in der Langzeitpflege nachhaltig zu verbessern. Neue Personalberechnungsmodelle, die mehr Zeit für Pflege schaffen und zugleich einen sinnvollen Kompetenzmix aufzeigen, müssen so schnell wie möglich in Angriff genommen werden. Eine Machbarkeitsstudie könnte hier ein positiver erster Schritt sein. Die ersten Signale sind gesetzt. Was jetzt noch fehlt, sind konkrete Maßnahmen, die unter Einbeziehung von PraktikerInnen und Interessenvertretungen gemeinsam mit allen politischen Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden erarbeitet und vor allem rasch umgesetzt werden. Im Bericht der Taskforce Pflege wurden 17 Ziele und 64 Maßnahmen definiert. Viele davon erscheinen als sinnvoll. Damit die angekündigte Pflegereform die größte Reform aller Zeiten wird, ist noch viel zu tun.
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