Personalberechnung in Alten- und Pflegeheimen: "warm, satt, sauber" oder "zukunftsfit"?

16. Februar 2022

Österreichs Alten- und Pflegeheime sind derzeit oft in den Schlagzeilen, Hauptthemen dabei sind Covid-Zahlen, Bettensperren oder Besuchseinschränkungen. Die tagtäglichen Leistungen der Beschäftigten werden genauso wenig hervorgehoben wie die veralteten Rahmenbedingungen, die die Arbeit erschweren und letztendlich auch eine Auswirkung auf die Lebensqualität haben. Wer pflegt und betreut und vor allem, wie viel Zeit dafür zur Verfügung steht, hängt immer noch von der Postleitzahl des Heimes ab. Personalberechnungen, die die enormen Leistungen in der Langzeitpflege abbilden, fehlen nach wie vor.

Heime als Lebens- und Arbeitsorte

Rund 77.000 Plätze in knapp 900 Einrichtungen der stationären Langzeitpflege stehen österreichweit zur Verfügung. Für 95.263 Menschen (rund 20 Prozent der Pflegegeldbezieher/-innen) wurde das Heim zum Lebensort. 2020 arbeiteten 43.221 Menschen (36.558 Personaleinheiten) direkt in der Betreuung und Pflege. Sie leisten wertvolle Arbeit und das 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Nicht selten stoßen sie aber an persönliche Grenzen bzw. zahlen einen hohen Preis – ihre eigene Gesundheit.

Beschäftigte arbeiten am Limit

„Wir laufen einen Marathon mit dem Tempo eines Sprints“ (Fachsozialbetreuer, OÖ), bei den Belastungen belegen Menschen in der Pflege negative Spitzenplätze. Laufende Be- und Überlastung, verbunden mit fehlender Anerkennung durch die Politik, führen dazu, dass immer mehr Menschen daran denken, ihren Beruf zu verlassen. 65 Prozent der Pflegebeschäftigten halten es für unwahrscheinlich, den Beruf bis zur Pension auszuüben. Die Handlungsfelder sind seit langem bekannt. Umfangreiche Erhebungen am Arbeitsplatz zeigen auf, das Menschschein ist zum Nebenschauplatz am Arbeitsplatz Heim geworden. Die letzten Bundesregierungen kündigten an, eine umfassende Pflegereform zu starten. Im Februar 2021 wurde der Bericht der Taskforce Pflege (im Auftrag des Pflegeministeriums) präsentiert. Ein Maßnahmenvorschlag dabei: das Erarbeiten einheitlicher Rahmenvorgaben für Personalbedarfsberechnungen mit dem Ziel einer qualitätsvolleren Pflege und Betreuung sowie Entlastung der Pflege‐ und Betreuungskräfte. Konkrete Umsetzungsschritte dazu fehlen derzeit.

Pflegen 2022 mit Personalvorgaben aus den 1990er-Jahren

Nicht erst Covid-19 hat gezeigt, wie wichtig die professionelle Pflege und Betreuung in der stationären Langzeitpflege ist. Pflege ist vor allem auch Emotions- und Beziehungsarbeit. 70 Prozent der Tätigkeiten sind laut einer Studie der Universität Innsbruck mit Kommunikation verbunden. Dieses Ergebnis ist nicht verwunderlich, zählt doch die Langzeitpflege zu einem Dienstleistungsbereich, in dem die qualitätsvolle Pflege und Betreuung stark von der Beziehung zwischen Bewohner/-in und Pfleger/-in abhängt. Genauso wichtig ist in diesem Zusammenhang die Kommunikation mit Angehörigen und den Kollegen/-innen. Ohne ausreichende Zeitressourcen für professionelle Kommunikation und Beziehungsarbeit kommt es immer wieder zur Ablehnung der Hilfe und in der Folge häufig auch zu Widerstand in Form von aggressivem bis zu gewalttätigem Verhalten. Bewohnervertretung und Volksanwaltschaft weisen seit Jahren darauf hin, dass durch knappe Personalbesetzungen auf Dauer das Wohl der Bewohner/-innen gefährdet ist.

Verantwortlich für die Personalberechnungsvorgaben sind die Länder. Neun unterschiedliche Vorgaben schaffen die (rechtliche) Basis zum Personaleinsatz in den Heimen. Wie viele Pfleger/-innen im Einsatz sind, und welche Qualifikation sie mitbringen, hängt somit oft mit der Postleitzahl zusammen, in dem das Heim steht und weniger mit den tatsächlichen Bedarfen der Bewohner/-innen und Beschäftigten. Eine Vielzahl an Berechnungsmodellen, oft gekoppelt an die Pflegegeldeinstufung, stellt meist den medizinischen Fokus in den Mittelpunkt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Welche Qualifikationen bringen Beschäftigte in der Pflege und Betreuung mit? Auch diese Frage lässt sich je nach Bundesland sehr unterschiedlich beantworten. Nur in wenigen Bundesländern sind Fachsozialbetreuungsberufe flächendeckend im Einsatz, teils werden Therapeuten/-innen, aber auch angelernte Beschäftigte in die Schüssel eingerechnet. Verpflichtende Zusatzqualifikationen wie. z.B. Palliativpflege und Wundmanagement sind nur vereinzelt verbindlich vorgeschrieben, selbst die Qualifikation der Pflegedienstleitungen ist unterschiedlich beschrieben. Obwohl die Aufgaben durch Covid-19 massiv gestiegen sind, wurden in einigen Bundesländern, wie z.B. Oberösterreich, Steiermark und Vorarlberg Möglichkeiten zur Unterschreitung der Personalvorgaben in Krisenzeiten geschaffen. So unterschiedlich die Modelle sind, sie eint eines: es fehlt die Evidenzbasierung, sie sind – bis auf eine Ausnahmen – über Jahre hinweg nicht weiterentwickelt worden und bieten wenige Transparenz und Vergleichbarkeit, wie der Rechnungshof bereits 2020 kritisch anmerkte.

Nach wie vor: Taktung und Arbeitsteilung anstelle von Ganzheitlichkeit

Bereits 2018 hat eine arbeitswissenschaftliche Studie der Universität Innsbruck aufgezeigt, dass kommunikative, emotionale und soziale Arbeitsbestandteile derzeit kaum in den Personalvorgaben berücksichtigt werden. Weiterentwicklungen in den Bundesländern nehmen nach wie vor wenig Rücksicht auf arbeits- und pflegewissenschaftliche Grundlagen. Im Gegensatz: immer mehr Berufsgruppen führen zu einer noch zunehmenden Arbeitsteilung, die oft zur Belastung für die Beschäftigten wird. Die aus den rechtlichen und politischen Vorgaben resultierenden knappen Ressourcen vor Ort führen häufig dazu, dass mit strafferer Arbeitsorganisation versucht wird, das Arbeitspensum trotzdem zu erfüllen. Immer mehr wird versucht, durch das „Wundermittel Digitalisierung“ Zeit einzusparen, bisher nur mit überschaubarem Erfolg.

In Oberösterreich wurde 2016 eine umfassende Analyse der Situation in den oö. Alten- und Pflegeheimen durchgeführt, echte Verbesserungen sind bisher kaum sichtbar.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Zwar wurden – vor allem auch auf Druck der Gewerkschaften – einige Verbesserungen herbeigeführt, wie z.B. verbindliche Nachtdienstregelungen oder auch das AK-geförderte Projekt „Pflegedokumentation neu denken“, ein neuer Personalschlüssel lässt jedoch weiter auf sich warten. Auch wenn Beschäftigte es nur ungern zugeben: mehr als eine Grundpflege mit „warm, satt und sauber“ ist in vielen Bereichen derzeit nur mehr schwer möglich.

Definition von Lebensqualität – Fehlanzeige

Die österreichische Langzeitpflege hat einen Fleckerlteppich an Vorgaben zur Personalberechnung. Neben einer fachlichen Diskussion, wie viel Personal mit welchem Qualifikationslevel zeitgemäß ist, braucht es auch eine Definition von Lebensqualität in der stationären Langzeitpflege. Diese sollte Basis für folgende Personalberechnungen sein. Bis dato lässt diese Diskussion auf sich warten. Seit Jahren gibt es internationale Projekte zur Lebensqualität in der Langzeitpflege. Im Nationalen Qualitätszertifikat Langzeitpflege – mitgetragen durch das Pflegeministerium – wird der Lebensqualität ein hoher Stellenwert eingeräumt. Die Länder haben sehr unterschiedliche Qualitätsbegriffe, teils fehlen diese überhaupt. Der Rechnungshof hat bereits 2020 angeregt, dass es ein einheitliches Verständnis von Qualität in Pflegeheimen braucht. Konkrete Überlegungen und Standards dazu fehlen nach wie vor. Mit Spannung bleibt dabei abzuwarten, ob und wie das 2021 entwickelte Konzept zum Aufbau eines Pflegereportings dabei unterstützen kann.

Sofortmaßnahmen und langfristige Konzepte nötig

Konkrete Maßnahmenvorschläge liegen seit langem vor. Während in Deutschland seit geraumer Zeit an neuen Personalberechnungsmodellen für die Langzeitpflege gearbeitet und auch im neuen Regierungsprogramm ein Schwerpunkt daraufgelegt wird, fehlen in Österreich nach wie vor erste Schritte. Langfristiges Ziel ist eine evidenzbasierte arbeits- und pflegewissenschaftliche Bewertung der Arbeit aller Berufsgruppen der stationären Langzeitpflege, die sich in transparenten und gesetzlich verbindlichen Personalbedarfsberechnungsmodelle abbildet. Die Einhaltung in der Praxis muss laufend kontrolliert werden.

Kurzfristig braucht es eine rasche Entlastung der Beschäftigten durch den unterstützenden Einsatz von Beschäftigten in hauswirtschaftlichen und administrativen Bereichen und eine umfassende Ausbildungsoffensive. Den Wert einer echten Pflegereform erkennen die Bewohner/-innen und Beschäftigten nur an einer echten Verbesserung der Lebens- und Arbeitsqualität. Die Umsetzung einer zeitgemäßen Personalberechnung ist dabei ein erster Schritt von vielen.

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