Vier von fünf Pflegebedürftigen werden von ihren Angehörigen zu Hause gepflegt, und das oft neben einer Berufstätigkeit. Der Wohnort bestimmt dabei die Unterstützung, die sie erhalten. Die Familie ist auf informeller Basis der größte Pflegedienst in Österreich, doch werden Bundesländergrenzen viel zu oft zu unüberwindbaren Hürden.
Muss ich umziehen, um angemessene Pflege zu erhalten?
Frau Huber (Name geändert), eine im niederösterreichischen Umland Wiens wohnhafte Dame, wandte sich auf der Suche nach einem geeigneten Tagesbetreuungszentrum für an Demenz erkrankte Menschen telefonisch an die Arbeiterkammer Wien. Obwohl sie in Niederösterreich wohnt, hat sie ihren Arbeitsplatz in der Bundeshauptstadt. Während des Telefonats erwähnte sie, dass sie ihren Ehemann an diesem Tag in die Arbeit mitgenommen habe, weil sie im Moment über keine andere Möglichkeit verfüge, seine Betreuung während ihrer Arbeitszeit sicherzustellen. Würde dieses Ehepaar in Wien wohnen, wäre die Situation wahrscheinlich eine andere. Zum einen ist in Wien das Angebot an Tageszentren deutlich besser. Zum anderen besteht in Wien derzeit das Angebot für eine „mehrstündige Alltagsbegleitung“ von bis zu 40 Stunden pro Woche. In Niederösterreich sind für eine Alltagsbegleitung derzeit nur 20 Stunden pro Monat möglich.
Doch es sind nicht nur die großen Unterschiede zwischen den verfügbaren Unterstützungsangeboten der Bundesländer. Auch die Nutzung von Angeboten über die Bundesländergrenzen hinweg ist eine beträchtliche Hürde. Auf der Suche nach einem geeigneten Tagesbetreuungszentrum für Menschen mit Demenz stieß Frau Huber auf ein Angebot in Wien. Doch wenig überraschend konnte sie dieses nicht in Anspruch nehmen. Öffentliche Förderungen durch das Land Niederösterreich werden grundsätzlich nur für Betreuungszentren übernommen, die im Bundesland angesiedelt sind.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Weg von Frau Huber, um an diese Informationen zu kommen, über viele Telefonate mit etlichen Ämtern, Beratungsstellen und Institutionen führte. Wünschenswert wäre hier eine „Pflegeservicestelle“ für pflegende Angehörige, in der alle Auskünfte gebündelt zu erfragen sind. Das spart Zeit und Nerven und führt zu einer schnelleren Entlastung pflegender Angehöriger.
Kann ich Pflegeangebote grenzüberschreitend in Anspruch nehmen?
Oder ein anderes Beispiel: In jungen Jahren von zu Hause ausgezogen, um die große, weite Welt kennenzulernen – das haben viele von uns gemacht, auch wenn es in einigen Fällen dann doch nur der Umzug in ein anderes Bundesland war. Sind die Eltern dann einmal betagt und nicht mehr in der Lage, allein zurechtzukommen, und müssen vielleicht sogar in ein Pflegeheim zur Langzeitpflege übersiedeln, dann erlebt man bisweilen eine Überraschung.
Denn gerne würde man die Mutter oder den Vater in seiner Nähe unterbringen, weil regelmäßige Besuche und die Betreuung in der näheren Umgebung einfacher wären. Lebt man jedoch beispielsweise selbst in Wien und der/die pflegebedürftige Angehörige in der Steiermark, ist das nur schwer möglich. Denn eine pflegebedürftige Person muss sich mindestens sechs Monate in Wien aufgehalten haben, um einen Antrag auf Aufnahme in eine Langzeitpflegeeinrichtung in Wien stellen zu können. Umgekehrt ist auch in der Steiermark die öffentliche Förderung von Betreuungs- und Pflegeleistungen an einen steirischen Hauptwohnsitz gekoppelt.
Hier besteht offensichtlich ein Widerspruch: Die Steuer- und Abgabenleistung erfolgt im Wesentlichen unabhängig vom Wohnsitzbundesland. Pflegeleistungen werden aus Steuermitteln finanziert. Daher ist es nicht nachvollziehbar, dass Pflegeangebote von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind.
Warum ist das so?
Um die Methode hinter dem System zu verdeutlichen, möchte ich einen Vergleich mit einer Leistung aus der Krankenversicherung anführen. Würde ich mir in Vorarlberg die Hand brechen, dann müsste ich mich auf den Weg nach Wien – meinem Wohnort – machen, um dort eine medizinische Leistung zu erhalten.
In Österreich gibt es so gut wie keine bundesländerübergreifenden Leistungen (z. B. mobile Dienste) in der Langzeitpflege. Menschen mit Pflegebedarf und ihre Angehörigen haben es mit unterschiedlichen Entscheidungsrichtlinien und -strukturen in der Zuerkennung von Sachleistungen zu tun. Sie müssen unterschiedliche Selbstbehalte bezahlen und haben unterschiedliche – in der Regel immer ungenügende – Angebote, die auch nicht im gleichen Ausmaß angeboten werden.
Was könnte man ändern?
Will man die aufgezeigten Probleme besser in den Griff bekommen, ist eine deutliche Annäherung oder Harmonisierung der neun Ländersysteme erforderlich. Das ist nicht ganz einfach, denn die verfassungsmäßige Kompetenz für Sachleistungen der Langzeitpflege liegt bei den Bundesländern.
Doch es gibt bereits ein Instrument, das wirkungsvoll zu österreichweit vergleichbaren Angeboten und Kosten beitragen könnte. Seit dem Jahr 2011 gibt es den Pflegefonds, der zu zwei Dritteln vom Bund und zu einem Drittel von den Ländern finanziert wird. Aus diesem Fonds werden den Ländern und Gemeinden zur teilweisen Abdeckung der Ausgaben ca. 382 Mio. Euro für Betreuungs- und Pflegedienstleistungen zur Verfügung gestellt. Die Geldmittel werden nach den im Pflegefondsgesetz festgelegten Kriterien an die Länder und Gemeinden ausgeschüttet. Das heißt, das Geld kann nur unter Einhaltung der definierten Vorgaben abgeholt werden.
Dies ist allerdings nur ein Teil der öffentlichen Ausgaben für die Langzeitpflege. Die Gesamtausgaben betragen ca. 5 Mrd. Euro.
Würde man nun den Pflegefonds zu einem „Pflegegarantiefonds“ ausbauen, also alle Geldmittel vom Bund, den Ländern und auch der Sozialversicherung bündeln, könnte dadurch eine wirksame gemeinsame Steuerung und zielgerichtete Entwicklung der Langzeitpflege in ganz Österreich erreicht werden, weil sich alle an gemeinsame Regeln halten müssten. Es wäre nicht einmal eine verfassungsrechtliche Neuordnung der Kompetenzen notwendig. Unter Beteiligung aller wäre es möglich, gemeinsam ein einheitliches Leistungs- und Kostenniveau für alle Menschen in Österreich zu definieren, das Transparenz und Vergleichbarkeit für alle bedeuten würde.
Wussten Sie, dass …
- rund 460.000 PflegegeldbezieherInnen von rund 950.000 pflegenden Angehörigen betreut werden? Und, dass
- ein Drittel der rund 950.000 pflegenden Angehörigen berufstätig ist?
Fazit
„Größter Pflegedienst der Nation“, so werden die pflegenden Angehörigen in der Einleitung der vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz herausgegebenen Studie zur Situation der pflegenden Angehörigen genannt. Mitunter sind diese Menschen mit einem undurchschaubaren föderalistischen „Bürokratiedschungel“ konfrontiert. Das ist eine Belastung für sie und für die zu pflegenden Menschen. Es muss ein durchschaubares System geben, das pflegende Angehörige entlastet und Menschen mit Pflegebedarf unterstützt.