Österreich: Bei BIP und real verfügbarem Einkommen pro Kopf an der EU-Spitze

24. Juli 2019

[Hinweis: am 23.7.2020 wurde eine aktualisierte Version veröffentlicht]

Österreichs Wirtschaftsleistung je EinwohnerIn übertraf 2018 mit 39.300 Euro (kaufkraftstandardbereinigt) den EU-Durchschnitt um 27 Prozent und erreichte den vierthöchsten Wert der EU. Dies belegt einmal mehr die Qualität des heimischen Wirtschaftsstandorts. Für die Messung des Wohlstands müssen zusätzlich andere Indikatoren herangezogen werden, etwa das verfügbare Einkommen in der Mitte der Haushalte: Auch hier liegt Österreich mit seinem gut ausgebauten Wohlfahrtsstaat an der Spitze der EU. Um diesen hohen Wohlstand auch in Zukunft gewährleisten zu können, sind weitere Anstrengungen geboten: Investitionen in die öffentliche Infrastruktur insbesondere zur Bekämpfung der Klimakrise, weitere Verbesserungen im Sozialstaat durch den Ausbau sozialer Dienstleistungen und mehr Augenmerk auf die gerechte Verteilung des Wohlstandes.

Österreichs Wirtschaftsleistung an vierter Stelle der EU-28

Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zu Kaufkraftstandards wird als gebräuchlichster Indikator für den internationalen Vergleich der Wirtschaftsleistung eines Landes verwendet. Für Österreich betrug es 2018 etwa 39.300 Euro (kaufkraftstandardbereinigt; entspricht nominell 43.680 Euro), was den vierthöchsten Wert der EU darstellt; klar vor uns liegen Luxemburg (Finanzzentrum mit Umland), Irland (statistisch hohe Produktion wegen Steuerbegünstigungen für Multis, die sich nicht im Einkommen der IrInnen spiegelt) und nur knapp die Niederlande. Dahinter folgen Dänemark, Deutschland und Schweden. Einmal mehr zeigen die vorliegenden Produktionsdaten, dass dem notorischen Jammern über die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Wirtschaftsstandorts die sachliche Fundierung fehlt, es ist rein interessenpolitisch motiviert. Vielmehr sind Standortqualität und ein gut ausgebauter Sozialstaat zwei Seiten einer Medaille.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Entwicklung des BIP pro Kopf seit Beginn der von Banken und Finanzmärkten ausgelösten Wirtschaftskrise zeigt die günstigere Entwicklung der Wirtschaftsleistung in den besser ausgebauten Wohlfahrtsstaaten. Mit dem Beginn der Erholung durch das allmähliche Ende der Austeritätspolitik ab 2013/14 kehrte die EU tendenziell zum Konvergenzprozess der Mitgliedstaaten vor der Krise zurück. Bei insgesamt steigendem Durchschnitt (das reale BIP pro Kopf stieg von 2013 auf 2018 in der EU-28 um 15,3 Prozent) holen die osteuropäischen Länder mit geringerer Wirtschaftsleistung auf, sodass das Niveau der produktiveren Staaten relativ zum EU-Durchschnitt sinkt; das ist erfreulich, denn es bedeutet eine Ausweitung der Nachfrage, von der insbesondere die heimische Wirtschaft profitiert.

Zwei wesentliche Ausnahmen sind erwähnenswert: Erstens Italien, wo die Produktion pro Kopf mittlerweile merklich unter dem EU-Durchschnitt liegt und die latente ökonomische Krise in eine soziale und politische Krise übergegangen ist. Zweitens der Wirtschaftseinbruch in Griechenland, der das Scheitern der griechischen und der europäischen Krisenpolitik drastisch zum Ausdruck bringt. Mittlerweile hat Polen beim BIP pro Kopf Griechenland überholt.

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BIP: ein eingeschränkt brauchbares Wohlstandsmaß

Das Bruttoinlandsprodukt ist ein nur eingeschränkt brauchbares Maß als Wohlstandsindikator. Es berücksichtigt nicht, wie viel Arbeitszeit für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen aufgewendet werden muss; es erfasst Qualitätsänderungen zu wenig; es bewertet die immer wichtiger werdenden sozialen Dienstleistungen nur nach den bei ihrer Herstellung entstehenden Kosten und nicht nach ihrem Nutzen für die Gesellschaft; es negiert wichtige Bestandsgrößen wie Vermögen, Ressourcen und Wissen; es berücksichtigt den mit der Produktion verbundenen Material- und Ressourcenverbrauch nicht; es spiegelt die Verteilung von Einkommen und Vermögen nicht und ist zu stark auf die Messung von Produktion zu den auf den Märkten erzielten Preisen und zu wenig an den tatsächlichen Konsummöglichkeiten ausgerichtet.

Verfügbares Einkommen in der Mitte der Haushalte: Österreich an der Spitze

Deshalb ist es notwendig, auch andere Indikatoren zur Wohlstandsmessung heranzuziehen. In unserem Wohlstandsbericht 2018 haben wir einen solchen Versuch unternommen. Dort wird die Wohlstandsentwicklung anhand von 25 Indikatoren in fünf breiten Bereichen analysiert: Fair verteilter materieller Wohlstand, Vollbeschäftigung und gute Arbeit, Lebensqualität, intakte Umwelt und ökonomische Stabilität.

Zur Bewertung des materiellen Lebensstandards der Menschen in der Mitte einer Gesellschaft ist das real verfügbare Einkommen der geeignetere Indikator als das BIP. Das mediane Äquivalenzgesamtnettoeinkommen zu Kaufkraftstandards zeigt das verfügbare Haushaltseinkommen pro Kopf nach Abzug der Abgaben und Hinzurechnung von Transfers in der Mitte der Verteilung – bereinigt um unterschiedliche Preisniveaus, um die tatsächliche Kaufkraft vergleichen zu können.

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Österreich wies 2017 mit 23.343 Euro (kaufkraftstandardbereinigt) den höchsten materiellen Lebensstandard in der Mitte der Haushalte in der gesamten EU auf, wenn man vom Sonderfall Luxemburg absieht. Der Vorsprung gegenüber Deutschland und der Eurozone ist hier deutlich größer als etwa bei der durchschnittlichen Pro-Kopf-Produktivität. Das ist auf den deutlich besser ausgebauten Sozialstaat (v. a. durch monetäre Transfers) und die egalitärere Einkommensverteilung zurückzuführen.

Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen

In der Wirtschaftsleistung pro Kopf kommen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eines Landes zum Ausdruck: Für hochentwickelte Volkswirtschaften wie die österreichische spielen das Bildungs-, Forschungs- und Innovationssystem, die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur, das Institutionensystem und die Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage eine entscheidende Rolle. Alle diese Faktoren gilt es von hohem Niveau ausgehend weiterzuentwickeln.

Insbesondere muss endlich auf die Herausforderungen der Klimakrise reagiert werden. Dafür sind viele verschiedene Instrumente in unterschiedlichen Bereichen einzusetzen. Den öffentlichen Investitionen kommt aber besondere Bedeutung zu: öffentlicher Nah- und Fernverkehr, Energieerzeugung und Energienetze, Infrastruktur für Elektromobilität, thermische Sanierung, Umrüstung von Öl- und Gasheizungen, Klimaforschung. Die in Ballungszentren rasch wachsende Bevölkerung benötigt zudem Wohnungen, Kindergärten, Schulen, Pflegeeinrichtungen, Parks und öffentliche Räume. Alle diese Investitionen haben hohe gesellschaftliche Erträge und erhöhen den langfristigen Wohlstand. Eine Schuldenbremse in der Verfassung steht der Ausweitung der öffentlichen Investitionen und den Zielen der Wohlstandssteigerung für alle Menschen entgegen.

Die Lebensbedingungen in der Mitte der Gesellschaft spielen eine wichtige Rolle in der Messung des materiellen Wohlstandes. Sie werden auch von den sozialen Transfers und sozialen Dienstleistungen des Wohlfahrtsstaates entscheidend geprägt. Die Kombination aus radikalen Steuersenkungen und Schuldenbremse ist politisch darauf ausgerichtet, den Wohlfahrtsstaat und damit die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der breiten Mittelschicht zu schwächen.

Österreich gehört zu den wirtschaftlich und sozial erfolgreichsten Ländern der EU und der Welt. Damit das so bleibt, brauchen wir folgende wirtschaftspolitische Maßnahmen:

  • Den weiteren Ausbau sozialer Dienstleistungen, vor allem in den Bereichen Kinderbetreuung, Ganztagsschulen, Bildungsangebote, Sozialarbeit und Pflege, er ist für faire Verteilung und gute Arbeit besonders wichtig.
  • Die Ausweitung öffentlicher Investitionen, vor allem in den Bereichen sozialer Wohnbau, Energienetze, Forschung und öffentlicher Verkehr, die für hohe Lebensqualität, ökonomische Stabilität, Vollbeschäftigung und den Kampf gegen die Klimakrise wichtig sind.
  • Die innovative Verkürzung der geleisteten Arbeitszeit, die sich in hoher Lebensqualität und guter Arbeit bezahlt macht.
  • Die Weiterentwicklung des hohen Standards des österreichischen Institutionensystems vom Sozialstaat bis zu den Kollektivvertragsverhandlungen, die ökonomische Stabilität und fair verteilten Wohlstand sicherstellen.
  • Die globale Verankerung hoher Sozial- und Umweltstandards, die helfen, die globalen Klimaziele und Wohlstand weltweit wie in Österreich zu erreichen.