Über Jahrzehnte fehlten wissenschaftlich fundierte Fakten zu Umfang und Verteilung des Vermögens in Österreich. Das änderte sich mit dem Household Finance and Consumption Survey der OeNB, doch auch hier fehlt das oberste Prozent der 39.000 reichsten Haushalte, die bis zu 41 Prozent des gesamten Vermögens besitzen. Die Vermögenden fürchten Transparenz wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser. Wenn es eng wird, rückt deshalb verlässlich die gut organisierte Vermögensverteidigungsindustrie aus.
Transparenz in Ibiza?
Auf Ibiza wurde über Parteienfinanzierung durch MilliardärInnen gesprochen. Die dabei genannten Personen, die Parteispenden allerdings dementieren, verfügen über erhebliches Vermögen an Unternehmen, Immobilien- und Finanzbesitz. Als einzige Quelle einer Quantifizierung dieses Vermögens kann die Reichenliste des Wirtschaftsmagazins trend dienen. Diese weist Johann Graf mit einem Vermögen von 6,7 Mrd. € auf Platz 3, René Benko mit 3,8 Mrd. auf Platz 8, Heidi Horten mit 3 Mrd. auf Platz 10 und Gaston Glock mit 1,3 Mrd. auf Platz 31 aus.
Nur wenige MilliardärInnen neigen dazu, ihren Reichtum ostentativ zur Schau zu stellen. Die meisten Reichen versuchen ihr Vermögen zu verbergen und im Stillen zu mehren. Die österreichische Politik hat beim Verbergen des Reichtums über Jahrzehnte kräftig mitgeholfen. Daten zu Höhe und Verteilung des Vermögens wurden statistisch nicht erfasst, geschweige denn politisch diskutiert, trotz stetig wachsenden Immobilien- und Finanzvermögens. Die Bewertung der Grundstücke erfolgte fernab der Marktwerte nach hypothetischen Einheitswerten der 1970er-Jahre. Das über Jahrzehnte als sakrosankt gehütete Bankgeheimnis verhinderte jede Transparenz beim Finanzvermögen.
Finanzkrise und Household Finance and Consumption Survey
Dies änderte sich durch die Finanzkrise 2008, die auch durch Vermögenskonzentration, spekulative Finanzanlagen und hohe Privatverschuldung verursacht war. Die Europäische Zentralbank rief den Household Finance and Consumption Survey ins Leben, auch um eine Datengrundlage für die Analyse von Finanz- und Kreditrisiken zu schaffen. Eine Forschungsgruppe der Oesterreichischen Nationalbank legte mit dem Household Finance and Consumption Survey 2010 zum ersten Mal belastbare Daten zu Höhe, Struktur und Verteilung des Vermögens vor, eine zweite und dritte Welle der Erhebung folgten 2014 und 2017. Das Ergebnis in aller Kürze: Das oberste Prozent der Haushalte besitzt laut HFCS 22 Prozent des gesamten Nettovermögens in Österreich. Die obersten fünf Prozent besitzen 43 Prozent, gleich viel wie die unteren neun Zehntel. Beim Vermögen gibt es keine Mittelschicht.
MultimillionärInnen fehlen in der Erhebung
Wiewohl kaum eine Notenbank im Eurosystem dem Design und der Durchführung der Erhebung sowie der statistischen Aufbereitung der Daten so großes Augenmerk wie die OeNB schenkt und der österreichische HFCS innerhalb der EZB deshalb als Vorbild gilt, besteht ein substanzieller Kritikpunkt: Im Unterschied zur Mehrzahl der anderen Notenbanken im Eurosystem wird bei uns der Erforschung der Spitze der Vermögensverteilung kein Augenmerk geschenkt. Der HFCS erfasst in Österreich kaum Haushalte mit zweistelligem Millionenvermögen. Um in der Trend-Reichenliste den Sprung unter die 100 reichsten ÖsterreicherInnen zu schaffen, wäre mehr als das Zehnfache davon notwendig. Superreiche nehmen an der Erhebung entweder gar nicht teil oder geben unrealistische Werte an. Ein Einbeziehen der Spitze der Vermögensverteilung wäre jedoch sowohl für Fragen der Finanzmarktstabilität als auch für die sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschung zur Vermögenskonzentration von großer Bedeutung.
Vermögensanteil des reichsten 1 Prozent beträgt 30-40 Prozent
Die Mehrheit der Notenbanken im Euroraum bezieht die Spitze der Vermögensverteilung mit einem „Oversampling“ ein, also der besonders zielgerichteten Erfassung reicher Haushalte in der Erhebung. Sie setzen dafür zusätzliche Datenquellen ein, etwa Steuerstatistiken. Haushalte mit besonders hohem Einkommen werden dann mit höherer Wahrscheinlichkeit in die Erhebung einbezogen. Nach der Kritik von Wissenschaft und EZB am fehlenden Oversampling in Österreich war ein Einsatz dieser erprobten Methode auch in Österreich zumindest in der zweiten und dritten Welle des HFCS erwartet worden, doch die Erwartungen wurden enttäuscht.
Mehrere WissenschafterInnen haben deshalb das Vermögen an der Spitze mit ausgefeilten statistischen Methoden geschätzt. Der bekannteste Vermögensforscher der EZB, Philip Vermeulen, kam 2014 je nach Spezifikation für Österreich auf einen Anteil des obersten 1 Prozent der Haushalte zwischen 30 Prozent und 41 prozent. 2016 schätzte er den Anteil mit Daten für die zweite Welle des HFCS auf 31 Prozent bis 34 Prozent. Das Institut für Gesamtanalyse der Wirtschaft an der Kepler Universität Linz führte auf Basis des HFCS 2010 und 2014 Schätzungen über den Vermögensanteil des obersten 1 Prozent der Haushalte durch und kam dabei auf Werte von 37 Prozent bzw. 41 Prozent.