Koordiniert, gerecht und glaubwürdig: So kann die Transformation gelingen

31. August 2022

„Jetzt ist schon wieder was passiert.“ Die bekannte Eröffnung vieler Kriminalromane des österreichischen Autors Wolf Haas liest sich ein wenig wie der Slogan der beginnenden 2020er-Jahre. Globale Krisen potenzieren sich. Die Pandemie und die Klima- und Energiekrise prägen die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Nicht nur sind beide globale Krisen, sie sind auch beide Folgen eines dysfunktional gewordenen Systems, das kontinuierlich die sozialen und ökologischen Grenzen überschreitet. Es ist höchste Zeit für eine politische Antwort auf die Ausbeutung und Zerstörung von Menschen, Ressourcen und Umwelt und damit eine neue Form der Wirtschaftspolitik für einen gerechten Umbau.

Ändert sich nichts, ändert sich alles

Große Veränderungen machen uns unsicher, und zwar nicht nur individuell, sondern auch als Gesellschaft. Unsere Zukunftsaussichten und -pläne geraten ins Wanken, alltägliche Verhaltensweisen stehen zur Disposition und bisherige Lösungsansätze funktionieren nicht mehr so recht. Das Alte verschwindet, während das Neue noch nicht klar erkennbar ist. Diese existenzielle Unsicherheit erzeugt Angst, Verzweiflung und Wut. Ein so umfassender Wandel kann aber auch Chancen und Hoffnung bringen. Die Politik hat die Aufgabe, diese Gefühle in produktive Bahnen zu lenken, gestaltend und ausgleichend zu wirken.

Der Ökonom James Boyce formulierte sinngemäß, dass wir nur ein gutes Leben für alle erreichen werden, wenn wir die Grenzen der Natur respektieren und gleichzeitig unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen neu ordnen. Kurz: Der Kampf gegen die Klimakrise erfordert auch einen Kampf gegen soziale Ungleichheit und für politische Teilhabe und Mitbestimmung. Doch wie kann eine neue Wirtschaftspolitik aussehen, die in stürmischen Zeiten diesen Zielen gerecht wird? Um Orientierung zu bieten, braucht sie jedenfalls klare Leitlinien:

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Erste Leitlinie: Dringlichkeit

Die aktuellen Entwicklungen auf der Welt, aber auch in Europa in Form von Dürre, Stürmen, Muren und Überflutungen zeigen deutlich, dass die Klimakrise bereits angekommen ist. Das Vorzeichen ist deutlich erkennbar, wenn nicht rasch und umfassend gehandelt wird, wird es noch viel dramatischer. Deshalb muss das Tempo im Umbau ordentlich erhöht werden. Dieser Marathon muss nicht nur ausdauernd, sondern noch viel schneller als bisher erwartet bewältigt werden. Dazu braucht es ernsthaften politischen Ehrgeiz und einen faktenbasierten Umgang mit den, bereits heute oft dramatischen, Auswirkungen der klimatischen Veränderungen.

Zweite Leitlinie: Gerechtigkeit

Sozialer Ausgleich und Teilhabe müssen im Zentrum der Dekarbonisierung stehen. Tun sie das nicht, so droht der Umbau am Widerstand der Bevölkerung zu scheitern. Anlässlich der rasant steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten gilt das mehr denn je. Das Ziel muss sein, dass der Umbau bestehende soziale und ökonomische Ungleichheiten nicht weiter vertieft. Dazu braucht es eine Wirtschaftspolitik, die eine hohe wirtschaftliche, umweltpolitische und soziale Rendite erzielt. Bei Investitionen in Industrie, Innovation und regionale Entwicklung müssen die politischen Player besonders auf die verteilungspolitischen Wirkungen und eine als gerecht empfundene Verteilung von Lasten und Nutzen achten. 

Der Umbauprozess ist dann gerecht, wenn er zukunftstaugliche Infrastrukturen stärkt, eine saubere Wirtschaft aufbaut und leistbare Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen gewährleistet. Der Umbau ist dabei auch eine Gemeinschaftsaufgabe und alle müssen sich ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend an seiner Finanzierung beteiligen. Werden Fragen der gerechten Verteilung von Kosten und Nutzen ausgeblendet, droht der gezielte Umbau am schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung zu scheitern. Strukturwandel geschieht dann trotzdem, jedoch chaotisch und ungeordnet, mit negativen Konsequenzen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Dritte Leitlinie: Klarheit

Die Regierung muss strategische Entscheidungen zur Umsetzung des gerechten Übergangs transparent und nachvollziehbar kommunizieren – etwa auch, wenn es um Investitionen und Regulierung geht. Transformationspfade müssen klare Zielvorgaben und jährliche Meilensteine bis 2045 enthalten. Chancen müssen frühzeitig identifiziert, Risiken und Hindernisse berücksichtigt werden. Die Regierung muss früh erste Transformationspfade festlegen, diese dann aber laufend anpassen und verfeinern. Eine frühzeitige Festlegung ist von entscheidender Bedeutung. Ein solcher Rahmen kann ein Katalysator für wirksame Maßnahmen sein und Unternehmen, Arbeitnehmer:innen und betroffenen Regionen helfen, sich frühzeitig und vorausschauend vorzubereiten.

Vierte Leitlinie: Glaubwürdigkeit & Koordinierung

Pläne und Zielsetzungen müssen realisierbar und ihre Finanzierung sichergestellt sein. Die sektorale und regionale Planung müssen miteinander verknüpft werden. Die Regionen, Gebietskörperschaften, Unternehmen und Beschäftigten brauchen Klarheit, sie müssen sich eng koordinieren und der Staat muss seiner Aufgabe als aktiver Stratege und Rahmensetzer gerecht werden. Es müssen dazu in den Regionen, aber auch innerhalb der Unternehmen selbst, Umsetzungs- und Investitionspläne entwickelt werden. Der öffentliche Sektor kann hier eine unterstützende Funktion in der Umsetzung und Koordinierung einnehmen und durch ein regelmäßiges Monitoring die Fortschritte überwachen und bei Nicht-Erreichung zusätzlich eingreifen. Nur mit einem tatsächlichen Fortschrittsmonitoring und daraus abgeleiteten Maßnahmen bei Zielverfehlung wird Glaubwürdigkeit und damit Verpflichtung der Akteure hergestellt werden.

Die Koordinaten richtig lesen: Bausteine eines gerechten Übergangs

Entlang dieser Leitlinien gilt es für die Politik wirtschaftspolitische Prioritäten, sowohl für Querschnittsthemen als auch für einzelne Sektoren, zu setzen. Ein wirtschaftspolitisches Programm, das den gerechten Wandel gewährleisten soll, muss:

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  • Investitionslücken schließen: Der Erfolg eines gerechten Übergangs wird entscheidend davon abhängen, ob und in welchem Ausmaß Investitionen in den Umbau der wirtschaftlichen Strukturen und der Daseinsvorsorge getätigt werden. Damit kann die Politik gerade in Zeiten hoher Unsicherheit hochwertige, sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen, den Kapitalstock nachhaltig erneuern, (regionale) Ungleichheiten bekämpfen und eine innovative industrielle Basis sowie widerstandsfähigere soziale und physische Infrastrukturen aufbauen.
  • industrielle Planung und Missionsorientierung forcieren: Ohne konkrete Transformationspfade mit kontinuierlicher Fortschrittsmessung kann der Umbau nicht gelingen. Industrielle Planung muss missionsorientiert erfolgen und ein aktiver Staat seine Rollen als Stratege, Entwickler und Nachfrager ernst nehmen. Darüber hinaus müssen im Umgang mit dem Strukturwandel strategische Abhängigkeiten in Material-, Energie-, und Rohstoffflüssen mitbedacht und regionale Lösungen entwickelt werden. 
  • Arbeitsbedingungen und Resilienz verbessern: Nur Arbeitsplätze zu schaffen macht noch keinen gerechten Übergang. Ziel muss sein, sinnvolle, gut bezahlte und sichere Arbeitsplätze in einer grünen und digitalen Wirtschaft der Zukunft zu fördern. Durch den Übergang wird sich auch verändern, wie und wo wir arbeiten. Für die am stärksten betroffenen Beschäftigtengruppen werden breitere Unterstützungsmaßnahmen erforderlich sein, um durch Qualifizierung und Weiterbildung neue berufliche Perspektiven zu erschließen und durch eine adäquate Einkommenssicherung Umqualifizierungen zu ermöglichen. Der Sozial- und Wohlfahrtsstaat ist grundsätzlich bestens für diese Aufgaben gerüstet. Ihn gilt es in Zeiten des Umbruchs krisenfest zu machen, zielgerichtet weiterzuentwickeln, soziale Infrastrukturen zu stärken und an eine durch den Klimawandel veränderte Welt anzupassen.

Eine nachhaltige und digitale Ökonomie des 21. Jahrhunderts

Die Transformation ist die große Gemeinschaftsaufgabe des 21. Jahrhunderts und wir müssen ihre Kosten und ihren Nutzen fair verteilen. Dazu braucht es eine Wirtschaftspolitik, die sich ihrer Verantwortung in Phasen großer Veränderung bewusst ist und aktiv gestaltet. Alle wirtschaftspolitischen Akteure sind gleichermaßen gefordert und verantwortlich, den sozialen und ökologischen Umbau der Wirtschaft zu gestalten, auf den sozialen Ausgleich zu achten und Ungleichheiten auf allen Ebenen zu bekämpfen. Ganz im Sinne von Wolf Haas‘ Krimis und James Boyce Thesen ist dann hoffentlich etwas passiert, und zwar, dass wir unser Verhältnis gegenüber der Natur, aber auch gegenüber unseren Mitmenschen neu ausbalanciert haben. Kein einfacher politischer Prozess, aber ein notwendiger.

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