Just Transition und die Anforderungen an einen arbeitsmarktpolitisch gerechten Strukturwandel

06. Juli 2021

Um das Ziel einer klimaneutralen und nachhaltigen Wirtschaft zu erreichen, müssen viele der aktuell noch auf fossilen Energieträgern beruhenden Geschäftsmodelle auf den Prüfstand. Sowohl die Klimakrise als auch unser Ziel, die fossile energetische Basis unserer Produktion und unseres Konsums zu überwinden, erzeugen einen Veränderungsdruck. In dieser Veränderung – oder anders ausgedrückt: im „grünen“ Strukturwandel – wird entweder das Althergebrachte mit etwas Neuem verschmolzen oder etwas gänzlich Neues muss an seine Stelle treten. Damit dieser Prozess sozial ausgewogen und gerecht verläuft, braucht es aktive politische Gestaltung. Eine politische Gestaltung in Form einer Strukturwandelpolitik, welche die Mission „Dekarbonisierung“ vorantreibt und die soziale Dimension der mit der Veränderung verbundenen Entwicklungen mit ins Zentrum der wirtschaftspolitischen Maßnahmen stellt. Einen besonderen Stellenwert darin nimmt die Arbeitsmarktpolitik ein. Sie ist es, die den Strukturwandel begleiten muss, um die mit ihm verbundenen Chancen für Wertschöpfung und Beschäftigung zu nutzen oder potenzielle soziale Verwerfungen zu mildern.

Just Transition im grünen Strukturwandel: eine Strategie für einen gerechten Wandel am Arbeitsmarkt

Die Ausgangsposition Österreichs im Strukturwandel ist eine sehr gute. Ein stabiler und gut funktionierender Sozial- und Wohlfahrtsstaat, innovative Unternehmen mit ihren qualifizierten und motivierten Beschäftigten und eine gut ausgebaute moderne Infrastruktur bieten eine solide Basis, um gut und sozial ausgewogen durch den Prozess des Wandels zu kommen. Einen wesentlichen Beitrag zu einem gerechten und fairen Wandel muss die Politik leisten – auch die Arbeitsmarktpolitik. In der Gestaltung eines „gerechten Wandels“ bzw. einer „Just Transition“ muss es vorrangig darum gehen, arbeitsmarktpolitische Instrumente und Maßnahmen so zu gestalten, dass die Chancen für Wertschöpfung und Beschäftigung des grünen Strukturwandels auch genutzt werden können, und gleichzeitig müssen jene, die stark negativ vom Strukturwandel betroffen sein werden, sozial abgesichert und bei einer Neuorientierung unterstützt werden.

Die aktuelle Studienlage zu den Beschäftigungseffekten des grünen Strukturwandels ist eindeutig. Klimapolitik und der damit verbundene grüne Strukturwandel haben großes Potenzial für (regionale) Beschäftigung und Wertschöpfung im Ausmaß eines positiven Gesamtbeschäftigungseffekts von +0,6 Prozent bis +2 Prozent bis zum Jahr 2030. Die großen Zukunfts- und Wachstumsbereiche sind der gesamte Bereich der erneuerbaren Energien und des Netzinfrastrukturausbaus, der Wärme- und Kälteerzeugung, die thermische Sanierung, Energieeffizienz, Elektromobilität, Kreislaufwirtschaft und der Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Ob und in welchem Ausmaß diese Potenziale genutzt werden können, hängt maßgeblich von der politischen Gestaltung und den begleitenden wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ab. Diese den Strukturwandel begleitenden Maßnahmen sind es damit auch, welche maßgeblich die beschäftigungspolitischen Chancen und Gefahren, die mit jeder Art von großen Veränderungen verbunden sind, beeinflussen können.

Im Prozess des Wandels gilt es daher, bestehende Beschäftigung bestmöglich zu sichern und neu entstehende Beschäftigungsmöglichkeiten mit guten Arbeitsbedingungen zu nutzen. Für die Arbeitsmarktpolitik ergeben sich dabei vielfältige Herausforderungen, die nach Ausgangspunkt und Ausmaß der notwendigen Anpassungen unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Es braucht eine regional- und beschäftigungspolitische „Just Transition“-Strategie, die zielgerichtet die Veränderungen in Arbeitsplatzprofilen, Qualifikationsanforderungen, regionalen Arbeitsplatzangeboten, bei der Umsetzung innovativer Modelle zur Arbeitszeitverkürzung und das Matching zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage im Strukturwandel unterstützt.

Eine „Just Transition“-Strategie muss differenzierte Antworten geben

Der Strukturwandel hin zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Wirtschaft betrifft auch die Art und Weise, wie wir arbeiten, produzieren und konsumieren. Damit ist klar, dass der Wandel große Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte haben wird. Bestehende Qualifikationen und Fähigkeiten werden durch den Strukturwandel ent- oder abgewertet, während andere Qualifikationen und Fähigkeiten an Bedeutung gewinnen werden. Einige Arbeitsprofile werden unter Umständen sogar gänzlich verschwinden und wiederum andere neu entstehen. Für die Politik ergibt sich neben Aufgaben der rechtlichen und ordnungspolitischen Gestaltung und dem Setzen von Anreizen und Pflichten für Unternehmen auch die Aufgabe, Beschäftigte, Erwerbsarbeitslose und am Arbeitsmarkt Benachteiligte durch niedrigschwellige und inklusive Angebote Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zu unterstützen oder als öffentliche Hand selbst verstärkt Beschäftigung in gesellschaftlich wichtigen Bereichen anzubieten. Solche Angebote helfen den Beschäftigten, sich im Zuge des grünen Strukturwandels nachgefragte Fähigkeiten und Qualifikationen anzueignen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu erschließen. Außerdem ist die Arbeitsmarktpolitik gefordert, die Beschäftigten dabei zu unterstützen, in potenzielle Wachstums- und Zukunftsbereiche zu wechseln, und für alle gute Arbeitsplatzangebote zu garantieren.

Eine tragfähige „Just Transition“-Strategie muss in diesem Zusammenhang auf die unterschiedlichen arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Anforderungen im Strukturwandel eingehen. Casano unterscheidet drei wesentliche arbeitsmarktpolitische Prozesse: „Steigende grüne Nachfrage“, „Grüne Qualifikationsanpassung“ und „Neue grüne Arbeitsplätze“, die in einer „Just Transition“-Strategie berücksichtigt werden müssen.

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Steigende grüne Nachfrage

Die Hinwendung zu klimafreundlichen Formen von Produktion und Konsum wird zu einer Verschiebung der Nachfrage nach „grünen“ Produkten und Dienstleistungen führen. Um diese steigende Nachfrage zu decken, werden die Beschäftigungschancen und das Potenzial für zusätzliche Wertschöpfung in jenen Bereichen weiter steigen, die schon heute grüne Produkte und Dienstleistungen anbieten oder die einen wesentlichen Beitrag für den Prozess in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität leisten. Beispiele dafür sind der öffentliche Verkehr, der Ausbau erneuerbarer Energien oder die Wärme- und Kältetechnik. Ebenso profitiert die Bauwirtschaft von den zunehmenden Anstrengungen in der thermischen Sanierung. In diesem Fall sind die Unternehmen selbst, aber auch die Bildungs- und Ausbildungspolitik gefordert, verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um die erwartete steigende Nachfrage am Arbeitsmarkt zu decken. Gemeinsam mit den Sozialpartnern müssen außerdem Lehrberufe attraktiviert und Arbeitsbedingungen weiter verbessert werden.

Grüne Qualifikationsanpassungen

Abseits der erwarteten steigenden Nachfrage verlangt der grüne Strukturwandel eine Anpassung oder Weiterentwicklung bestehender Qualifikationen und Fähigkeiten. Eine Verschiebung in Richtung grüner Produkte und Dienstleistungen, der Anwendung neuer Technologien oder eine Veränderung von Organisationsprozessen, die Nachhaltigkeit ins Zentrum stellen, erzeugen hier einen Anpassungsdruck. Dies betrifft insbesondere die Schwerpunktsetzung und Weiterentwicklung von Qualifikationen. Ein Beispiel sind die Tätigkeiten von AutomechanikerInnen. Der Umstieg auf Elektrofahrzeuge verlangt in diesem Berufsbild andere oder weitere Kenntnisse und Fähigkeiten, zum Beispiel in der Elektro- und Softwaretechnik. Der Arbeitsmarktpolitik und den Unternehmen kommt in diesen Fällen die Aufgabe zu, entsprechende Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote einzurichten. Hier braucht es eine Ausweitung des Fachkräftestipendiums sowie einen Rechtsanspruch auf ein existenzsicherndes Qualifizierungsgeld während der notwendigen Aus- und Weiterbildung.

Neue grüne Arbeitsplätze

Neben zusätzlicher Nachfrage und spezifischen Qualifizierungs- und Weiterbildungserfordernissen werden im grünen Strukturwandel auch gänzlich neue Arbeitsplätze entstehen. Dies betrifft insbesondere die Bereiche grüner und digitaler Dienstleistungen, der Kreislauf-, Wasserstoff- oder Kohlenstoffwirtschaft und entsprechender Bereitstellung und Wartung dazugehöriger Infrastrukturen. In all diesen Zukunftsfeldern ist sowohl auf eine entsprechende Bereitstellung von benötigten Qualifikationen und Fähigkeiten als auch auf gute Arbeitsbedingungen zu achten. Gleichzeitig kann eine staatliche Jobgarantie genutzt werden, um in eben diesen Bereichen Beschäftigung zu schaffen. Menschen, die im Zuge der Transformation ihren Arbeitsplatz verlieren, soll dabei ein nachhaltiger Arbeitsplatz zu einem sozialpartnerschaftlich festgelegten Mindestlohn und entsprechenden Qualitätsanforderungen garantiert sein.

Soziale Sicherheit gewährleisten

Der grüne Strukturwandel birgt neben all den Chancen aber auch Gefahren. Dort, wo Prozesse der Aufwertung, Anpassung oder Qualifizierung nicht ausreichen, um einen sozial ausgewogenen Übergang zu einer klimaneutralen und nachhaltigen Wirtschaft zu unterstützen, braucht es weitere arbeits- und beschäftigungspolitische Instrumente. Dies betrifft besonders jene Branchen und Unternehmen, deren Geschäftsmodelle sehr stark an die Nutzung fossiler Energien gebunden sind und wo Alternativen schwerer umzusetzen sind. Ebenso wird die Verschiebung der Nachfrage nach grünen Gütern und Dienstleistungen zu einer Redimensionierung der Bedeutung fossiler Geschäftsmodelle und damit verbundener Arbeitsplätzen führen. Im Falle schwerwiegender Prozesse der Redimensionierung, welche auch lokal oder regional unterschiedlich stark ausfallen werden, braucht es einen ausgeprägten politischen Fokus auf soziale Sicherheit. Transformations-Arbeitsstiftungen, öffentliche Beschäftigungsprogramme sowie Jobgarantien und Modellen der Arbeitszeitverkürzung in Kombination mit Qualifizierungs- und Umschulungsangeboten sind Instrumente, die hier Anwendung finden können. Mit sogenannten In- und Outplacement-Stiftungen können die Übergänge von Beschäftigung aus schrumpfenden Bereichen hin zu klimasozial wünschenswerten Unternehmensfeldern unterstützt werden. Außerdem können Altersteilzeitmodelle dabei helfen, den demografischen Wandel zu nutzen, um die Verschiebung weg von fossilen Geschäftsmodellen und hin zu sozial-ökologischen Alternativen zu unterstützen und den Anpassungsdruck zu verringern.

Den Strukturwandel arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitisch aktiv gestalten!

Der Arbeitsmarkt- und Regionalpolitik sowie dem öffentlichen Sektor kommen in diesen großen Veränderungsprozessen besonders Lenkungs- und Steuerungsaufgaben zu. Sowohl die Rahmengesetzgebung als auch eine in die Zukunft gerichtete Arbeitsmarktpolitik bestimmen maßgeblich mit, wie und in welche Richtung sich der Strukturwandel entwickeln wird, welche Chancen genutzt werden oder welche Bedrohungen damit einhergehen. Eine „Just Transition“-Strategie muss dazu beitragen, die Potenziale des grünen Wandels im Sinne aller nutzbar zu machen und dabei Wertschöpfung und Beschäftigung zu sichern und zu fördern. Außerdem muss gerade in unsicheren Zeiten der großen Veränderungen auf soziale Sicherheit und sozialen Ausgleich geachtet und dies mit entsprechenden begleitenden Maßnahmen unterstützt werden. Das arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Instrumentarium muss dabei nicht neu erfunden werden, sondern ist schon lange bekannt. Was aber bisher fehlt, ist eben genau jene notwendige wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Strategie eines gerechten Wandels, welche der Komplexität der unterschiedlichen Anpassungs- und Veränderungsprozesse Rechnung trägt. Der Politik, den Sozialpartnern und auch den Unternehmen selbst kommt dabei eine wichtige Rolle zu, die Weichen in Richtung einer klimaneutralen Zukunft und einer sozial gerechten Transformation zu stellen und diese aktiv mitzugestalten.

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