Investitionsbedarf für die grüne und digitale Transformation

19. April 2022

Die Auswirkungen der Digitalisierung spüren wir seit vielen Jahren im Alltag. Die Konsequenzen einer beschleunigten Dekarbonisierung werden sich in den kommenden Jahren verstärkt zeigen. Erneuerbare Energien und der öffentliche Verkehr müssen im Zuge dessen ausgebaut, Gebäude saniert, die Industrie umgestellt und Infrastrukturen für Strom, Wärme, das Radfahren und E-Mobilität angepasst oder neu geschaffen werden. Dieser Umbau erfordert ausreichende Ressourcen. Neben Fachkräften, die den Umbau praktisch umsetzen können, braucht es die notwendigen Mittel zur Finanzierung des Umbaus. Doch wie groß ist der Investitionsbedarf eigentlich – und wer soll das alles bezahlen?

Die Transformation: lange Investitionszyklen und kapitalintensiv

Mit der digitalen und grünen Transformation, auch „Twin Transition“ genannt, sind enorme gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen verbunden. Vielfach müssen diese noch bestimmt werden. Klar ist jedoch, dass der Umbau der Infrastrukturen in Richtung einer klimaneutralen und digitalen Zukunft die Anpassung eines großen Teils des bisherigen Kapitalstocks in Form von Gebäuden, Maschinen, Heizsystemen und Netzinfrastrukturen erfordert.

Die Zeit drängt: Aufgrund langer Investitionszyklen im Bereich der Netzinfrastrukturen und der Industrie müssen die Planungen jetzt erfolgen, damit die Investitionen möglichst rasch zum Erreichen der Klimaziele beitragen können und Wertschöpfung bzw. Beschäftigung auch in Zukunft gesichert sind. Dabei sehen sich alle Beteiligten – der öffentliche Sektor, die Unternehmen und nicht zuletzt die Beschäftigten – aber großen Unsicherheiten in Bezug auf zukünftige Geschäftsmodelle sowie Nachfrage- und Absatzentwicklungen gegenüber. Auch entlang der globalen Lieferketten ist man nicht nur aufgrund klimatischer Veränderungen zunehmenden Risiken ausgesetzt.

Der Entwicklung von Übergangspfaden unter klaren Rahmenbedingungen und im engen Austausch aller Stakeholder, nicht zuletzt der Gewerkschaften, kommt bei der Reduktion von Unsicherheiten eine besondere Rolle zu. Ein klar vorgezeichneter Weg hilft den einzelnen Akteuren, sich entsprechend zu positionieren und den Weg in Richtung Klimaneutralität und digitaler Zukunft zu beschreiten.

Zukunftsinvestitionen in Höhe von 4 bis 5 Prozent des BIP

In Anbetracht dieser Unsicherheiten stellt sich zwangsläufig die Frage: Wann sollen welche Investitionen in welchem Ausmaß getätigt werden? Die Europäische Kommission geht in ihrer Mitteilung zum neuen europäischen Wachstumsmodell nunmehr von einem zusätzlichen Investitionsbedarf gegenüber dem letzten Jahrzehnt von durchschnittlich knapp 650 Mrd. Euro pro Jahr bis 2030 aus. Das entspricht 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union. Bei einem höheren Ambitionsniveau in der Klimapolitik würde der Bedarf noch deutlich höher ausfallen.

Eine Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Investitionen wird von der Kommission nicht getroffen. Sie geht jedoch davon aus, dass der überwiegende Teil der Investitionen vom Privatsektor getragen werden muss. Das spiegelt sich auch in der Strategie zur Finanzierung einer nachhaltigen Wirtschaft wider.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Der überwiegende Teil der notwendigen Investitionen fällt in die Bereiche Energie und Verkehr und wird von der EU-Kommission mittlerweile auf gut 390 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt. Davon umfasst sind Investitionen in Netzinfrastrukturen, Erzeugungsanlagen, die Dekarbonisierung der industriellen Produktion, die Gebäude- bzw. thermische Sanierung sowie die Anschaffung neuer Fahrzeuge (neben weiteren Investitionen im Verkehrssektor). Investitionsbedarfe für Verkehrsinfrastrukturen werden aber nur teilweise eingerechnet, und jedenfalls unberücksichtigt bleiben Investitionen zur Anpassung an den Klimawandel. Dies betrifft nicht zuletzt notwendige Investitionen, um den bestehenden Kapitalstock klimaresilienter zu machen. Daneben wird auch die Zunahme von Extremwetterereignissen weiterhin hohe Kosten verursachen.

Neben den energie- und klimapolitischen Schwerpunkten verfolgt der Europäische Grüne Deal weitere Umweltziele. Auch der Schutz natürlicher Ressourcen und der Biodiversität erfordert umfangreiche Investitionen. Aktuell geht die Europäische Kommission bis 2030 von einem jährlichen Bedarf von rund 130 Mrd. Euro für den Umweltschutz aus. Umfasst sind beispielsweise Investitionen in das Ressourcenmanagement oder die Stärkung kreislaufwirtschaftlicher Verfahren.

Für Investitionen im Zuge des digitalen Wandels geht die Europäische Kommission aktuell von einem zusätzlichen Bedarf in Höhe von jährlich 125 Mrd. Euro aus. Neben Kommunikationsinfrastrukturen beinhaltet diese Schätzung auch die Entwicklung digitaler Kompetenzen oder den Ausbau wichtiger digitaler Kapazitäten und Technologien – wie z. B. Cloud, Halbleiter und künstliche Intelligenz. Nicht enthalten sind jedoch beispielsweise die Investitionserfordernisse im Zuge der Digitalisierung im öffentlichen Dienst.

Datenlage zum Investitionsbedarf in Österreich derzeit unübersichtlich

Die aktuelle Datenlage zur Frage des Investitionsbedarfs in Österreich ist unübersichtlich. Mangels einer systematischen Analyse zur „Twin Transition“ beschränken wir uns hier im Wesentlichen auf Aspekte der Klima- bzw. Energiewende. Die Analysen – und mithin auch der festgestellte Investitionsbedarf – unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes (z. B. Sektoren, Regionen, Dekarbonisierung/Anpassung, zusätzlich vs. insgesamt etc.), des Zeitraums (z. B. bis 2030, 2040, 2050) und des Zeitpunkts der zu tätigenden Investitionen (Hauptlast am Beginn der Periode oder relativ gleichmäßig verteilt bis 2050). Eine umfassende Quantifizierung, wie sie die Kommission für die EU-27 vorlegt, liegt derzeit nicht vor. Im Fokus stehen vielmehr Sektoren- oder Detailanalysen. Auch Fragen der Umsetzung (Governance, politische Instrumente, Finanzierung) werden eher abseits der Quantifizierung des Investitionsbedarfs untersucht.

So zeigt eine Studie zur Dekarbonisierung der österreichischen Industrie einen Investitionsbedarf von 5,6 bis 11,2 Mrd. Euro bis ins Jahr 2040. Zu beachten ist aber, dass darin nur die direkten Investitionskosten – ohne Personal- und Organisationskosten – enthalten sind. Für die Dekarbonisierung des Wiener Energiesystems wird von einem Investitionsbedarf in Höhe von 21,2 Mrd. Euro bis 2040 ausgegangen. Weitere 7,3 Mrd. Euro an notwendigen Investitionen fallen dabei jedoch außerhalb Wiens an. Für den öffentlichen Nah- und Regionalverkehr in den Stadtregionen rechnet das KDZ mit einem Investitionsbedarf von mindestens 10 Mrd. Euro für den Zeitraum von 2018 bis 2030. Und eine Analyse der Bank Austria sieht neben den Investitionskosten für den Ausbau auf 100 Prozent erneuerbaren Strom bis 2030 – sie beruft sich auf eine Studie der TU Wien, die den Investitionsbedarf auf jährlich 2,6 Mrd. Euro schätzt – einen massiven Anstieg der Kosten aufgrund von Klimaschäden auf Österreich zukommen: Zur Mitte des Jahrhunderts könnten diese bereits 9 Mrd. Euro pro Jahr ausmachen.

Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt …?

Die notwendige Kraftanstrengung, um Europa in eine digitale und nachhaltige Zukunft zu führen, ist enorm. Klar ist, dass der Umbau der europäischen Wirtschaft nicht nur aus dem europäischen Haushalt finanziert werden kann, da allein der zusätzliche Investitionsbedarf dem Vierfachen des regulären jährlichen EU-Budgets entspricht.

In der europäischen Diskussion geht es daher im Kern auch um die Mobilisierung von privatem Anlagekapital für nachhaltige Investments. Dass dabei noch viele Fragen, insbesondere hinsichtlich sozialer Kriterien nachhaltiger Finanzanlagen, zu klären sind, kann hier nur am Rande erwähnt werden. Es zeigt aber einmal mehr, dass die politische Gestaltung bzw. Governance der Umsetzung dieser Monsteraufgabe eine sehr weitreichende Aufgabe ist.

Aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen an Geschäftsmodelle, Produkte, Dienstleistungen, Technologien und soziale Praktiken braucht es nicht nur zuverlässige Analysen. Es braucht auch Prozesse und Diskussionsräume zur Entwicklung von konkreten Übergangspfaden und daraus abgeleiteten Investitionsprogrammen und Regulierungen – auf nationaler und regionaler Ebene.

Zukunftsinvestitionen als Zusammenspiel von Öffentlich und Privat

Dabei kommt der öffentlichen Hand eine Schlüsselrolle zu. Sie ist aber auch für die Gestaltung eines klugen, symbiotischen Zusammenspiels von privaten und öffentlichen Investitionen verantwortlich. Das soll nicht nur ein Ansporn für die Unternehmen sein, in die eigene Zukunft zu investieren. Bei der Bereitstellung von Förderungen sind auch Beschäftigungs- und Standortgarantien einzufordern. Angesichts des immensen Finanzierungsbedarfs braucht es aber auch mehr budgetäre Gestaltungsspielräume auf nationaler Ebene. Schließlich ist die Frage der Transformation nicht nur eine technische oder ökonomische, sondern im Kern die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Und nur wenn das Verhältnis von Kosten und Nutzen von allen Beteiligten als fair empfunden wird, wird es auch einen gesellschaftlichen Rückhalt für den notwendigen Umbau Europas geben.

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