Die Ankündigung eines European Green Deals (EGD) durch die EU-Kommission wurde angesichts beachtlicher Zahlen wie des 1.000-Milliarden-Euro-Investment-Plans mit Applaus und Wohlwollen bedacht. Es scheint, als ob der Klimawandel merklich auf der EU-Prioritätenliste nach oben gewandert ist. Doch wie ambitioniert ist der Plan wirklich? Eine nähere Betrachtung zeigt: Gemessen an dem, was notwendig wäre, um das +1,5-Grad-Limit zu erreichen, braucht es wohl zusätzliche Maßnahmen, verbunden mit mehr finanziellen Mitteln.
Die Zeit drängt. Die Erde erwärmt sich stetig und ist aktuell etwa ein Grad wärmer als im vorindustriellen Durchschnitt. In der wissenschaftlichen Gemeinschaft besteht weitgehende Einigkeit über zentrale Fragen im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Erstens: Um eine weitere Erwärmung zu stoppen, müssen die weltweiten Netto-Treibhausgasemissionen auf null gesenkt werden. Zweitens: Es bleibt nicht mehr viel Zeit zum Handeln. Basierend auf den neuesten Schätzungen, reicht das für die EU verbleibende CO2-Budget nicht einmal bis 2030, sollten die jährlichen CO2-Emissionen nicht weiter sinken. Drittens: Ein Scheitern der weltweiten und europäischen Bemühungen, die Erderwärmung zu stoppen, wird die sozialen und ökonomischen Probleme in Europa verschärfen. Hitzewellen, Stürme und Überflutungen werden häufiger werden, und der Migrationsdruck aus jenen Gebieten außerhalb Europas, die unbewohnbar werden, wird steigen.
Die Allgemeine Zielsetzung des European Green Deals
Im Dezember letzten Jahres hat die EU-Kommission erste Details des EGD unter großem öffentlichem Interesse verlautbart. Von besonderer Bedeutung ist die Ankündigung, bis zum Jahr 2030 die Treibhausgasemissionen der EU zwischen 50 und 55 Prozent – im Vergleich zum Jahr 1990 – zu senken. Die bisherige Zielsetzung bestand aus einer Reduktion von 40 Prozent im Jahr 2030. Diese gesteigerte Ambition in der EU-Klimaschutzpolitik ist wichtig und richtig. Es gibt jedoch sich verdichtende Hinweise, dass diese Vorgabe nicht genug ist, um das 1,5-Grad-Ziel tatsächlich zu erreichen. Neueste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass eine Reduktion der europäischen Treibhausgasemissionen von 65 Prozent bis zum Jahr 2030 erforderlich ist, um Europas fairen Beitrag zu leisten.
European Sustainable Investment Plan
Der EGD besteht aus einem Umsetzungszeitplan, der vom sogenannten European Sustainable Investment Plan flankiert wird. Die EU-Kommission beabsichtigt, 1.000 Milliarden Euro (7,2 Prozent des BIP der EU-27 im Jahr 2019) in den nächsten zehn Jahren in den Klimaschutz zu investieren. Auf den ersten Blick wirken diese Zahlen beeindruckend. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch schnell Ernüchterung ein:
Erstens geht die EU-Kommission selbst von einem notwendigen Investitionsvolumen von 290 Milliarden Euro jährlich aus. Dies sind Ausgaben, die zusätzlich zu bestehenden und geplanten Ausgaben notwendig sind. Die jährlichen 100 Milliarden Euro des European Sustainable Investment Plan verbleiben somit deutlich unter den eigenen Schätzungen der Kommission.
Zweitens bestehen die angekündigten 1.000 Milliarden Euro zur Hälfte aus bestehenden EU-Programmen wie der Agrarförderung oder dem Strukturfonds. Somit handelt es sich bei mindestens 500 Milliarden Euro um bereits geplante Ausgaben – und nicht um zusätzliche Mittel im Kampf gegen den Klimawandel. Dieser Punkt wird jetzt jedoch durch den neuen „Next Generation EU“-Plan wieder aufgewogen, der 500 Mrd. Euro an zusätzlichen Ausgaben vorsieht – und einen Schwerpunkt auf den Green Deal legt.
Drittens ist die Schätzung eines notwendigen Investitionsvolumens von 290 Milliarden Euro jährlich höchst fraglich. Im Rahmen jener Studie angestellte Berechnungen, auf denen dieser Beitrag aufbaut, zeigen, dass jährliche Mehrausgaben in den EU-27 von 855 Milliarden Euro (6,1 Prozent des BIP der EU-27) nicht unrealistisch sind. Der nächste Abschnitt beleuchtet diese Berechnungen im Detail.
Bestehende Investitionslücken
Wie setzt sich der errechnete zusätzliche Investitionsbedarf von 855 Milliarden Euro jährlich zusammen? Den größten Brocken machen die Kosten für thermische Sanierungen aus. Eine detaillierte Studie im Auftrag der EU-Kommission im Jahr 2019 ergab, dass zusätzliche Investitionen von 490 Milliarden Euro jährlich für die thermische Gebäudesanierung notwendig sein werden, um das 1,5-Grad-Ziel von Paris zu erreichen.
Im Energieversorgungssektor werden in der EU jährlich Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen im Ausmaß von rund 67 Milliarden Euro getätigt. Unsere Studie geht von einem zusätzlichen Investitionsbedarf von 84 Milliarden aus und liegt damit leicht unter der Kommissionsschätzung von 112 Milliarden Euro jährlich.
Größere Unterschiede ergeben sich im Industriesektor. Die EU-Kommission geht lediglich von zusätzlich benötigten Investitionen von 17 Milliarden Euro aus, um neue CO2-neutrale Produktionstechnologien zu implementieren. Damit bleibt sie weit hinter den in der Studie angenommenen zusätzlich benötigten 80 Milliarden Euro zurück.
Die Umstellung auf eine CO2-neutrale Gesellschaft wird Technologien und Prozesse benötigen, die noch nicht verfügbar sind. Dies bedeutet höhere Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E). Die von der EU-Kommission im Jahr 2010 verlautbarte Europa-2020-Strategie beinhaltete als Ziel, 3 Prozent der Wirtschaftsleistung in F&E zu investieren. Geht man im Zuge der Klimakrise davon aus, dass Durchbrüche schneller als bisher angenommen benötigt werden, ist ein Ziel von 4 Prozent des BIP (201 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen) durchaus realistisch.
Klima-Investitionsbedarf in der EU (in Milliarden Euro jährlich)
Sektor | gegenwärtiges bzw. schon geplantes Investitionsvolumen | zusätzlich benötigte Investitionen |
Gebäude | 245 | 490 |
Energieversorgung | 67 | 84 |
Industrie | 210 | 80 |
Forschung & Entwicklung | 302 | 201 |
gesamt (exkl. Transport) | 824 | 855 |
Der Weg vorwärts
Trotz Zeitdrucks und eines massiven Investitionsrückstaus gibt es positive Entwicklungen. Schlüsseltechnologien wie Wind- und Solarkraftwerke sind so weit entwickelt, dass sie zur billigsten Form der Energieerzeugung aufgestiegen sind. Wärmepumpen verbrauchen bis zu 75 Prozent weniger Energie als konventionelle Gasthermen. Ein Systemwandel hin zu einer CO2-neutralen Gesellschaft ist in vielen Bereichen also durchaus möglich.
Zusätzliche Maßnahmen werden jedenfalls notwendig sein, folgende werden vorgeschlagen: