Der European Green Deal: Die Mittel müssen den Zielen entsprechen

20. Januar 2020

Die Europäische Union steht unter neuer Führung. Diewichtigste programmatische Änderung ist die zentrale Rolle, die die neueEuropäische Kommission dem Klimaschutz zuweist. Am 11. Dezember, nur wenigeTage nach ihrem Amtsantritt, präsentierte ihre Präsidentin Ursula von der Leyeneinen Fahrplan für einen umfassenden EuropeanGreen Deal. Dieser wurde am folgenden Tag vom Europäischen Rat gebilligt,obwohl Polen einen Vorbehalt bezüglich der nationalen Umsetzung hat.

Die Kommission schlägt vor, das EU-Ziel für die Verringerungder Treibhausgasemissionen bis 2030 von 40 % auf 50-55 % (gegenüber 1990) zuverschärfen. Dies ist zwar eine erhebliche Verbesserung, aber die Marge von 5Prozentpunkten ist ein Zeichen für die Schwierigkeiten, einen politischenKonsens zu erreichen. Zudem halten Umwelt-NGOs wie Greenpeaceeine Reduktion um 65 Prozent für notwendig, um die Verpflichtungen aus demPariser Abkommen von 2015 zu erfüllen. Das EU-Ziel der Klimaneutralität bis2050 soll Rechtskraft erhalten, was bei unzureichenden Anstrengungen dieMöglichkeit rechtlicher Schritte gegen EU-Institutionen oder Mitgliedsstaateneröffnen würde.

CO2-Bepreisung

Das bisherige Flaggschiff der EU-Klimaschutzpolitik ist dasETS. Es wurde 2005 gegründet und ist das größte Cap-and-Trade-System der Welt. Obwohldie CO2-Preise zeitweise sehr niedrig und volatil waren, gilt dieCO2-Bepreisung im Rahmen des ETS grundsätzlich als erfolgreich: Bis 2020 dürftendie unter das System fallenden Emissionen um 21 % gegenüber 2005 reduziertworden sein. Das ETS deckt jedoch nur etwa 45 % der europäischen Treibhausgasemissionenab, vor allem die der (Schwer-)Industrie, der Energieerzeugung und des innereuropäischenFlugverkehrs. Aber die Emissionen in Sektoren außerhalb des ETS – wie desübrigen Verkehrs, des Haushaltssektors und der Landwirtschaft – steigen.

Neben den bereits festgelegten schnelleren jährlichenKürzungen des Volumens der ausgestellten Zertifikate um 2,2 Prozent setzt sichdie Kommission im Rahmen des European Green Deal dafür ein, das System auf denSeeverkehr und die Fluggesellschaften auszuweiten. Ein Commitment, denStraßenverkehr als erhebliche und wachsende Emissionsquelle einzubeziehen,fehlt jedoch.

Ein Teil der im Rahmen des Emissionshandelssystems erteiltenZertifikate wird kostenlos zugeteilt, insbesondere an die Schwerindustrie, umsie vor einer Benachteiligung gegenüber der ausländischen Konkurrenz zuschützen. Richtig dabei ist: Für das Klima ist global nichts gewonnen, wenndurch eine CO2-Bepreisung die energieintensive Produktion in Länder außerhalbder EU verlagert wird („carbon leakage“). Wesentlich wirksamer wäre es jedoch,eine Grenzausgleichsabgabe auf den Kohlenstoffgehalt von Importen in die EU zuerheben (sofern die Hersteller im Herkunftsland keine vergleichbare Steuerzahlen). Im Rahmen des European Green Deal wird nun die Kommission eine Abgabefür ausgewählte Sektoren vorschlagen. Damit würde nicht nur die Rechtfertigungfür die Zuteilung kostenloser Zertifikate entfallen, sondern auch einen starkenAnreiz für andere Länder schaffen, dem Vorreiter EU bei der CO2-Bepreisung zufolgen.

Die Umsetzung ist jedoch technisch komplex. Wenn die Abgabedirekt an das ETS gekoppelt ist, erschwert die Volatilität des CO2-Preises dieFestlegung der Höhe der Abgabe. In jedem Fall müssen die legitimen Interessender Handelspartner und die Grundsätze der Nichtdiskriminierung iminternationalen Handel beachtet werden. Die Kommission will ein WTO-konformesSystem vorschlagen, aber es ist mit Anfechtungen seitens der Handelspartner zurechnen und das Gebiet ist juristisches Neuland.

KlimafreundlicheInvestitionen

Höhere CO2-Preise werden zwar klimafreundliche Investitionen des Privatsektors fördern, doch wird dieser Anreiz keinesfalls ausreichen, die enorme Investitionslücke für die Erreichung der Klimaziele zu schließen. Die Kommission schätzt sie bis 2030 auf 260 Milliarden Euro (rund 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 2018) jährlich, wobei die Minderung der sozialen Kosten (Just Transition) nicht berücksichtigt ist. Die Beteiligung des öffentlichen Sektors wird entscheidend sein.

Die Europäische Investitionsbank, der größte multilaterale Geber der Welt, soll eine Schlüsselrolle im European Green Deal spielen. Sie hat bereits die Finanzierung von Kohleprojekten beendet und angekündigt, dass alle Projekte im Zusammenhang mit fossilen Brennstoffen bis Ende 2021 auslaufen sollen, wobei ein Kompromiss in der heiklen Frage der Gaskraftwerke (die einige als notwendige Brückentechnologie ansehen) erzielt wurde. Die EIB plant, den Anteil der klimarelevanten Projektfinanzierungen zu verdoppeln und in den Jahren 2021-30 klimafreundliche Investitionen in Höhe von 1 Billion Euro zu mobilisieren.

Darüber hinaus soll der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) – das Hauptinstrument des Investitionsplans für Europa, der oft als Juncker-Plan bezeichnet wird und im Jahr 2015 aufgelegt wurde – stärker auf die Klimaziele ausgerichtet werden. Bereits in der zweiten EFSI-Phase (Mitte 2018 bis Ende 2020) sollen mindestens 40 Prozent der geförderten Infrastruktur- und Innovationsprojekte auf den Klimaschutz abzielen. Das gleiche Prinzip wie im EFSI – die EU stellt eine Erstverlustgarantie zur Verfügung, die es der EIB ermöglicht, risikoreichere Investitionen zu finanzieren – wird ein neues Programm für 2021-27 mit dem Namen InvestEU untermauern. Mit einem Fördervolumen von 38 Mrd. Euro könnte laut EU-Kommission eine Gesamtinvestition von bis zu 650 Mrd. Euro ausgelöst werden.

Über den EU-Haushalt, der von 2021 bis 2027 läuft, wird derzeit verhandelt. Insbesondere vor dem Hintergrund des Verlustes des Vereinigten Königreichs als Nettozahler ist eine signifikante Erhöhung, die dem programmatischen Anspruch des European Green Deal entspräche, sehr unwahrscheinlich. Die Kommission schlägt neue EU-Eigenmittel unter anderem aus einer Kunststoffverpackungssteuer und einem Teil der Einnahmen aus der Versteigerung von ETS-Zertifikaten vor, doch wird dies allein den Spielraum für Ausgaben nicht vergrößern: Höhere Eigenmittel würden lediglich die Haushaltsbeiträge der Mitgliedstaaten reduzieren.

Es geht also um eine Neugewichtung der Ausgabenprioritäten.Die Kommission sieht vor, dass 25 Prozent aller Programmausgaben im Haushaltauf den Klimawandel abzielen werden. Und der Spielraum für Umschichtungen istgrößer als oft gedacht.

Ein überproportionaler Teil des Budgets wird für dieLandwirtschaft aufgewendet, deren Beitrag zum Klimawandel immer besserdokumentiert ist. Änderungen der Finanzierung innerhalb der GemeinsamenAgrarpolitik könnten daher erhebliche Auswirkungen haben. Doch es wird nichtleicht sein, die politischen Mehrheiten für eine entsprechende Umsetzung zufinden, wie die jüngsten Bauernproteste gegen verschärfte Umweltvorschriften inden Niederlanden und Deutschland zeigen.

Die Regional- und Strukturfonds verteilen beträchtliche Mittel in der gesamten EU, insbesondere auf unterentwickelte oder stark arbeitslose Gebiete. Vieles könnte für einen sozial gerechten Übergang (Just Transition) getan werden, wenn diese Gelder gezielt zur Unterstützung der Anpassung in strukturschwachen Regionen verteilt würden; benachteiligten Regionen fehlen oft die Mittel zur Kofinanzierung oder zur Planung und Umsetzung. Nicht zuletzt wird mit dem vorgeschlagenen neuen Haushaltsrahmen das EU-Forschungsförderungsprogramm “Horizon Europe” auf 100 Milliarden Euro ausgeweitet, wobei mindestens 35 Prozent für Klimaschutzlösungen aufgewendet werden sollen.

Darüber hinaus ist im Rahmen des European Green Deal einspezieller Just Transition Fund vorgesehen. Dieser wird mit 100 Mrd.  Euro ausgestattet sein, um die Last derAnpassungen zur Erreichung der Emissionsminderungsziele abzufedern.

Seit Veröffentlichung des European Green Deal hat es eine Debatte gegeben, ob die erwähnten Milliarden-Beiträge realistischerweise zu Stande gebracht werden könnten. Die EU-Kommission hat zuletzt hierzu eine Mitteilung veröffentlicht. Tatsächlich sind die Kommissions-Angaben bestenfalls als Absichtserklärung angesehen werden können. Sie hängen von Unwägbarkeiten ab, wie die EU-Haushaltsverhandlungen, die Höhe von Kofinanzierungen und der „Hebel“, wenn öffentliche Gelder private Investitionen initiieren. Auch gibt es einige Beispiele der doppelten Abrechnung. Letztlich kann auf der EU-Ebene selbst nur so viel gemacht werden, wenn der EU-Budgetrahmen nicht signifikant ausgeweitet wird.

Regulatorischer Rahmenfür die Mitgliedsstaaten

Neben diesen Maßnahmen auf der EU-Ebene selbst werden imRahmen des European Green Deal regulatorische Änderungen vorgeschlagen, umMaßnahmen der Mitgliedstaaten zu erleichtern. Die Kommission wird eineÜberarbeitung der Energiesteuerrichtlinie aus dem Jahr 2003 vorschlagen, dieden Rahmen für die nationale Besteuerung von Energieerzeugnissen festlegt,insbesondere im Hinblick auf die Ausnahmeregelungen für Flug- undSchiffskraftstoffe. Wenn der Rat der EU einen Richtlinienentwurf über nationaleMehrwertsteuersätze verabschiedet, könnten die Mitgliedstaaten leichterermäßigte Sätze als Instrument des Klimaschutzes anwenden.

Im Dezember haben sich das Europäische Parlament, der Ratund die Kommission im Grundsatz auf eine so genannte Taxonomie der“grünen” Investitionen geeinigt, die einen wichtigen regulatorischenBaustein des European Green Deal bilden wird. Eine solche EU-weite Festlegungvon Standards ist wichtig, damit die Käufer von Finanzprodukten fundierteEntscheidungen treffen können (Vermeidung von “greenwashing”) und dieBankenregulierung grüne Investitionen und damit verbundene Finanzprodukteprivilegieren kann. Die Konkretisierung des Vorschlags dürfte politischkontrovers sein – wie die von Frankreich und Deutschland angestrebteEinbeziehung von Kernenergie- bzw. Gasprojekten zeigt.

Da die Ausgaben der nationalen Regierungen für denKlimaschutz eine Schlüsselinvestition für die Zukunft darstellen, gäbe es guteGründe, diese über Kredite zu finanzieren. Positiv ist die Ankündigung derKommission, dass sie bei der Überprüfung der Economic Governance einegesonderte Behandlung von Umweltinvestitionen im Rahmen der fiskalischen Regelnin Betracht ziehen will. Die entsprechende Formulierung ist jedoch sehr vage,und der Vorschlag dürfte zu kontroversen Diskussionen im Rat führen. Solange hierkeine Fortschritte erzielt werden, wird eine wichtige Lücke im European GreenDeal bestehen bleiben, da der Spielraum für klimapolitische öffentlicheInvestitionen auf nationaler Ebene begrenzt bleiben wird.

Fazit

Der Fahrplan der neuen Kommission setzt ehrgeizige Ziele undenthält vielversprechende, ineinander greifende Ansätze zur Reduzierung dereuropäischen Treibhausgasemissionen. Er verbindet EU-Initiativen mit derFestlegung eines verbesserten regulatorischen Rahmens für die nationalePolitik. Einige Projekte bleiben jedoch vage, und es ist zu bezweifeln, dassder Rat – trotz seiner allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Billigung desEuropean Green Deal – alle Vorschläge unterstützen wird, wenn sie konkretwerden.

Die geplanten Pläne für die Kohlenstoffbepreisung sind zu begrenzt. Die Mitgliedstaaten werden mit zusätzlichen nationalen Maßnahmen, wie z.B. Kohlenstoffsteuern, weiter gehen müssen, wie es Deutschland jetzt tut (siehe etwa S. 14-17 im IMK-Report zu den wirtschaftspolitischen Herausforderungen für 2020 in Deutschland und darüber hinaus). Bei erfolgreicher Umsetzung könnte eine Grenzabgabe zur Bekämpfung der Verlagerung von CO2-Emissionen ein entscheidender Schritt nach vorne sein, innerhalb Europas, aber auch darüber hinaus. Einige der von der Kommission Zahlen, insbesondere die Investitionen in Höhe von 1 Billion Euro, die angeblich durch Startkapital der EIB initiiert werden, müssen mit Vorsicht bewertet werden, da es immer Ungewissheit über Mitnahmeeffekte gibt. Entscheidend wird sein, ob es gelingt eine goldene Regel für die nationale Fiskalpolitik, zumindest für grüne Investitionen, durchzusetzen.

Im Verhältnis zum jährlichen BIP der EU von rund 15Billionen Euro und den enormen Kosten, die die Klimaschutzmaßnahmen vor allemden Haushalten mit niedrigen Einkommen auferlegen werden, scheint der übermehrere Jahre angelegte Just Transition Fund in Höhe von 100 Mrd. Eurounzureichend zu sein. Eine weitere Möglichkeit wäre, den Aufgabenbereich desEuropäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung zu erweitern, sodass auch ArbeitnehmerInnen profitieren können, wenn ihre Arbeitsplätze durchden klimabedingten Strukturwandel negativ beeinflusst werden. Es ist für denpolitischen Erfolg des European Green Deal entscheidend, den Ängsten vorsolchen potenziellen Verlierern – und vor höheren Energiepreisen – durchAusgleichsmaßnahmen zu begegnen, insbesondere durch die Schaffung hochwertiger,gut bezahlter Arbeitsplätze.

Dieser Beitrag erschien zunächst auf Social Europe und wurde nun vom Autor übersetzt und überarbeitet.

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung