Herausforderungen 2018: Konjunkturaufschwung für Strukturreformen nutzen

29. Dezember 2017

Der kräftige Konjunkturaufschwung mit einem Anstieg des realen BIP um mindestens drei Prozent sowohl 2017 als auch 2018 bewirkt einen merklichen Rückgang des Budgetdefizits und der Arbeitslosigkeit. Das wären ideale Ausgangsbedingungen für eine neue Regierung, die notwendigen Strukturreformen umzusetzen:

die Effizienz des föderalen Systems verbessern, Zukunftsinvestitionen in das Wohnen, den öffentlichen Verkehr und die Pflege tätigen, mithilfe von Vermögens- und Ökosteuern die Arbeitseinkommen entlasten, Vermittlung und Qualifizierung auf dem Arbeitsmarkt verbessern, Arbeitszeit verkürzen.

Kräftiger Konjunkturaufschwung

Bereits im Jahr 2015 setzte ein Konjunkturaufschwung ein, der dank der Impulse von Konsumnachfrage und Investitionstätigkeit im Lauf der Jahre 2016 und 2017 kräftig an Fahrt gewann. Die im internationalen Wettbewerb stehende Industrie hat ihre Wertschöpfung seit 2015 real um mehr als zehn Prozent ausgeweitet. Die steigende Kapazitätsauslastung veranlasst die Unternehmen zu umfangreichen Erweiterungsinvestitionen: Die besonders konjunkturreagiblen Ausrüstungsinvestitionen wurden seit 2015 real um mehr als 20 Prozent ausgeweitet, was auf ein Anhalten des kräftigen Aufschwungs schließen lässt. Indem die Unternehmen so rege in Österreich produzieren und investieren, bestätigen sie eindrucksvoll die hervorragende Qualität des Wirtschaftsstandortes.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Österreichs Wirtschaft wächst 2017 und 2018 real jeweils um mindestens drei Prozent, somit so stark wie seit zehn Jahren nicht mehr. Derzeit sind keine Anzeichen einer Konjunkturabschwächung erkennbar. Damit werden auch die wirtschaftlichen Kosten der tiefen von Finanzmärkten und Banken verursachten Krise nach zehn Jahren endlich bewältigt. Der heimische Aufschwung wird wesentlich von der expansiven Geldpolitik und der nicht mehr restriktiven Fiskalpolitik auf europäischer Ebene unterstützt, ist allerdings deutlich stärker als jener der Eurozone. Er bewirkt einen expliziten Rückgang von Budgetdefizit und Arbeitslosigkeit. Selten waren die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen für eine neu ins Amt kommende Bundesregierung so günstig wie heute.

Konjunkturaufschwung saniert das Budget

Kräftiges Wachstum von Beschäftigung, Einkommen und Konsum führen zu einer markanten Ausweitung der gesamtstaatlichen Einnahmen. Diese dürften 2018 nominell um mehr als vier Prozent zunehmen; besonders stark bei Lohnsteuer, Körperschaftssteuer und Sozialversicherungsbeiträgen. Trotz steigender Ausgaben für Sozialleistungen und Förderungen und bei stark sinkenden Ausgaben für Zinsen führt die Konjunktur zu einem automatischen Rückgang des gesamtstaatlichen Budgetdefizits von 1,6 % des BIP im Jahr 2016 auf wahrscheinlich weniger als 0,5 % des BIP 2018. Auch die Staatsschulden sinken rasch: Sie hatten ihren durch Finanzkrise und Bankenrettung verursachten Höhepunkt 2015 mit mehr als 84 % des BIP erreicht, werden bereits 2018 um zehn Prozentpunkte darunter liegen und 2022 ihr Vorkrisenniveau von 65 % des BIP unterschreiten. Die Budgetkonsolidierung wäre nur gefährdet, wenn eine Senkung der Steuerquote Vorrang vor einer vernünftigen Budgetpolitik erhalten würde.

Strukturreform I: Föderalismusreform

Eine gute Wirtschaftsentwicklung bildet die notwendige Voraussetzung für die Konsolidierung des Staatshaushaltes. Sie ist zudem der wirtschaftlich und politisch am besten geeignete Zeitpunkt für die Umsetzung von Strukturreformen. Die notwendigen Weichenstellungen liegen auf der Hand. Auf der Seite der Staatsausgaben geht es erstens um eine Neukonzeption der Aufgabenverteilung im föderalen System Österreichs, die mit erheblichen Effizienzsteigerungen und mittelfristig auch mit Einsparungen im Staatshaushalt verbunden sein kann. Das Regierungsprogramm beinhaltet in Bezug auf den Föderalismus eine Reihe von Ankündigungen, von denen mehrere in die richtige Richtung zielen: Eine grundsätzliche Aufgabenkritik ist ebenso sinnvoll wie eine stärkere Aufgabenorientierung im Finanzausgleich sowie die Reduktion der vielfältigen Transferströme zwischen den Gebietskörperschaften und der Ausbau der Transparenzdatenbank.

Strukturreform II: Zukunftsinvestitionen

Zweitens muss der gleiche Zugang für alle Bevölkerungsgruppen zu öffentlichen Leistungen verbessert werden. Der größte Handlungsbedarf besteht in der raschen Ausweitung des sozialen Wohnbaus vor allem in den Ballungszentren, wo die Bevölkerung rasch wächst (Minimalziel: 25.000 Wohnungen pro Jahr zusätzlich), im stetigen Ausbau des öffentlichen Verkehrs zur Verbesserung der wirtschaftlichen Chancen der Menschen und zur Reduktion des umweltschädlichen motorisierten Individualverkehrs (Regionalverkehrsinitiative) und im Ausbau eines öffentlichen Pflegesystems, das verhindert, dass die sozialen Unterschiede zwischen Arm und Reich zu Ende des Lebens noch einmal schlagend werden („Pflegemilliarde“). Von diesen dringenden Zukunftsinvestitionen findet sich im Regierungsprogramm mit Ausnahme des öffentlichen Verkehrs kaum etwas.

Strukturreform III: Vermögens- und Ökosteuern finanzieren Entlastung der Arbeitseinkommen

Auch auf der Seite der Staatseinnahmen liegen die notwendigen Strukturreformen auf der Hand. Es geht nicht um die Senkung der Abgabenquote, die konjunkturbedingt ohnehin zurückgeht und generell eher Ausdruck der Leistungsfähigkeit des Sozialstaates und der Wirtschaft ist, sondern um eine Abgabenstruktur, die Leistung belohnt, Nachhaltigkeit sichert und Fairness sicherstellt. In diesem Sinn sollten Arbeitseinkommen entlastet und im Gegenzug vermögensbezogene und ökologisch ausgerichtete Steuern erhöht werden. Eine derartige Steuerstrukturreform empfehlen alle internationalen Institutionen, fehlt aber im Regierungsprogramm. Eine zielgerichtete Finanzpolitik kann in spezifischen Bereichen Ausgaben- und Einnahmenerfordernisse auch effizient kombinieren, etwa indem das Aufkommen einer aus wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftspolitischen Gründen dringend einzuführende Erbschaftssteuer für den Ausbau des Pflegesystems zweckgebunden wird.

Konjunkturaufschwung führt zu Beschäftigungsrekord

Der Konjunkturaufschwung bewirkt eine rasante Ausweitung der Beschäftigung: Allein in den Jahren 2017 und 2018 entstehen in Österreich fast 140.000 neue Jobs, deren Gesamtzahl damit auf über 3,6 Millionen steigt. Die Qualität der neuen Jobs verbessert sich, so wächst etwa die Zahl der Vollzeit- und Industriearbeitsplätze merklich. Der starke Anstieg der Beschäftigung ist auch mit einem Rückgang der Zahl der Arbeitslosen verbunden, der wegen der starken Ausweitung des Arbeitsangebots durch Zuwanderung und Pensionsreformen aber verhalten ausfällt: 2017 und 2018 wird die Zahl der Arbeitslosen um fast 40.000 schrumpfen, bleibt damit aber um mehr als 100.000 über dem Niveau vor Ausbruch der Finanzkrise.

Vollbeschäftigung, also eine Arbeitsmarktsituation, in der alle Beschäftigungssuchenden einen adäquaten Arbeitsplatz finden können, ist damit noch weit entfernt. Sie würde eine auch mittelfristig günstige gesamtwirtschaftliche Entwicklung mit reger Investitionstätigkeit voraussetzen, doch die aktuell hohe Nachfrage nach Arbeitskräften muss auch für dringende Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt genutzt werden.

Strukturreform IV: Verbesserung von Vermittlung und Qualifizierung

Die stark steigende Beschäftigung, die hohe Zahl an offenen Stellen und die hohe Arbeitslosigkeit weisen unmittelbar auf die große Bedeutung einer Intensivierung der Vermittlungstätigkeit hin. Vor allem eine Verbesserung der Relation zwischen der Zahl der AMS-BetreuerInnen und jener Arbeitslosen und verstärkte Qualifizierungsanstrengungen könnten die Vermittlungsergebnisse gerade bei guter Konjunktur verbessern. Innovative Arbeitsmarktinstrumente wie die Aktion 20.000, die ältere Langzeitarbeitslose in kommunale und gemeinnützige Beschäftigung bringt, wären auszubauen. Es wäre eine besonders fahrlässige und nicht durch Fakten belegte Fehlentscheidung, diese zu kürzen. Zudem gilt es die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Mobilität der Arbeitssuchenden zu verbessern, etwa indem in Regionen mit hoher qualifizierter Arbeitskräftenachfrage gezielt in den sozialen Wohnbau investiert wird.

In der Arbeitsmarktpolitik weist das Regierungsprogramm keine zukunftsfähigen Projekte auf: Statt mit verstärkter Qualifizierung und Vermittlung den Arbeitslosen zu guten Jobs zu verhelfen, soll der Druck auf die Arbeitslosen erhöht werden: Geldleistungen sollen ganz besonders für Langzeitarbeitslose gekürzt und Zumutbarkeitsregeln verschärft werden.

Strukturreform V: Arbeitszeitverkürzung für einen höheren Lebensstandard

Das Regierungsprogramm ist recht einseitig auf die Stärkung der unternehmerischen Freiheiten ausgerichtet und bietet wenig Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der breiten Masse der Bevölkerung. Eine wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik müsste sich auch mit dem Wertewandel auseinandersetzen, der in der Gesellschaft zu beobachten ist und z. B. immaterielle Ziele des Lebensstandards immer stärker gewichtet. Vor allem der Wunsch nach mehr Freizeit auch bei jungen Facharbeitskräften müsste von Politik und Unternehmen stärker wahrgenommen werden. Die Gewerkschaften haben hier mit der Freizeitoption und neuen Schichtplänen innovative Modelle vorgelegt. Eine sechste Urlaubswoche für alle Beschäftigten wäre ein nächster Schritt einer wohlstandsorientierten Arbeitsmarktpolitik, die bei guter Konjunktur leichter umsetzbar wäre.