Aktuell wächst die Beschäftigung in Österreich – die Zahl der Arbeitslosen sinkt zwar, dennoch erreicht der Beschäftigungsaufschwung etwa ältere Arbeitsuchende nur unterdurchschnittlich. Um die Vermittlung Arbeitsuchender zu verbessern, setzen einige auf erhöhten Druck. Was den Betroffenen aber wirklich hilft, ist mehr Kontakt mit ihren BetreuerInnen im AMS, mehr Zeit für Beratung und Unterstützung bei der Arbeitssuche.
Das zeigen jedenfalls zwei Experimente, die das AMS in Wien und Oberösterreich durchgeführt hat.
Mehr finanzieller Druck auf Arbeitslose – sozial fatal und arbeitsmarktpolitisch der falsche Weg
Seit Jahren wird – angefeuert durch die angeblich bessere Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland, im Kern aber vom Wunsch nach Absenkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung getragen – von rechtskonservativen Politikern und den Interessenvertretungen der Arbeitgeber in Österreich die Abschaffung der Notstandshilfe und ihr Ersatz durch die Mindestsicherung in die arbeitsmarktpolitische Diskussion getragen. Arbeitslose müssten einfach unter stärkeren finanziellen Druck gesetzt werden, dann würde die Arbeitslosigkeit in Österreich noch deutlicher sinken als es aktuell der Fall ist.
Ist das wirklich so? Eine Analyse mehrerer in letzter Zeit veröffentlichter Studien weist doch in eine andere Richtung. Zum einen bestätigt eine vom AMS Oberösterreich in Auftrag gegebene Untersuchung Befunde, die etwa auch im Projekt „Offen gesagt“ der AK Wien zu Tage getreten sind: Es gibt schlicht manifeste Vorurteile bei Unternehmen gegen die Einstellung von Arbeitslosen, insbesondere dann, wenn die Arbeitslosigkeit bereits länger andauert. An diesen vermutlich stark vom öffentlichen Diskurs über Arbeitslosigkeit und Arbeitslose bestimmten Haltungen kann aber durch stärkeren Druck auf Arbeitslose nicht wirklich etwas geändert werden.
Eine Untersuchung des WIFO über die Wirkungen zentraler Interventionen des AMS in den Vermittlungsprozess zeigt weiter, dass es am Ende des Arbeitslosengeldbezuges zu einem erhöhten Abgang aus der Arbeitslosigkeit kommt. Dieser ist aber vom arbeitsmarktpolitisch unerwünschten Austritt aus dem Arbeitsmarkt und nicht von einem erhöhten Übergang in Beschäftigung bestimmt. Ähnliches gilt auch für die Sanktionen, also die Sperre des Leistungsbezuges etwa wegen Nichtannahme einer zumutbaren Beschäftigung. Auch diese führen zu mehr Abgang aus dem Arbeitslosenregister und drängen Personen eher gänzlich aus dem Arbeitsmarkt, als dass sie zu mehr Beschäftigungsaufnahmen führen.
Abgesehen von den negativen arbeitsmarktpolitischen, gesellschaftlichen und sozialen Folgen, die eine Kopie der deutschen Hartz-IV-Gesetzgebung durch eine kommende Bundesregierung in Österreich hätte – sie würde auch dazu führen, dass sich deutlich mehr Personen gänzlich aus der Erwerbsbeteiligung und aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen würden. Ein solcher Effekt mag aus sehr kurzfristiger Sicht für manche ja erwünscht sein, mittel- und längerfristig würde er jedoch volkswirtschaftlich deutliche Nachteile mit sich bringen: Er bedeutet doch ganz einfach eine Verkleinerung des Arbeitskräftepotenzials in Österreich, eine massive Entwertung individueller und öffentlicher Investitionen in berufliches Know-how.
Es gibt also einiges, was darauf hinweist, dass eine Verschlechterung des Leistungsniveaus der österreichischen Arbeitslosenversicherung – das ja im Vergleich mit ähnlich wirtschaftsstarken Mitgliedstaaten der EU ohnehin schon niedrig ist – die Funktionsfähigkeit des österreichischen Arbeitsmarktes nicht entscheidend verbessern würde.
Was also tun, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wieder Beschäftigung und Einkommen zu ermöglichen? Was also tun, damit auch Arbeitslose mit eher größeren Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche die Chancen des gegenwärtigen Beschäftigungsaufschwunges nutzen können?
Verbesserte Arbeitsvermittlung durch das AMS – häufigere Kontakte mit dem AMS und mehr Zeit für Beratung und Unterstützung bei der Arbeitssuche sind der Schlüssel zum Erfolg
Ein Teil der Antwort lässt sich in der Evaluierung eines sogenannten „kontrollierten Zufallsexperimentes“ des AMS in je einer Geschäftsstelle in Oberösterreich und in Wien finden:
In zwei regionalen Geschäftsstellen wurden Arbeitsuchende – im Wesentlichen durch den „Zufallsgenerator“ Geburtsdatum – in eine „Treatmentgruppe“ mit einer deutlich besseren Relation zwischen AMS-BetreuerIn und zu betreuenden Arbeitsuchenden und in eine Kontrollgruppe mit der aufgrund der Personalsituation im AMS üblichen schlechteren Betreuungsrelation aufgeteilt.
So sank der Betreuungsschlüssel in der Servicezone einer regionalen Geschäftsstelle in Oberösterreich durch den Einsatz von sieben zusätzlichen AMS-MitarbeiterInnen für die Treatmentgruppe von 1:90 auf 1:65 (im Winter von 1:140 auf 1:90). In einer Beratungszone einer AMS-Geschäftsstelle in Wien wurden in der Treatmentgruppe 100 vorgemerkte Arbeitslose von einer/einem AMS-MitarbeiterIn betreut, in der Kontrollgruppe blieb es beim Verhältnis von 1:250. Um das Verhältnis von 1:100 in der Treatmentgruppe in Wien zu erreichen, wurden acht zusätzliche MitarbeiterInnen eingesetzt.
Die beiden Experimente wurden zwölf Monate durchgeführt und dann vom WIFO anhand von Daten des Hauptverbandes und des AMS evaluiert. Für beide Gruppen – die jeweilige Treatment- und Kontrollgruppe – konnten die gleichen arbeitsmarktpolitischen Interventionen von den BeraterInnen gesetzt werden, vom Vermittlungsvorschlag über Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen bis hin zu Beschäftigungsförderung.
Das Ergebnis: mehr Beschäftigungsaufnahmen, besserer Einsatz von Aus- und Weiterbildung, weniger Ausgaben für Arbeitslosenversicherungsleistungen
Die Ergebnisse des besseren Verhältnisses zwischen BetreuerInnen und zu Betreuenden sind signifikant.
Es kam in den Treatmentgruppen zu deutlich mehr Vermittlungsaktivitäten und zu mehr Beschäftigungsaufnahmen als in der Vergleichsgruppe. Zudem erhöhten sich auch die Teilnahmen an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Wichtig ist aus Sicht der Betroffenen, dass sich eine intensivere Betreuung durch das AMS bei den Beschäftigungen nicht in geringerer Qualität dieser niederzuschlagen scheint: Bei Einstiegslöhnen, Stabilität der Beschäftigung, Branche des neuen Arbeitgebers und beim Arbeitsort sind keine Veränderungen zwischen den beiden Gruppen zu beobachten. Mehr Unterstützung durch das AMS scheint also nicht zu einer höheren Bereitschaft bei Arbeitslosen zu führen, die schlechteren Einkommens- und Arbeitsbedingungen des neuen Arbeitsplatzes zu akzeptieren. Erhöhte sogenannte „Konzessionsbereitschaft“ von Arbeitsuchenden und damit indirekt ein erhöhter Druck auf die Einkommens- und Arbeitsbedingungen aller ArbeitnehmerInnen ist aber ein klar erkennbares Ziel einer Politik des stärkeren finanziellen Drucks auf Arbeitsuchende.
Langzeitbeschäftigungslose profitieren besonders
Ältere Arbeitsuchende und Langzeitbeschäftigungslose profitieren laut den Studienergebnissen stärker von mehr Unterstützung als Jugendliche und Arbeitsuchende mit Gesundheitsproblemen. Die Erklärung liegt wohl darin, dass die Betreuungssituation bei Jugendlichen auch in den Kontrollgruppen bereits besser war und dass Arbeitsuchende mit Gesundheitsproblemen andere Formen der Unterstützung als bessere Beratung und Vermittlung brauchen, insbesondere eine bessere medizinische Versorgung gerade bei psychischen Erkrankungen und mehr Einstiegsunterstützung in den Unternehmen. Ob jetzt Frauen oder Männer stärker von intensiveren Kontakten mit dem AMS profitieren, lässt sich nicht eindeutig beantworten.
Es gibt allerdings neben mehr Beschäftigungsaufnahmen und mehr und besserer Maßnahmenteilnahme noch einen Effekt: In den Treatmentgruppen haben sich etwa im Wiener Versuch um gut drei Prozentpunkte mehr Menschen entschlossen, in eine erwerbsinaktive Position zu wechseln als in der Kontrollgruppe. Dieser Effekt ist bei denjenigen, die zu Beginn des Projektes bereits in Betreuung waren, deutlich stärker als bei jenen, die während des Versuches in die Treatmentgruppe eingetreten sind. Ein intensiverer Kontakt des AMS mit den Arbeitsuchenden unterstützt letztere offensichtlich auch bei der Entscheidung, ob sie sich um einen neuen Arbeitsplatz bemühen wollen bzw. müssen oder nicht – ein für eine aus Beiträgen finanzierte Sozialversicherung nicht unerheblicher Effekt. Eine bessere AMS-Betreuung bewirkt, dass die Menschen ihren Wiederbeschäftigungswunsch bzw. ihre Wiederbeschäftigungsnotwendigkeit und die aus dem Leistungsbezug resultierenden Pflichten klarer beurteilen können.
Überraschend hohe Einsparungen für die Arbeitslosenversicherung
Und auch für das Budget hat eine intensivere Betreuung durch das AMS infolge mehr Beratungskapazitäten positive Auswirkungen: Durch die Verkürzung der Vormerkdauern und auch durch den effektiveren Einsatz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen wurde in den beiden Treatmentgruppen trotz der höheren Kosten für die Förderungen und die Personalzusatzkosten um insgesamt 3,4 Mio. Euro weniger ausgegeben als in den Kontrollgruppen. Dabei sind „Umwegrentabilitäten“, also der indirekte Nutzen aus kürzerer Arbeitslosigkeit für die öffentlichen Kassen wie etwa steigende Lohnsteuer- und Sozialversicherungsabgaben, gar nicht in Anschlag gebracht.
Der Vergleich macht sicher
Wer ernsthaft Arbeitslosigkeit zurückdrängen will, der sollte zunächst auf eine optimale Relation zwischen BeraterInnen im AMS und zu betreuenden Arbeitsuchenden achten – die Evaluierung der beiden Experimente im AMS zeigt deutlich, dass diese zurzeit nicht gegeben ist und es daher eine Aufstockung des Personals im AMS bräuchte.
Erhöhter finanzieller Druck löst hingegen weder das (Langzeit-)Arbeitslosigkeitsproblem, wie an der Situation in Deutschland unschwer gesehen werden kann, noch erhöht er die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes durch eine möglichst rasche Vermittlung von Arbeitsuchenden auf Arbeitsplätze, die ihren Qualifikationen entsprechen und auf denen sie ihre Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten möglichst optimal einsetzen können. Das Einzige, was etwa durch eine Abschaffung der Notstandshilfe erreicht werden würde, ist, dass die Menschen stärker unter Druck gesetzt werden – die Abschaffung führt darüber hinaus zu mehr Armut in Österreich und zum dauerhaften Verlust eines Erwerbspotenzials in einer Volkswirtschaft, in der die im Inland verfügbaren Arbeitskräfte bereits zurückgehen.