Corona: Wieder die Gefahr einer verlorenen Generation?

24. April 2020

Die Restriktionen der Bundesregierung zur Eindämmung des Corona-Virus haben am Arbeitsmarkt zu großen Verwerfungen geführt. Aus früheren Rezessionen ist bekannt, dass junge Menschen als erstes und besonders stark betroffen sind. Bereits jetzt steigt die Jugendarbeitslosigkeit auf ein historisches Rekordniveau. Bevor das aktuelle Schuljahr endet und im Juli viele SchulabsolventInnen in den Arbeitsmarkt eintreten, sollte ein umfassendes Jugendrettungspaket in Österreich geschnürt werden.

Wirtschaftseinbruch und Jugendarbeitslosigkeit

Betriebe stellen bei Wirtschaftseinbrüchen weniger neue Arbeitskräfte ein, wodurch sich die Jobchancen für neue SchulabsolventInnen reduzieren. Ebenso verknappt sich das Angebot an offenen Lehrstellen. Junge Menschen sind aber auch häufiger von Kündigungen betroffen. Für Betriebe scheinen die Kosten geringer zu sein, wenn sie jüngere MitarbeiterInnen kündigen, da sie weniger in deren Weiterbildung investiert haben als bei älteren. Außerdem verfügen jüngere Beschäftigte in der Regel über einen schwächeren Kündigungsschutz als ältere ArbeitnehmerInnen (last in, first out), beispielsweise durch kürzere Kündigungsfristen bei kürzerer Betriebszugehörigkeit. Auf Basis von OECD-Daten zeigt sich im Zeitraum 1970 bis 2009, dass ein Anstieg der Arbeitslosigkeit von einem Prozent bei Personen im Haupterwerbsalter einen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit von 1,8 Prozent bedeutet. Auch während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 waren junge Menschen von Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich betroffen. Laut Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) soll es heuer in Österreich voraussichtlich zu einem Rückgang des realen Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 7 Prozent kommen. Es ist daher von einem drastischen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit auszugehen.

Bereits im März historisch hohe Jugendarbeitslosigkeit

Laut WIFO sank aufgrund des Arbeitsmarktschocks durch Corona die Beschäftigung bei jungen Menschen (unter 25-Jährige: –36.538 bzw. –8,6 Prozent) am stärksten. Im März 2020 waren fast 90.000 junge Menschen (unter 25 Jahre) in Österreich entweder arbeitslos (57.275), in Schulung (25.187) oder auf Lehrstellensuche (7.107). Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies, dass sich die Anzahl der Arbeitssuchenden (arbeitslos, in Schulung oder auf Lehrstellensuche) um 26.036 junge Menschen bzw. um 41 Prozent erhöht hat. Historisch gesehen ist das ein absoluter Höchstwert.

Negative Folge von Jugendarbeitslosigkeit

Die Jugendphase ist ein sensibler Lebensabschnitt, geprägt von Sozialisation und Identitätsfindung. Erwerbstätigkeit und (Aus-)Bildung spielen hier eine wesentliche Rolle. Auf der anderen Seite können längerfristige Arbeitslosigkeitserfahrungen Narben (sogenannte scarring effects) bei Jugendlichen hinterlassen, die im späteren Leben noch zu einer geringeren Lebens- und Arbeitszufriedenheit, zu einem schlechteren Gesundheitszustand, geringeren Einkommenschancen und zu einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko führen. So wurde beispielsweise gezeigt, dass eine Arbeitslosigkeitsdauer von sechs Monaten im Alter von 22 Jahren zu einem geringeren Stundenlohn von 8 Prozent im Alter von 23 Jahren führt. Im Alter von 26 Jahren liegt der Lohn um 5 Prozent und im Alter zwischen 30 und 31 Jahren immer noch um 2 bis 3 Prozent niedriger als bei Jugendlichen ohne Arbeitslosigkeitserfahrungen. In Bezug auf den Gesundheitszustand kann von einem „Teufelskreis“ in Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit ausgegangen werden. Zum einen sind junge Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit einem höheren Arbeitslosigkeitsrisiko konfrontiert. Zum anderen kann längere Arbeitslosigkeit den Gesundheitszustand negativ beeinflussen, was wiederum die Arbeitsmarktchancen verschlechtert. Auch hier sind die negativen Folgen sehr langfristig nachweisbar. So kann ein negativer Einfluss von Arbeitslosigkeit im Jugendalter auf das gesundheitliche Wohlbefinden noch im Alter von 50 Jahren nachgewiesen werden.

Neben den individuellen Folgen verursacht Jugendarbeitslosigkeit auch hohe volkswirtschaftliche Kosten. Laut Berechnungen von Bacher (2020) belaufen sich die volkswirtschaftlichen Kosten aufgrund der dauerhaften (über sechs Monate) Nichtintegration von 43.500 Jugendlichen ins Ausbildungs- und Beschäftigungssystem (NEET) auf 775 Millionen pro Jahr in Österreich.

Die Vermeidung von Jugendarbeitslosigkeit sollte daher politisch höchste Priorität haben, nicht nur aufgrund der individuellen Schicksale, der gesundheitlichen Schäden und der volkswirtschaftlichen Kosten, sondern vor allem aufgrund der politischen und sozialen Risiken.

Abschätzung der betroffenen Jugendlichen

Zur Abschätzung der Zahl der betroffenen Jugendlichen wurde ihr Arbeitsmarktstatus nach Einbindung in das (Aus-)Bildungssystem und in das Erwerbssystem ausdifferenziert. Wir haben dazu die Definitionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verwendet. Diese Befragungsdaten weichen von den nationalen Registerdaten ab. Von den 934.500 jungen Menschen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren besuchten 453.700 – also beinahe die Hälfte (49 Prozent) – im Jahr 2019 eine Schule oder studierten. 276.100 waren erwerbstätig, wobei hier erwerbstätige SchülerInnen und Studierende sowie Lehrlinge nicht eingerechnet sind. In Summe gaben 43.600 Jugendliche an, arbeitslos zu sein. In einer NEET-Situation (Jugendliche, weder beschäftigt noch in Ausbildung oder Weiterbildung) befanden sich 65.100 Jugendliche. Die NEET-Quote 2019 lag mit 7,1 Prozent bereits über jener des Vorjahres von 6,8 Prozent.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Auf Basis der Ausgangswerte 2019 (Abbildung 1) wurden einfache Modellrechnungen vorgenommen. Bei diesen wurde angenommen, dass die Erwerbstätigkeit um 5, 7,5 und 10 Prozent zurückgeht und dieser Rückgang zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führt, wenn keine weiteren, über die Maßnahmen von 2019 hinausgehenden politischen Interventionen gesetzt werden.

Tabelle 1: Auswirkungen eines unterschiedlichen Ausmaßes der Reduktion der Erwerbstätigkeit

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Quellen: Eurostat, lfsa_pganws, une_rt_a, edat_lfse_20, MZ2019, eigene Berechnungen.

Wenn die IWF-Prognose mit einem BIP-Rückgang von 7 Prozent zutrifft, würde sich die Anzahl von erwerbstätigen Jugendlichen um rund 5 Prozent reduzieren. Da derzeit Prognosen noch mit großer Unsicherheit behaftet sind, erscheint uns auch ein Rückgang von 7,5 Prozent nicht ausgeschlossen.

Wenn die Erwerbstätigkeit um 7,5 Prozent sinkt, würde das bedeuten, dass die Zahl der Arbeitslosen von 43.700 auf 79.300 steigt. In Prozentpunkten ausgedrückt würde sich die Arbeitslosigkeit von 8,4 auf 15,3 Prozent erhöhen, also fast verdoppeln. Die Zahl der NEET-Jugendlichen würde analog von 65.200 auf 93.400 steigen.

Der durch eine Reduktion der Erwerbstätigkeit um 7,5 Prozent entstehende Bedarf lässt sich wie folgt quantifizieren:

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Jugendrettungspaket – koste es, was es wolle

Der österreichische Finanzminister Blümel hat zur Rettung der Wirtschaft ein Budget in der Höhe von 38 Milliarden Euro geschnürt und mit dem Slogan „koste es, was es wolle“ vermarktet. Angesichts der steigenden Jugendarbeitslosigkeit braucht es auch für junge Menschen ein Rettungspaket nach diesem Motto. Folgende zehn Ansatzpunkte erscheinen prioritär und sollten vor dem Sommer noch umgesetzt werden:

  1. Reduktion von Schulabbrüchen durch Fortsetzung und Ausbau von Coaching- und Unterstützungsstrukturen in der Schule. SchülerInnen sollten motiviert werden, die Schule im Herbst fortzusetzen. Gleiches gilt für Studierende.
  2. Bessere finanzielle Absicherung von Studierenden durch Erhöhung von Stipendien, insbesondere Selbsterhalterstipendien, damit sie sich ihr Studium auch ohne Erwerbstätigkeit leisten können
  3. Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Die arbeitslosen Jugendlichen sollten ebenfalls ausreichend abgesichert sein, um Überschuldungen usw. zu vermeiden.
  4. Die Kürzungen der Ausbildungsbeihilfe in der überbetrieblichen Lehrausbildung und in ausbildungsvorbereitenden Maßnahmen sind wieder zurückzunehmen.
  5. Ausweitung von niederschwelligen Ausbildungs- und Beschäftigungsformen wie Produktionsschulen
  6. Im Rahmen der Ausbildungsgarantie bis 18 soll jedem/jeder erfolglosen Lehrstellensuchenden eine Ausbildungsmöglichkeit eröffnet werden. Das Angebot an überbetrieblichen Lehrausbildungsplätzen muss mindestens verdoppelt werden.
  7. Deutliche Aufstockung des AMS-Budgets, um eine qualitative Betreuung/Beratung von speziellen Zielgruppen zu gewährleisten. Rasche Erweiterung der Kapazitäten im Bereich des kostenlosen psychologischen und psychotherapeutischen Angebots, damit z. B. Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei der Bewältigung der Arbeitslosigkeit geholfen werden kann.
  8. Ausbau sozialraumorientierter Jugendarbeit, um zu verhindern, dass sich junge Menschen völlig vom Arbeitsmarkt oder vom Bildungssystem zurückziehen
  9. Verbesserung der technischen Ausstattung und der digitalen Kompetenzen von ausgrenzungsgefährdeten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Neben der digitalen Kompetenz sollte auch die Fähigkeit der Selbstorganisation gestärkt werden.
  10. Wenn der Markt aufgrund des Corona-Schocks nicht in der Lage ist, genügend Arbeitsplätze für junge Menschen zur Verfügung zu stellen, muss der Staat als Arbeitgeber letzter Instanz fungieren. Es braucht eine Jobgarantie für alle jungen Erwachsenen zwischen 19 und 24 Jahren. Die öffentliche Hand muss ähnlich wie bei der Aktion 20.000 sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten zum Ausbau von dringend benötigter öffentlicher Infrastruktur und sozialen Dienstleistungen schaffen, den weggebrochenen Einstiegsarbeitsmarkt in der Privatwirtschaft kompensieren und signalisieren, dass die Jugendlichen von der Gesellschaft gebraucht werden.

Die Corona-Krise erfordert vermutlich auch unorthodoxe Maßnahmen. In diesem Sinne könnte überlegt werden, die Schulpflicht um ein Jahr zu verlängern. Durch diese Art der Verkürzung der Lebensarbeitszeit wäre sofort der Arbeitsmarkt entlastet und ein struktureller Rahmen geschaffen, um soziale Benachteiligungen durch die Corona-Schulschließungen auszugleichen und die „Ausbildungsreife“ der Jugendlichen zu erhöhen. Zudem sollten Jugendliche und junge Erwachsene in die Planung und Umsetzung von Maßnahmen einbezogen werden, um die Treffsicherheit und Teilnahmebereitschaft zu erhöhen und Demokratie zu fördern.

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